analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 664: Brandanschläge

Brennpunkt Deutschland

Wenn migrantisch geprägte Orte in Flammen aufgehen, wird Rassismus als Tatmotiv zu oft nicht erkannt

Von Carina Book

Karte: Vincent Orth. Montage: KD

Döner-Imbisse, Shisha-Bars, Unterkünfte: In diesem Schwerpunkt wird der Versuch unternommen, 69 Brandstiftungen aus den letzten Jahren in Deutschland zu dokumentieren und zu systematisieren. Alle Brandanschläge richteten sich gegen Geschäfte oder Unterkünfte von Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft rassistisch markiert werden. Die Täter*innen zerstören materielle Existenzgrundlagen. Nicht selten brechen sie Biografien. Oft wird der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen. Meistens wird wegen schwerer Brandstiftung ermittelt, selten aber wegen versuchten Mordes. Betroffene werden zu selten ernstgenommen, und zu oft werden Ermittlungen ergebnislos eingestellt. Berichte über diese Attentate verschwinden zumeist als Randnotiz der Lokalpresse in der Bedeutungslosigkeit.

Dabei mahnen die Überlebenden des NSU seit Jahren, nicht wegzuschauen, wenn scheinbar »unpolitische« Straftaten gegen Migrant*innen verübt werden. Vor 20 Jahren begann mit dem Mord an dem Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg die rassistische Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds«. Ein ganzes Jahrzehnt lang konnte der NSU unbehelligt von staatlicher Verfolgung töten. Im Fokus: migrantisch geführte Geschäfte. Blumenläden, Dönerimbisse, Kioske und Internetcafés wurden zu Tatorten rechten Terrors. Die Berichterstattung über die Ermordeten war durchzogen von rassistischen Klischees. Ermittler*innen spekulierten über »Ausländerkriminalität« und »Drogenkriege.« Rechter Terror und Rassismus hingegen spielten bei der Motivsuche der Behörden und in der Mehrheitsgesellschaft keine Rolle. Dabei hatten Angehörige und Freund*innen der Opfer längst eine rassistische Mordserie vermutet. Schon im April 2006 forderten sie bei einem Schweigemarsch in Kassel »Kein 10. Opfer!«. Sechs Jahre später enttarnte sich der NSU selbst. Erst jetzt realisierten Sicherheitsbehörden und Mehrheitsgesellschaft die Existenz der rechten Terrortruppe. Über den strukturellen Rassismus als Ursache des »Übersehens« rassistischer Motive wurde in der Folgezeit viel diskutiert. Ebenso über die Involviertheit des Inlandsgeheimdienstes in das Umfeld des NSU-Netzwerkes.

Die große Lehre aus den Morden des NSU sollte sein, dass Rassismus immer als Motiv in Betracht gezogen werden muss, wenn Shisha-Bars, migrantisch geführte Restaurants, Obststände oder Imbisse und Unterkünfte brennen, in denen Geflüchtete leben. Doch weiterhin wird oft daran vorbei ermittelt, selbst dann, wenn es – wie etwa im Sauerland oder in Ostwestfalen – deutliche regionale Häufungen von Brandstiftungen und Hinweise auf rechte Netzwerke gibt. Reden wir also darüber, dass mehr als 100 Menschen nur durch glückliche Umstände den Flammen entkommen konnten. Schauen wir hin und stellen wir uns Fragen zu Taten und Tätern.

Karte: Vincent Orth

Alles Einzelfälle? − Eine Chronik

3. Oktober 2020 Marbach

Ein Wohnhaus, eine Polizeistation und eine Kirche werden mutmaßlich von einem 42-Jährigen mit Molotow-Cocktails angegriffen. Acht Menschen werden durch die Brandanschläge verletzt. Obwohl der mutmaßliche Täter rassistische Parolen gerufen haben soll, schließt die Polizei ein rassistisches Motiv aus. Die Polizei spricht von einem »psychischen Ausnahmezustand« in dem sich der Verdächtige befunden habe.

27. September 2020 Drebber

Am 27. September legen bisher unbekannte Täter ein Feuer am Fenster eines Mehrfamilienhauses in Drebber. Das Haus wird von einer Familie aus Syrien bewohnt, die das Feuer schnell entdeckt und löschen kann. Die Polizei ermittelt wegen schwerer Brandstiftung.

