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Feldherren ohne Krieg?

Naomi Klein und Astra Taylor sehen eine Epoche des »Endzeitfaschismus«, das Konzept kennt aber keine Außenpolitik

Von Gerhard Hanloser

Eine grüne Drohne weit oben in der Luft unter ihr eine karge Landschaft
Mit Technologie die Außenpolitik dominieren, das wollen Trump und seine Mitstreiter*innen, eine Drohne der US-Army in der Luft. Foto: gemeinfrei

Die beiden Aktivistinnen und Publizistinnen Naomi Klein und Astra Taylor stellen mit Blick auf die USA in einem breit rezipierten Aufsatz den Aufstieg eines »Endzeitfaschismus« fest.(1) Demnach betreiben die aktuell Herrschenden vornehmlich in den USA eine apokalyptische Politik, bunkern sich selbst ein und haben keine Zukunftsvision anzubieten. Während der historische Faschismus und Nationalsozialismus eine Säuberungsfantasie mit Ziel anzubieten hatte, wonach am Ende für die eigene Gruppe eine idyllische und reine Zeit des goldenen Zeitaltern zu erblicken sei, mangele es dem heutigen Faschismus an einem solchen Horizont. Mehr als das Überleben der Reichen in steuerbefreiten Gated Communities und sadistischer Ergötzung am Repressionsspektakel gegen die Armen habe dieser neue »Endzeitfaschismus« nicht anzubieten.

Sicherlich setzen die Herrschenden vor allem in den USA darauf, dass die subproletarische und verarmte Mittelschichtsbasis der MAGAs sich weiter mit emotionaler Entschädigung zufriedengeben, die im öffentlichen Sadismus gegen »andere« zum Ausdruck kommt, wie Klein und Taylor bemerken. Sicherlich provozieren und planen die rechten Herrschenden die Katastrophen, wie Klein und Taylor schreiben. So nehmen sie mit ihrer Kriegspolitik die Katastrophe, sogar das Chaos und die Unwägbarkeiten, die hervorgerufen werden, in Kauf. Die aktuellen Konflikte, auch der Überfall auf den Iran, haben ein Potenzial, das in den Dritten Weltkrieg führen kann. Doch diese Aspekte der imperialistischen Konkurrenz und der Dynamik in Richtung Krieg fehlen fast vollständig bei Klein/Taylor.

Völkerrechtsnihilismus

Appeasement gegenüber und Duldung der aktuellen völkerrechtsnegierenden und fortgesetzten Aggression von Israel gehen in beschleunigter Form vom kollektiven Westen und dessen Führung aus – wobei es hier starke Kontinuitäten zur demokratischen Präsidentschaft Bidens gibt.

Der Westen mit den USA an der Spitze und einer israelischen Regierung, in der sich an einflussreicher Stelle millenaristisch-fundamentalistische und rechtsradikale Exponenten finden, scheint sich längst von der Fiktion regelbasierter Ordnung verabschiedet zu haben und offen einen Völkerrechtsnihilismus zu propagieren und zu verkörpern. Trumps öffentliches Degradieren des ukrainischen Präsidenten Selenskij und das kurzzeitige Hofieren Putins sollte nichts anderes signalisieren. Dies kennt Vorläufer: Mit dem Austritt des Deutschen Reichs aus dem Völkerbund im Oktober 1933 hatte Hitler der Welt zu verstehen gegeben, dass er eine Politik reiner Machtbehauptung jenseits liberaler Rechtsverpflichtungen verfolgt.


Diese (Welt-)Kriegsoption der USA müsste jedoch gegen den isolationistischen Teil der Trump-Wählerschaft durchgesetzt werden.

Die Trump-Politik hat mehr als Apokalypse und Katastrophe anzubieten und sie auf den historischen Begriff des »Faschismus« zu bringen, wie von Taylor/Klein, ist gewagt. Aufgrund der eigenen apokalyptischen Sicht auf die Welt scheinen die beiden Autorinnen unfähig zu sein, wichtige Friktionen im autoritären rechten Lager zu übersehen: Trumps Zollpolitik tendiert auf eine Rückholung der Stahlarbeit, führt aber mittelfristig dazu, dass alles teurer wird und die Mittelschicht und die Arbeiter*innenklasse weiter verarmen. Außenpolitisch setzt der Trump-Kurs auf eine Politik, in der der/die Stärkere, Unverfrorenere gewinnt und sich als Sieger*in behaupten kann. Diese zynische Politik hat eine materielle und geopolitische Seite, denn militärtechnisch liegt die absolute Überlegenheit bei den USA (und im regionalen Kontext bei Israel). Diese Supermächte können jede*n nur erdenkliche*n Gegner*in aufgrund der technologischen Übermacht in diesem Bereich an die Wand drücken. Das ist die Voraussetzung für die größere und noch kommende Auseinandersetzung der USA und des »globalen Westens« mit dem weltweit aufstrebenden Hegemon China, das sich bereits mit den USA, aber auch mit Europa in einem harten ökonomischen Konkurrenzkampf befindet und europäische Länder wie Deutschland in diversen Bereichen längst überflügelt hat.

