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|Thema in ak 692: Deutscher Imperialismus

Unmögliche Allianz

Die ausgerufene feministische Außenpolitik stellt Deutschlands bisherige internationale Machtpolitik nicht infrage – sie stützt diese

Von Hêlîn Dirik

Seit 2021 hat sich Deutschland mit der Ampelregierung einer »wertebasierten«, feministischen Außenpolitik verschrieben, deren konkrete Leitlinien das Auswärtige Amt im Februar veröffentlicht hat. Im Dokument heißt es, feministische Außenpolitik ziele auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rechte von Frauen, Mädchen und queeren Menschen weltweit ab. Dazu gehöre, »historisch gewachsene Machtstrukturen aufzubrechen« und dabei einen »transformativen und intersektionalen Ansatz« zu verfolgen. Die Rede ist sogar davon, sich der historischen Verantwortung für Deutschlands koloniale Vergangenheit zu stellen. Auch in den Leitlinien des Entwicklungsministeriums, die im März veröffentlicht wurden, schreibt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), dass sie mit der feministischen Entwicklungspolitik »die strukturellen Ursachen angehen« wolle. Was zunächst reflektierter und progressiver klingen soll als offensichtlicher, imperialer Feminismus ist im Kern jedoch genau dessen Fortsetzung. Begriffe wie »intersektional«, »inklusiv« und »transformativ« suggerieren Fortschrittlichkeit und verschleiern die Tatsache, dass feministische Außenpolitik ein Top-down-Ansatz westlicher kapitalistischer Staaten ist, die keinerlei Interesse an wirklicher Transformation haben.

Im Folgenden soll es weniger um die Frage gehen, ob die aktuelle Regierung feministisch handelt als vielmehr um grundlegende Systeme und Beziehungen, die so tief in das außenpolitische Handeln Deutschlands eingeschrieben sind, dass sie sich kaum durch einen Regierungswechsel und vermeintlich feministische Werte beseitigen lassen. Dazu gehören Kapitalismus und imperiale Interessen, auch solche im Rahmen der EU oder der Nato. Weder Außenpolitik noch Entwicklungspolitik findet außerhalb kapitalistischer und rassistischer Strukturen statt, sondern im Rahmen und zur Aufrechterhaltung dieser Machtverhältnisse. Kapitalismus und Staat stehen trotz neoliberaler Vereinnahmungsversuche zum Feminismus und zur Befreiung von Frauen und queeren Menschen im Widerspruch.

Geopolitische Bündnisse gehen vor

Das Konzept der feministischen Außenpolitik wurde 2014 von der damaligen schwedischen, sozialdemokratischen Außenministerin Margot Wallström vorgestellt und wird seither von immer mehr Staaten wie Frankreich, Spanien oder Kanada übernommen. Wenig überraschend ist in sämtlichen Beschreibungen feministischer Außenpolitik zwar von Ungleichheiten, aber nie von kapitalistischen Verhältnissen, Ausbeutung oder der historischen Rolle von Kolonialismus und Imperialismus die Rede, die diese Ungleichheiten, vor allem im Globalen Süden, erst produziert und vertieft haben. Dabei ist das der zentrale Widerspruch: Wie kann die Außenpolitik eines kapitalistischen und imperialistisch handelnden Staates wie Deutschland feministisch sein?

Dieser Widerspruch lässt sich an konkreten Beispielen der jetzigen Regierung betrachten, etwa in Bezug auf Militarismus. Laut den Leitlinien des Auswärtigen Amtes verfolge feministische Außenpolitik zum Beispiel »gendersensible Ansätze in der Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle« und ziele auf Abrüstung ab. In Wirklichkeit wurde jedoch aufgerüstet, wurden Militärausgaben erhöht und der Bundeswehr ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro zugestanden. Mit über acht Milliarden Euro hat die Ampelregierung 2022 die zweithöchsten Rüstungsexporte in der Geschichte der BRD genehmigt, darunter an Staaten wie Saudi-Arabien (trotz Beteiligung am Jemen-Krieg an der Seite islamistischer Kräfte) oder an die Türkei, wo die autoritäre, patriarchale AKP/MHP-Regierung sie gegen die kurdische Befreiungsbewegung und gegen die Frauenrevolution in Rojava/Nordsyrien einsetzt. Kritiken wie diese wurden in den letzten zwei Jahren immer wieder formuliert.

Unabhängig von der jetzigen Regierung prägen bestimmte Interessen und Beziehungen, etwa im Rahmen der Nato, schon lange die Außenpolitik Deutschlands. Deutschland ist als fünftgrößter Exporteur von Waffen direkt an der Verschärfung von Krisen und Kriegen beteiligt. Zu den Top-Abnehmern dieser Exporte gehören Staaten wie die Türkei schon seit Jahrzehnten. Trotz zwischenzeitlich angespannter und kritischer Phasen ist die Türkei stets enger Verbündeter Deutschlands in der Nato – das erklärte auch die Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag. Deutschland würde nie ihre enge, historische Partnerschaft mit der Türkei gefährden, egal ob diese von einer autoritären, patriarchalen Regierung geführt wird, das Land aus der Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen austritt oder die kurdische Frauenbewegung bekämpft, mit deren Slogan »Jin Jiyan Azadî« sich deutsche Regierungspolitiker*innen in den letzten Monaten geschmückt haben.

