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|Thema in ak 678: Grenzen des Wachstums

Suche nach dem ökosozialistischen Subjekt

Die Umweltbewegung brachte in den 1970er Jahren die Linke dazu, über Wachstum, Staat und Klasse neu nachzudenken

Von Christian Zeller

Zwei prominente Vertreter der ökosozialistischen Strömung innerhalb der Grünen 1983 bei einer Pressekonferenz: Jürgen Reents (li.) und Rainer Trampert (re.) Zwei weitere Herren sind allgemein bekannt, gehörten aber nicht zu den Ökosozialisten. Foto: Wikimedia/Bundesarchiv/Lothar Schaack, CC BY-SA 3.0 DE

Zu Beginn der 1970er Jahre wurde immer offensichtlicher, dass die Umweltzerstörung das Leben unzähliger Menschen direkt bedroht. Gewässer- und Luftverschmutzung, Vergiftung der Arbeiter*innen und Anwohner*innen durch Chemieunternehmen, Schadstoffeintrag in Agrarland und auf der anderen Seite der Widerstand gegen Atomkraftwerke traten in das Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten.

Zur selben Zeit prägte der von einem Autor*innenkollektiv mit Dennis und Donella Meadows im Namen des Club of Rome verfasste Bericht über die Grenzen des Wachstums die Debatten. Doch eine theoretische Begründung des Wachstumszwangs blieben sie schuldig. Ihre Warnungen lösten umfangreiche Diskussionen aus. Zahlreiche Autor*innen meldeten sich mit wachstumskritischen Publikationen zu Wort. Doch es waren vor allem die Umweltbewegungen und hier besonders die Anti-AKW-Bewegung, die ab Mitte der 1970er Jahre beträchtlichen Druck auf die sozialistische Linke ausübten, einige Gewissheiten zu überdenken. 

Ossip Flechtheim, Jurist, Politikwissenschaftler und ehemaliger Hochschullehrer an der FU Berlin, führte 1980 mit einem stark beachteten Artikel in der Frankfurter Rundschau den Begriff Ökosozialismus ein. Er argumentierte, dass die ökologischen Grenzen des Wachstums »eine weitreichende Transformation unserer Technik und Wirtschaft von einer profitorientierten Massenverschleißveranstaltung zu einer Bedarfsdeckungsgesellschaft« nahelegten.

Kurz darauf konkretisierten die linken Sozialdemokraten Jürgen Scherer und Fritz Vilmar den Impuls und präsentierten in einem Sammelband einige programmatische Eckpfeiler. Ökosozialismus sei als basisorientierte Gesellschaftspolitik und partizipative Verwaltung der Staatsfunktionen zu begreifen. Das Anliegen der Wirtschaftsdemokratie sei um eine wachstumskritische ökologische Dimension zu erweitern. Die von Scherer und Vilmar vorgeschlagene öko-sozialdemokratische Orientierung lässt sich als im besten Sinne reformistisch bezeichnen. Nicht als fundamentalistisches Gegenkonzept verstanden, sollte Ökosozialismus vielmehr an die vorhandenen Reformkräfte anknüpfen. An die Stelle totaler Konfrontation sollte eine Strategie des Unterlaufens in Teilschritten und des graduellen Zurückdrängens treten. Gestützt auf Mobilisierungen und demokratische Teilhabe ließen sich Staat und Gesellschaft ökosozialistisch transformieren. 

Die Kritik des Produktivismus wurde vergessen und erst viel später wieder im internationalen Ökosozialismus aufgegriffen.

Die Autor*innen kritisierten das Wirtschaftswachstum bloß allgemein und ohne theoretische Fundierung. »Funktionsfähige marktwirtschaftliche Dispositionsräume« sollten erhalten oder sogar wiederhergestellt und zugleich gemeinwohlorientiert gesteuert werden. Wirtschaftsdemokratische Institutionen und Prozesse ließen sich – verbunden mit einer gemischten Wirtschaft – verwirklichen. Zur Kontrolle unternehmerischer Macht sei auch die Vergesellschaftung marktbeherrschender Schlüsselunternehmen und eine volkswirtschaftliche Rahmenlenkung einschließlich ökologischer Investitionslenkung zu erwägen. 

Die Orientierung erinnert stark an die »eurokommunistischen« Parteien in Italien, Spanien und Frankreich in den 1970er Jahren, die darauf setzten, auf der Basis umfassender gesellschaftlicher Verankerung die Regierungsgeschäfte des bürgerlichen Staates teilweise zu übernehmen und damit eine sozialistische Gesellschaftsveränderung einzuleiten. (1) 

Mit Kapitalherrschaft und Produktivismus brechen

Wesentlich radikaler argumentierten Thomas Ebermann und Rainer Trampert vom ökosozialistischen Flügel der Grünen Partei in ihrem 1984 vorgelegten Buch zur »Zukunft der Grünen«. Ebermann und Trampert erfassten die Problematik des Wirtschaftswachstums als grundsätzlichen Zwang des Kapitals zu akkumulieren. Nicht eine Endlichkeit der mineralischen und energetischen Ressourcen, sondern die akute und weitreichende Zerstörung der biologischen Lebensgrundlagen durch die kapitalistische Produktion und das in sie eingeschriebene Konsummuster seien das zentrale Problem. Damit richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf den Charakter der kapitalistischen Industrieproduktion. 