Die Schwächung und Depotenzierung von Syrien und Iran im Modus des Völkerrechtsnihilismus, die angestrebte Marginalisierung Russlands inklusive versteckter westlicher Kriegsbeteiligung in der Ukraine, die Akzeptanz eines Genozids in Gaza durch den »Westen« sind Wegmarken hin zu einem großimperialistischen Schlagabtausch, flankiert von Hyperaufrüstung und medialer Propaganda. Der »Endzeitfaschismus« ist ein Endkampfimperialismus, in den das Faschistoide in neuer Form eingebaut ist.

Diese (Welt-)Kriegsoption der USA müsste jedoch gegen den isolationistischen Teil der Trump-Wählerschaft durchgesetzt werden. Sicherlich geht es um eine zynische und bunkermäßige Politik der Verweigerung von Empathie, die letzten Endes nur der Klasse der Superreichen dient, wie Taylor/Klein bemerken. Doch hier ist ebenso wie in der Kriegsfrage die Achillesferse des US-Autoritarismus zu erblicken: Wie lange trägt die US-Arbeiter*innenklasse dies noch mit?

Technik der Eroberung

Richtig ist die Feststellung, dass dieser »Neufaschismus« unter Trump nicht die Ordnung eines neuen Zeitalters imaginiert, wie es von den klassischen Faschismen bekannt ist. Das heißt jedoch nicht, dass das politische Projekt bar jeder Vision wäre. Die Vision lautet: neuerliche reaktionäre Modernisierung mit dem Idealbild der heterosexuellen Kernfamilie, der ungebrochenen Dominanz der weißen christlichen Kultur, einer ideologischen Rückbesinnung nicht aufs Mittelalter oder die Antike, wie in den historischen Faschismen, sondern auf die 1950er Jahre.

Im Gegensatz dazu bedeutete der historische Faschismus real eine kapitalistische Modernisierung, der über den Staat den Fordismus durchsetzte und die antreibenden Interessen, Bedürfnisse und Begehrensströme dieses neuen Fabrikregimes lenkte.

Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze hat die Vision des Trumpismus jüngst als Sammelbewegung unterschiedlicher Klassensegmente und Schichten beschrieben, in der die einen den anderen verkünden, dass eine bessere Zukunft nur dann für die Amerikaner*innen zu haben ist, wenn sie akzeptieren, dass man nicht wirklich all das Plastikzeug aus den chinesischen Schiffscontainern brauchen und konsumieren kann. Die protektionistische Rhetorik sei aber kein Bruch mit dem neoliberalen Kapitalismus, sondern dessen autoritäre Variante als Techkapitalismus. Elon Musk etwa arbeite an der tatsächlichen Lösung harter Ingenieurfragen, betont Tooze, wie zum Beispiel wiederverwendbare Raketen, kostengünstige Treibstoffversorgung oder autarke Systeme. Die von Musk und anderen Techkapitalist*innen offerierte militärisch-ökonomische Infrastruktur ist demnach Teil eines geopolitischen Machtprojekts. So fokussiert die neue US-Militärdoktrin auf »Entscheidungsdominanz«, womit Informationsüberlegenheit, Technologieführerschaft und eine militärische Präsenz in jedem denkbaren Raum gemeit ist: neben dem Land, der Luft und der See auch im Weltraum und dem Cyberspace.

Außenpolitisch ist der Kurs der USA klar und steht im Zusammenhang mit dem Bedeutungsverlust als Hegemonialmacht: Behauptung des »Westens« mit allen erdenklichen Mitteln gegenüber dem Globalen Süden und vor allem gegenüber China. Klein und Taylor konstatieren, dass die Kräfte, gegen die wir ankämpfen, sich mit dem Massensterben abgefunden haben. Richtig. Das zeigt Gaza. Sie sagen, dass »neue Bündnisse« unerlässlich sind. Sie fordern am Ende ihres Aufsatzes: Wir müssen »eine rebellische, offenherzige Bewegung aus Menschen bilden, die diese Erde lieben: treue Anhänger*innen dieses Planeten, seiner Menschen, seiner Geschöpfe und der Möglichkeit einer lebenswerten Zukunft für uns alle.« Dagegen ist nichts einzuwenden, nur die notwendige Nachfrage nach einer wirksamen Gegenmacht sollte gestellt werden. In Toozes Werk »Ökonomie der Zerstörung« über die Wirtschaftspolitik der Nazis findet sich die wahre, aber wenig Hoffnung stiftende Beobachtung, dass sich die deutschen Arbeiter*innen lange Zeit von militaristischen Spektakeln haben blenden lassen, obwohl offensichtlich wurde, dass die versprochene Erreichbarkeit und Konsumtion von »Volksprodukten« auf sich warten ließen. Es wird entscheidend sein, wie sich die US-amerikanische Arbeiter*innenklasse jetzt und in naher Zukunft verhält, zumal ein relevanter Teil von ihr, der migrantische und illegalisierte, mit brutaler Gewalt angegriffen wird.

Gerhard Hanloser

hat zuletzt »Identität & Politik. Kritisches zu linken Positionierungen« beim Mandelbaum Verlag herausgegeben. Zum Antisemitismus veröffentlichte er 2003 »Krise und Antisemitismus. Eine Geschichte in drei Stationen von der Gründerzeit über die Weltwirtschaftskrise bis heute«.

Anmerkung:

1) Naomi Klein, Astra Taylor: Die Politik mit dem Untergang – und wie wir sie noch stoppen können, Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/2025.

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