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|Thema in ak 669: Black Planet

Schwarze Klasse, globale Kämpfe

Der Marxist C.L.R. James konstruierte mit dem Atlantik einen politischen Raum, der bis heute radikale Kämpfe hervorbringt

Von Bafta Sarbo

Illustriation über den Ablauf eines Cricket-Wurfes in einzelnen Schritten
Die einzige Gelegenheit, bei der sich Kolonisierte und Kolonisatoren auf Augenhöhe begegnen konnten: Cricket. Foto: Foto: (leicht modifiziert von) THUGCHILDz / Wikimedia , CC BY-SA 3.0

Im Sommer 2020 gingen nach dem Polizeimord an George Floyd 200.000 Menschen im US-Bundesstaat Minnesota auf die Straße. Schnell kam die Frage auf, ob diese Form der Gewalt ein rein amerikanisches Problem ist. Diese Frage wurde von Paul Gilroy 1993 in seinem gleichnamigen Buch mit dem Begriff des »Black Atlantic« (zu deutsch »Schwarzer Atlantik«) beantwortet. Darin fasst er Europa, die Amerikas und die Karibik sowie den afrikanischen Kontinent als einen einzigen politischen Raum, den Schwarzen Atlantik. Dieser Raum wurde zwar von Gilroy so benannt, er wurde allerdings von C.L.R. James bereits in »Die Schwarzen Jakobiner« schon 1938 vorgezeichnet.

In seinem Hauptwerk erzählt James die Geschichte der haitianischen Revolution, der ersten erfolgreichen Sklavenrevolution. Der Titel spielt auf die Jakobiner der Französischen Revolution an und greift den universalistischen Anspruch nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf, der sich auch in der haitianischen Revolution wiederfinde. Eine ähnliche These vertritt Susan Buck-Morss in ihrem Buch »Hegel und Haiti«, in dem ein Zusammenhang zwischen den Idealen der haitianischen Revolution und der Philosophie der Aufklärung gezeichnet wird. Es ist eine Studie, die die Geschichte des Kapitalismus nicht von Europa und den durchschnittlichen Arbeiter*innen her zeichnet, sondern von den Überausgebeuteten in der Peripherie her denkt, die dadurch ins Zentrum der Entwicklung gerückt werden. Peripherie und Zentrum erfahren eine Umkehr.

Neues Zentrum, neue Peripherie

Im ersten Band des Kapitals beschrieb Marx die grausame Entstehungsgeschichte des Kapitalismus als eine globale, eine von gewaltsamer Enteignung, Versklavung und Kolonisierung. Der Aufstieg des Kapitalismus erforderte die Etablierung eines Weltmarktes, es entstand das atlantische Dreieck. Dabei fuhren Schiffe mit Waren an die westafrikanische Küste, wo sie gegen versklavte Menschen getauscht wurden. Diese Menschen wurden anschließend nach Amerika gebracht und verkauft. Dort wurden die Schiffe mit Produkten wie Zucker, Kaffee oder Baumwolle, die durch Sklavenarbeit geerntet oder hergestellt worden waren, beladen und brachten diese nach Europa, wo die Produkte wiederum verkauft wurden. Dieser Dreieckshandel schuf allerdings nicht nur eine Handelsroute, sondern auch eine Widerstandskultur auf Grundlage einer gemeinsamen Ausbeutungs- und Unterdrückungserfahrung. Schwarz-sein ist hier keine biologische Tatsache und auch keine Hautfarbe, sondern ein politisches Selbstverständnis auf Grundlage eben dieser Erfahrung, wie James argumentierte. Die Schwarze Erfahrung versteht er nicht als ein Nebenprodukt kapitalistischer Ausbeutung, sondern die Versklavung und Überausbeutung des afrikanischen Kontinents und die Schwarzer Sklav*innen als frühe Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise. Der alten Theoriedebatte im Marxismus, ob Sklaverei eine kapitalistische oder vorkapitalistische Form der Ausbeutung ist, beantwortet er mit seinem Werk recht eindeutig.

Schwarz-sein ist hier keine biologische Tatsache und auch keine Hautfarbe, sondern ein politisches Selbstverständnis.