20. September 2020 Frankfurt

Zum zweiten Mal binnen weniger Tage versuchen Unbekannte mit Molotow-Cocktails einen Imbiss in Frankfurt-Bornheim anzuzünden. Feuer fing der Laden nicht. Augenzeugen gaben an, dass zwei Personen vom Tatort geflohen seien.

22. August 2020 Göppingen

Ein unbekannter Mann mit Glatze und weißem T-Shirt versucht eine Geflüchtetenunterkunft anzuzünden. Dazu steckt er den Vorhang eines offenen Fensters in Brand. Eine Bewohnerin bemerkt das Feuer sofort und kann eigenständig löschen.

17. August 2020 Klein-Auheim

In einer Shisha-Bar bricht ein Feuer aus. Die Polizei geht von einem technischen Defekt aus.

15. August 2020 München Pasing

Ein italienisches Café wird am Morgen des 15. August angezündet. Eine Angestellte gilt als dringend tatverdächtig. Das Motiv ist unklar.

15. August 2020 Rommerskirchen

Gegen 2.30 Uhr in der Nacht steht eine bewohnter Container-Unterkunft in Flammen. Vorher hatte ein 21-jähriger Deutscher eine Bewohnerin rassistisch beleidigt. Er gilt als dringend tatverdächtig.

13. August 2020 Bad Aibling

Gleich dreimal brennt es in Bad Aibling binnen acht Monaten. Zweimal in einer Geflüchtetenunterkunft, einmal in einem leerstehenden Geschäft, das sich auch im Gebäude der Unterkunft befindet. Der mutmaßliche Täter ist ein 59-Jähriger aus Bad Aibling. Die Polizei sieht »keinerlei Hinweise auf ein politisches Motiv«.

30. Juli 2020 Hanau

Unbekannte werfen mit Molotow-Cocktails auf ein Hanauer Café. Ein Feuer bricht nicht aus. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen.

29. Juli 2020 Neustadt am Rübenberge

Die Shisha-Bar Paradies brennt völlig aus. Auf Nachfrage sagte uns die Polizei Hannover: »Die Ermittlungen am Brandort sowie Aussagen von Zeugen lassen darauf schließen, dass das Feuer vorsätzlich gelegt wurde. Zudem wurden Spuren von Brandbeschleunigern gefunden.« Tatverdächtige hätten ermittelt werden können, es sei aber zu keiner Anklagerhebung gekommen. Im Jahr 2016 hatte in Neustadt am Rübenberge bereits ein Dönerrestaurant und 2019 ein Eiscafé gebrannt. Für einen Zusammenhang spräche aber nichts, teilte die Polizei Hannover mit.

23. Juli 2020 Bad Aibling

In der Geflüchtetenunterkunft in Bad Aibling brennt es zum zweiten Mal.

13. Juli 2020 Magdeburg

In Magdeburg wird eine Shisha-Bar angezündet. Die Bar und die darüber liegenden Wohnungen wurden durch das Feuer zerstört. Die Bewohner*innen wurden von der Feuerwehr aus dem Haus gerettet.

8. Juli 2020 Wiesbaden-Frauenstein

Wie schon 2018 brennt der Obststand von Mahmut Ö. vollständig ab. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.

29. Juni 2020 Ludwigshafen

Unbekannte Täter legen einen Brand in einer Shisha-Bar, die sich im Erdgeschoss eines fünfstöckigen Hauses befindet. Verletzt wird niemand.

17. Mai 2020 Essen

Im Hof einer Autowerkstatt wird eine Mülltonne angezündet. Das Feuer springt auf die Autowerkstatt über. Am Wochenende zuvor wurde die Werkstatt mit Hakenkreuzen markiert.

10. April 2020 Schwabach

Eine Shisha-Bar bei einem Brand vollständig zerstört. Mehrere Wohnungen des Mehrfamilienhauses wurden beschädigt. Ein Minderjähriger gilt als tatverdächtig. Der Pressesprecher der Polizei Mittelfranken sagte uns: »Der strafunmündige Junge räumte die Tat gegenüber der Polizei ein. Ein rechtsextremes bzw. rassistisches Motiv war für die ermittelnden Beamten zu keinem Zeitpunkt erkennbar.«

3. April 2020 Hamburg-Jenfeld

Mitten im Lockdown geht die Shisha-Bar »Mocca« in Jenfeld in Flammen auf. Eine Brandstiftung wird nicht ausgeschlossen.

