Cricket für die Community
Beim Berliner Verein Roter Traktor sollen alle ihren Sport machen können – und alle mitreden
Von Lene Kempe
In Indien, Pakistan, Bangladesch oder Sri Lanka spielen Leute an jeder Ecke Cricket«, berichtet Abhishek Medankar, genannt Abhi, gegenüber ak. Abhi ist in der westindischen Stadt Pune aufgewachsen. Cricket wurde im 19. Jahrhundert von der britischen Kolonialmacht auf den indischen Subkontinent gebracht, trotzdem ist der Sport dort bis heute extrem populär. In Berlin dagegen, wo Abhi mittlerweile lebt, ist es deutlich schwieriger, ein Cricket-Team zu finden, jedenfalls eines mit freien Plätzen. Denn mittlerweile lebt hier eine große und stetig wachsende Community aus dem südasiatischen Raum, insbesondere aus Indien.
Aufgrund der Fachkräftepolitik der Bundesregierung hat sich die Zahl derer, die in den vergangenen elf Jahren aus dem Land zum Studieren oder Arbeiten nach Berlin gekommen sind, mehr als verzehnfacht, 2024 lebten hier bereits gut 41.400 Inder*innen. »Viele meiner Bekannten haben es sehr vermisst, Cricket zu spielen. Wir haben uns im Restaurant oder bei der Arbeit darüber unterhalten«, erzählt Abhi. Er war da bereits Mitglied in einem kleinen, erst 2024 gegründeten Berliner Sportverein, dem KSV Roter Traktor. Dort engagiert sich auch Matze Kasper. »Cricket war schon früh ein Thema, weil einer unserer Vorstandsmitglieder bei McDonald’s gearbeitet hat, zusammen mit vielen Kolleg*innen aus Indien und Pakistan. Die haben ihren Sport auch sehr vermisst. So kam die Idee auf, ein offenes Probetraining zu organisieren.« Und daraus ist schließlich ein festes Cricket-Team geworden – das sehr schnell gewachsen ist.
Wenn jemand Fragen hat oder irgendeine Art von Unterstützung braucht, hören wir zu und versuchen zu helfen.
Abhishek Medankar
Natürlich ginge es beim Cricketspielen um den Sport, meint Abhi, aber der Raum für eine respektvolle und offene Kommunikation sei ebenso wichtig und wertvoll. Zumal ein Cricket-Spiel, je nach Format, manchmal mehrere Tage dauert, bei Roter Traktor nicht selten zwischen sechs und sieben Stunden. Die Spieler*innen verbringen also viel Zeit miteinander. Ein Sportclub, meint Abhi, sei zwar keine politische Plattform, aber politische Themen würden auch nicht blockiert. Einige im Team studieren und arbeiten nebenbei, in der Lieferbranche zum Beispiel, und für viele sei es zum Beispiel schwierig, eine Wohnunterkunft zu finden. »Wenn jemand dazu Fragen hat oder irgendeine Art von Unterstützung braucht, hören wir zu und versuchen zu helfen.« Cricket sei außerdem nicht ganz billig, was aber für niemanden eine Hürde sein soll. »Wir sind, soweit ich weiß, der günstigste Sportverein in Berlin. Und wer kein Geld hat, muss gar nichts bezahlen.«
Jede*r soll mitmachen können, das bestätigt auch Matze. Vielleicht noch mehr als Abhi verbindet er mit seinem Engagement bei Roter Traktor einen dezidiert politischen Anspruch. »Aus meiner Sicht ist Sport immer politisch, das fängt dabei an, wie man so einen Club organisiert. Wir versuchen, unsere Strukturen so demokratisch wie möglich aufzubauen. Und es geht uns auch nicht in erster Linie um Wettbewerb. Alle, die Sport machen wollen, sollen das bei uns machen können, unabhängig vom sportlichen Level und vom Einkommen.«
Der Verein organisiert aber auch politische Stadtführungen, über die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung in Berlin zum Beispiel, oder Küfas, Küchen für alle. Nach dem Cricket-Probetraining gab es indisches Essen, bei der letzten Küfa wurde marokkanisch gekocht. »Ein Vereinsmitglied, Omar, der aus Marokko stammt, hatte zwei Filme von seinem Vater mitgebracht. Einer über die Geschichte der marokkanisch geprägten migrantischen Arbeiter*innenbewegung in Frankreich und ein Film über Wasserknappheit in südlichen Oasen, die auch seine Heimatstadt betrifft. Danach haben wir gemeinsam darüber diskutiert.« Wenn er es in Zahlen ausdrücken sollte, sagt Matze, ginge es bei Roter Traktor wahrscheinlich zu 30 Prozent dezidiert um Politik und zu 70 Prozent um Sport, aber so ganz sei das eine eben auch nie vom anderen zu trennen. Auch im Cricket-Team wollten sie vor allem Cricket spielen, sagt Abhi. Zugleich würden sie dort dank der offenen Gesprächsatmosphäre und des respektvollen Miteinanders viel voneinander lernen. »Alle haben hier eine Stimme, jedes sportliche Level ist willkommen. Einige würden das als politisch beschreiben. Ich denke, es ist einfach normal.«