Im Gegensatz zur bürgerlichen Wachstumskritik der 1970er Jahre stellten Ebermann und Trampert den arbeitenden Menschen ins Zentrum. Sie übten beißende Kritik an krank machenden Arbeitsverhältnissen, gesundheitsschädigenden Produkten, Vergiftung durch Abgase und Altlasten. Zugleich kritisierten sie auch die positive Bewertung der Produktivitätssteigerungen durch die damaligen Mehrheitsströmungen in der Arbeiter*innenbewegung. Diese Ablehnung des Produktivismus wurde später vergessen und fand erst rund 30 Jahre später wieder Eingang in die internationale ökosozialistische Diskussion.

Auch in Bezug auf den bürgerlich-kapitalistischen Staat gehen Ebermann und Trampert an die Wurzel. Zwar sahen sie die Grünen Mitte der 1980er Jahre als einen wesentlichen Faktor zur politischen und gesellschaftlichen Veränderung. Die Parlamente seien durchaus zentrale Organe für die Bildung des politischen Willens. Darum seien sie zur Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu nutzen. Doch strategisch plädierten Ebermann und Trampert für einen außerstaatlichen Weg. Denn staatliches und parlamentarisches Handeln sei den Entscheidungen der wirtschaftlich Mächtigen untergeordnet. Sie gingen von der »fundamentalsten Überzeugung« aus, dass sich keine wirklich emanzipatorische Politik über den Staat verwirklichen lasse. Die Ansätze gesellschaftlicher Selbstorganisation seien schließlich zusammenzuführen zur »Überwindung der bürgerlichen Staatsapparate mit dem Ziel, die über staatlichen Zwang organisierte Herrschaft schrittweise gänzlich zu beseitigen.«

Ebermanns und Tramperts bissige Kritik der klassischen Arbeiter*innenbewegung und besonders ihrer Unterordnung unter die produktivistische Disziplin bieten immer noch sinnvolle Anregungen. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen in und um die Linkspartei wären wesentlich reichhaltiger, wenn solche Überlegungen einflössen.

Abgesehen von ihrer Orientierung auf unterschiedliche soziale Bewegungen, ihrer Unterstützung oppositioneller Gewerkschaftsströmungen sowie ihren Interventionen in den Grünen, skizzierte das Autorenduo in seinem Buch kaum konkrete strategische Ansätze. Weder lieferten sie Hinweise, wie sich eine Orientierung auf den antikapitalistischen Bruch gesellschaftlich breit verankern lässt, noch versuchten sie, Perspektiven zu formulieren, wie sich Bewegungen zu einer gesellschaftlichen Gegenmacht formieren können. Dazu passt, dass sich die beiden Autoren nur unscharf über die gesellschaftlichen Subjekte der Veränderung äußerten. Über ihr Verständnis sozialer Klassen und der Herausbildung von Klassenmacht der Arbeitenden lässt sich höchstens mutmaßen. Zwar war ihnen klar, dass sich eine ökosozialistische Veränderung der Gesellschaft nur mit der breiten Masse der Lohnabhängigen durchsetzen lässt, dennoch schenkten sie Übergangsstrategien keine Aufmerksamkeit. Genau das ist aber heute eine zentrale Herausforderung.

Erderhitzung und Wachstumsfrage

Die Erderhitzung spielte in den Diskussionen der 1980er Jahre keine Rolle. Einige der damaligen ökologischen Probleme wurden gelindert beziehungsweise räumlich verlagert und zeitlich verschoben. Doch die abrupten Veränderungen im Erdsystem und die Knappheit der für die erneuerbaren Energien nötigen mineralischen Ressourcen rücken die Wachstumsfrage erneut in den Vordergrund. Der Energieverbrauch ist zu reduzieren. Damit geraten die Produktivitätsentwicklung und der gesellschaftliche Stoffwechsel durch Arbeit noch stärker ins Zentrum einer emanzipatorischen Perspektive.

Die gegenwärtige internationale ökosozialistische Diskussion ist radikaler als die der reformorientierten Autor*innen der 1980er Jahre. So versuchen die im Global Ecosocialist Network kooperierenden Kräfte, die zahlreichen Umwelt- und Arbeitskämpfe mit einer antikapitalistischen Stoßrichtung zu verbinden. Doch wie lassen sich Kräfteverhältnisse so stark verändern und Gegenmachtstrukturen aufbauen, dass eine rasche und massive Reduktion der Treibhausgasemissionen durchgesetzt werden kann?

Der damalige (teilweise) »Abschied vom Proletariat« und die Hinwendung zu unterschiedlichen Alternativbewegungen entsprachen einer breiten gesellschaftlichen Stimmung. Die hieraus erwachsene strategische Schwäche machte sich später im Widerstand gegen die durch die neoliberalen Gegenreformen durchgesetzten sozialen Verwüstungen verhängnisvoll bemerkbar. Die Herausforderung bleibt ungelöst: Wie lässt sich eine neue, vielfältige Bewegung der Arbeitenden formieren, die den gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur und damit die ganze stoffliche Seite der Produktion und Reproduktion als Ausgangspunkt ihrer Kämpfe nimmt?

Christian Zeller

ist Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Salzburg. 2020 veröffentlichte er das Buch »Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen«.

Anmerkung:

1) Die jüngst von Klaus Dörre in dem Buch »Die Utopie des Sozialismus« formulierten Vorschläge für eine Nachhaltigkeitsrevolution durch demokratische Transformationsräte, ohne mit der kapitalistischen Akkumulation und deren Staat zu brechen, lassen sich in diese Traditionslinie einordnen.

Thema in ak 678: Grenzen des Wachstums

Eine Mall im Hintergrund, mit Menschen, die auf mehreren Etagen über Gänge laufen und in die Läden ein- und Auslaufen. Im Mittelpunkt stapeln sich Frachtcontainer. In Druckstift steht "Mehr, Mehr, Mehr"
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