11. März 2020 Burg

Unbekannte Täter versuchen ein syrisches Lebensmittelgeschäft in Brand zu setzen. Die Bewohner*innen des Mehrfamilienhauses entgehen einer Katastrophe nur knapp. Auf die Eingangstür wird ein großes Hakenkreuz geschmiert. Der Inhaber gibt gegenüber der Volksstimme an, dass er die Stadt verlassen will.

27. Februar 2020 Leimersheim

Durch Brandstiftung geht ein Döner-Imbiss in Flammen auf. Eine 85-jährige Anwohnerin wird verletzt. Die Behörden gegen nicht von einer politisch motivierten Tat aus.

21. Februar 2020 Döbeln

Am 21. Februar 2020 gegen 3 Uhr morgens brennt es in der Döbelner Bahnhofsstraße. Ein Schuppen im Hinterhof der Hausnummer 72 steht in Flammen. Im Erdgeschoss befindet sich eine Shisha-Bar. Zeitgleich brennt es im Keller in der Hausnummer 73, in deren Erdgeschoss ein Döner-Imbiss ist. Niemand wird verletzt, doch es entsteht ein erheblicher Sachschaden. Die Betreiber der beiden Geschäfte vermuten, dass es sich um rassistisch motivierte Brandanschläge handelt. Im Juni 2020 durchsucht die Polizei die Wohnung eines 35-jährigen Tatverdächtigen, doch der streitet die Tat ab. Auf Nachfrage gibt das LKA Sachsen im Oktober 2020 an: »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen hier zur Tatmotivation noch keine eindeutigen Erkenntnisse vor, die die Einordnung in einen bestimmten Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität rechtfertigen würden.« In Döbeln fühlen sich viele an den 1. März 2017 erinnert. Der geflüchtete Mehdi G. zog damals in eine Wohnung in einem fünfstöckigen Wohnhaus in der Döbelner Albert-Schweitzer-Straße. Bereits kurz nach seinem Einzug brannte es das erste Mal im Haus. Der Verdacht der Polizei fiel auf Mehdi G. Binnen einiger Monate brannte es noch dreimal im Wohnhaus. Am 1. März 2017 legte eine rassistische Nachbarin einen Brand im Keller, mit dem Kalkül, dass dies Mehdi G. Schaden würde. Der Rauch entwickelt sich schnell. Als die Feuerwehr eintrifft, findet sie im Treppenhaus den leblosen Körper der 85-jährigen Ruth K., die einige Wochen später an den Folgen einer Rauchvergiftung verstirbt.

19. Februar 2020 Soest

Auf eine Geflüchtetenunterkunft wird ein Brandanschlag verübt. Ein 43-jähriger Mann wird leicht verletzt.

16. Februar 2020 Passau

Einem Hotels gegenüber, das mehrheitlich von Bundespolizisten belegt ist, wird ein Brandanschlag auf ein Auto verübt. Das Auto steht unmittelbar neben einem Reihenhaus, das von Migrant*innen bewohnt wird. Die Brandstifter hinterlassen eine Hakenkreuz-Schmiererei.

2. Februar 2020 Merseburg

In der Nacht brennt es in einer Shisha-Bar in Merseburg. 20 Bewohner*innen des Hauses werden evakuiert. Die Polizei vermutet eine Brandstiftung.

9. Januar 2020 Peine

In der Schützenstraße in Peine brennt ein Asia-Imbiss. Die Rettungskräfte finden die Leiche des 61-jährigen Pächters. Eine Obduktion ergibt, dass die tote Person nicht durch das Feuer gestorben ist, sondern schon vorher tot war. Ein »Fremdverschulden« wird als Todesursache ebenfalls ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim geht jetzt davon aus, dass der tote Pächter das Feuer fahrlässig oder vorsätzlich selbst gelegt hat.

2. Januar 2020 Elmshorn

Kurz nach Neujahr brannte in Elmshorn der Imbiss »Döner Curry House« aus. In dem darüber liegenden Stockwerk befinden sich mehrere Wohnungen. Drei Bewohner waren zu dieser Zeit zu Hause und flüchteten aus dem Gebäude. Ein 20-Jähriger sprang dazu aus einem Fenster im ersten Obergeschoss und wurde dabei leicht verletzt. In der Nacht auf den 28. September 2019 wurde im Döner Curry House schon einmal versucht, Feuer zu legen. Damals drangen Unbekannte in das Haus ein und verteilten Kraftstoff im Gebäude.