Ein weiteres Beispiel ist die Abschottungspolitik der EU, deren Realität gewaltsame Pushbacks an den EU-Außengrenzen, ein Massensterben im Mittelmeer und Sammelabschiebungen sind. Deutsche Außenpolitik steht nicht außerhalb dieser Realität, sondern trägt maßgeblich dazu bei, ob durch die Stärkung von Frontex, die Beteiligung an Pushbacks oder die selektive Aufnahme von Geflüchteten, während andere Flüchtende dem Tod durch Ertrinken oder Erfrieren überlassen werden. Diese Politik lässt sich nicht dadurch verschleiern, dass ein »feministisch« vorangestellt wird. Vor allem nicht angesichts der Tatsache, dass Frauen und queere Menschen auf der Flucht besonders von (v.a. sexualisierter) Gewalt, zum Beispiel durch Grenzbeamte oder in Unterkünften, betroffen sind.

Zu nennen ist auch die Beteiligung Deutschlands an Militäreinsätzen wie in Afghanistan oder Mali, die oft mit Frauenrechten und Stabilisierung begründet wurden, während es tatsächlich um geopolitische Interessen geht. Zur Legitimierung imperialistischer Bestrebungen und Kriege haben westliche Staaten in der Vergangenheit immer wieder auf die Rhetorik zurückgegriffen, dass Frauen vom Westen »gerettet« werden müssten. Länder im Globalen Süden werden dabei als Orte markiert, die notwendigerweise von Krieg, Armut und Leid geprägt sind, als sei es vom Schicksal gegeben und nicht etwa das Resultat von Kolonialismus, Imperialismus und kapitalistischen Strukturen.

So werden vom Westen mitverursachte Krisen und Abhängigkeitsverhältnisse aufrechterhalten und normalisiert. In ihren »feministischen« Leitlinien spricht die Regierung performativ von Inklusion und Intersektionalität – im beschriebenen Machtgefälle ist Zusammenarbeit auf »Augenhöhe« jedoch eine Illusion. Im Grunde werden Agenden und Projekte zum »Empowerment« von Frauen von außen auferlegt, die weder nachhaltig und effektiv sind noch den lokalen Gegebenheiten entsprechen. Sie werden nach westlichen Vorstellungen von Befreiung entwickelt, während alternative, antikoloniale Kämpfe und Ansätze ignoriert werden.

Radikalere, lokale Bewegungen, die gegen den Staat, Ausbeutung und Ungleichheit kämpfen, werden marginalisiert oder sogar aktiv bekämpft, weil ihre Organisierung im Widerspruch zur Abhängigkeit und der externen Einflussnahme steht, die westliche Interventionen bewirken wollen. Militärische Interventionen unter dem Vorwand von Terrorismusbekämpfung, Demokratisierung und Frieden, aber auch vom Westen initiierte Entwicklungsprojekte haben, wie die Geschichte zeigt, nicht zu Stabilität und nachhaltigem Frieden geführt. Das jüngste Beispiel ist Afghanistan, wo seit der erneuten Machtübernahme der Taliban Frauenrechte schrittweise beschnitten und Millionen von Menschen zur Flucht getrieben wurden. 20 Jahre Krieg und westliche, darunter deutsche, Militärpräsenz wurden mit Frauenrechten und Terrorbekämpfung begründet, nur damit islamistische Kräfte am Ende erneut das Land beherrschen.

Systemischer Widerspruch

Bei der Diskussion um feministische Außenpolitik geht es also nicht nur um Widersprüche innerhalb der Politik einer Regierung oder darum, was die jetzige Regierung anders macht als die vorherige. Es geht darum, dass ein kapitalistisch und imperialistisch handelnder Staat ohnehin nicht an den Verhältnissen rütteln wird, die Frauen und queere Menschen weltweit in die Armut treiben, ausbeuten, Gewalt aussetzen und marginalisieren. Denn was sind diese »historisch gewachsenen Machtstrukturen« und »strukturellen Ursachen«, wie es in den Leitlinien der Außen- und Entwicklungsministerien heißt, wenn nicht Kapitalismus und Ausbeutung?

Dieser Widerspruch steht im Zentrum vieler dringender, politischer Fragen unserer Zeit. Die Klimakrise etwa, die schon jetzt besonders im Globalen Süden zu Flucht, Katastrophen und humanitären Notlagen führt, von denen besonders Frauen betroffen sind, wird innerhalb des Kapitalismus nicht gelöst werden können – auch nicht mit grüner und feministischer Außenpolitik.

Wirkliche Veränderung kommt von unten. Wo die Herrschenden Feminismus vereinnahmen und zur Grundlage ihrer Außenpolitik machen wollen, wird die Antwort von unten radikale, internationale, feministische Solidarität gegen staatliche Gewalt, Besatzung und Kapitalismus sein.

Hêlîn Dirik

ist freie Autorin und Übersetzerin aus Offenbach und schreibt über feministische Kämpfe, Kurdistan, Geschichte und Philosophie.

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