Für James war dieses Schwarz-sein ein politischer Standpunkt. Für ihn drückte sich in niemanden die Grausamkeit des Kapitalismus so aus, wie in den Schwarzen Subjekten. Sie sollten deshalb die Avantgarde der Revolution sein, denn sie hätten einen anderen – nicht theoretischen – Zugang zu Kapitalismuskritik, so James’ These. In antikolonialen Bewegungen war die Frage nach dem Verhältnis von Klasse versus Identität und Parolen, wie »Class before Race«, Aspekte der politischen Debatte zwischen Kommunismus und Panafrikanismus. Die Debatte kennt zwei Seiten: Werden Schwarze durch eine globale Revolution befreit oder sollen sie den afrikanischen Kontinent befreien und dorthin aus der Diaspora zurückkehren? Seine Uneindeutigkeit in dieser Diskussion drückt sich auch in der zum Teil widersprüchlichen Rezeption von James’ Werk aus. Cedric Robinsons Buch »Black Marxism«, das sich stark auf James’ Werk bezieht, vertritt die These des Racial Capitalism. Das heißt, dass die Erfahrung Schwarzer Menschen durch marxistische Theorie allein, weil der Marxismus eurozentristisch sei, nicht erklärt werden kann.

Dem widerspricht allerdings James’ theoretischer Zugang, der sich nicht nur der marxistischen Theorie als Methode und politischem Werkzeug bediente, sondern vertrat, dass es westlich gebildete Intellektuelle bräuchte, die die Revolutionen anführen. Diesen Kader fand er mit dem haitianischen Revolutionshelden Toussaint L‘Overture in »Die Schwarzen Jakobiner«. Während auch heute noch das Narrativ des Marxismus als weiß-dominierter Theorietradition verbreitet ist, verweist gerade James’ Werk auf das Gegenteil. Trotz seiner Ablehnung eines farben- und damit rassismusblinden Zugangs zu Klassenkämpfen vertrat er doch letztlich immer einen Klassenstandpunkt. Auch mit seinen Anti-Kriegsparolen wie »turn the imperialist War into a civil War« versuchte er eine Kritik der Verschiebung zu nationalistischer Vereinnahmung der Arbeiterklasse. Stattdessen kanonisierte er mit seinem Werk die haitianische Revolution zur Geschichte der Arbeiterbewegung und die Sklavenrevolution zur ersten proletarischen Revolution der Geschichte.

Der Sport der Weißen

Gegen Ende seines Lebens hielt er sich vor allem in Intelektuellenzirkeln auf. Als Trotzkist pflegte er einen regen Austausch mit dem Theoretiker der permanenten Revolution. James’ politische Prinzipien finden sich in seiner Biografie aber auch außerhalb seiner theoretischen Arbeit wieder. Als Journalist schrieb er nicht nur zum italienischen Kolonialkrieg in Äthiopien, er wollte der Armee beitreten, um sich am Kampf zu beteiligen und das Land kennenzulernen. Im Alter von 31 zog er von Trinidad, wo er geboren und aufgewachsen war, nach England. Dort arbeitete er als Cricket-Korrespondent des Guardian. Als Jugendlicher spielte er in der Mannschaft seiner Schule und begeisterte sich zunehmend für den Sport. Cricket kommt aus England und wurde mit der Expansion des britischen Imperiums in die Kolonien gebracht, allein deshalb ist er schon ein Ausdruck eben jener kolonialen Verhältnisse, mit denen James sich auch politisch auseinandersetzte. Die Sportart wird auch heute noch vor allem in ehemaligen britischen Kolonien gespielt und konsumiert. James schrieb 1963 ein semi-autobiographisches Buch über den Sport. In »Beyond a Boundry« erzählte er, wie seine Begeisterung für diesen Sport auch aus der Tatsache erwuchs, dass dort Kolonisierte und Kolonisatoren wie nirgendwo sonst auf Augenhöhe miteinander konkurrieren konnten.

»Die Schwarzen Jakobiner« hat an politischer Relevanz kaum verloren. Die neu entfachte antirassistische Bewegung, die sich immer noch transnational formiert, wirft heute erneut die Frage nach dem Verhältnis von der Besonderheit der Schwarzen Überausbeutung im Kapitalismus und dem Universalismus des Klassenkampfes auf. Die Lektüre von James’ Werk kann dahingehend spannende Aufschlüsse bieten.

Bafta Sarbo

arbeitet zu dem Verhältnis von Marxismus und Antirassismus. Sie ist aktiv in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.