30. Dezember 2019 Bad Aibling

In der Geflüchtetenunterkunft in Bad Aibling brennt es zum ersten Mal.

16. Juli 2019 Münster

Am 16.7.2019 kommt es in Münster zu einer versuchten schweren Brandstiftung an einer Obdachlosenunterkunft, die mehrheitlich von Migrant*innen bewohnt wurde. Zeugen wollen gesehen haben, dass eine Person mit einem roten Benzinkanister weggelaufen und in einen silbernen Kombi eingestiegen ist. Im Weglaufen sollen er gerufen haben »Ihr Kanaken, wir kommen wieder!« Laut Polizei sind weder die Täter noch das Tatmotiv bekannt.

30. Juni 2019 Sangerhausen

Unbekannte legen ein Feuer im Keller eines Mehrfamilienhauses, in dem überwiegende geflüchtete Familien leben. 18 Bewohner*innen kommen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei schließt ein rassistisches Tatmotiv nicht aus.

28. April 2019 Güstrow

Ein Döner-Imbiss wurde in Güstrow mithilfe von Brandbeschleuniger in Brand gesteckt. Rund sechs Monate danach stellt die Polizei ihr Ermittlungen ergebnislos ein.

25. April 2019 Vorsfelde

Zwei Männer versuchen die Wohnungstür seines tunesischen Nachbarn anzuzünden. Die Staatsanwaltschaft Niedersachsen sagte uns: »Beiden Angeschuldigten wird zur Last gelegt, am 18.4.2019 gegen 11.07 Uhr im Zustand aufgrund Alkoholgenusses verminderter Schuldfähigkeit die Wohnungstür eines Tunesiers, der mit einem der Angeschuldigten im selben Haus in der Meinstraße in WOB-Vorsfelde wohnt, mittels einer Imprägnierspraydose etwa 10 Minuten lang unter Feuer gesetzt zu haben. Beide Angeschuldigten wollten die Tür und damit auch die Wohnung in Brand setzen, wozu es letztlich jedoch nicht kam, weil eine aufmerksame Nachbarin die beiden Angeschuldigten beobachtet und angesprochen hatte, so dass diese von ihrem Vorhaben abließen. An der Tür entstanden durch die Einwirkung des Feuers erhebliche Beschädigungen.«

18. Februar 2019 Magdeburg

Die Wohnung und der PKW einer vierköpfigen syrischen Familie werden angezündet. Alle Bewohner*innen des zehnstöckigen Plattenbaus konnten gerettet werden. Die Polizei ermittelte lange Zeit im Umfeld der Familie und ließ zum Verhör des Vaters keine Berater*in der Mobilen Beratungsstelle zu.

1. Januar 2019 Remshalden-Hebsack

Unbekannte hatten Feuer auf dem Balkon des Hauses einer geflüchteten Familie gelegt. Die Familie hatte sich schon im Vorjahr aufgrund von Drohungen an die Polizei gewandt.

1. November 2018 Ratingen

Gegen 4 Uhr nachts schleicht ein Mann über die Terrasse einer Shisha-Bar. Er schlägt die Scheibe mit einem Stein ein und legt ein Feuer. Verletzt wird niemand. Im Februar 2019 wird die Shisha-Bar erneut Ziel eines Brandanschlages.

18. September 2018 Bad Überkingen

Eine 32-Jährige zündet die Holztür des Technikraums einer bewohnten Geflüchtetenunterkunft an. In dem Technikraum befinden sich Heizungen und Gasanschluss. Die Frau hatte bereits eine Woche zuvor Müll vor einem türkischen Laden angezündet. In ihrer Wohnung fand die Polizei Nazidevotionalien vor. Das Landgericht Ulm verurteilt die Täterin wegen versuchten Mordes in insgesamt 44 Fällen sowie Brandstiftung und versuchter Brandstiftung zu fünfeinhalb Jahren Haft.

2. September 2018 Bietigheim-Bissingen

Eine Shisha-Bar brennt im Keller eines Wohn- und Geschäftshauses komplett aus. Die Polizei findet Brandbeschleuniger am Tatort. Verletzt wird niemand. Es entsteht ein Schaden von rund 100.000 Euro.

3. September 2018 Eppingen

Eine Shisha-Bar brennt völlig aus. Eine Brandstiftung wird nicht ausgeschlossen. Es entsteht ein Schaden von rund 300.000 Euro. Verletzt wird niemand.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.