Bombe für Bombe
Israel ist mit Luftangriffen in einen offenen Krieg mit Iran eingetreten. Was steckt dahinter?
Von Pajam Masoumi

Mit einer mehrgleisigen Strategie griff Israel am Freitag, den 13. Juni, Iran an. Mit knapp 200 Kampfjets, Drohnen und gezielten Anschlägen, etwa durch Autobomben, gelang es der israelischen Armee sowie dem Auslandsgeheimdienst Mossad, die militärische Führung der islamischen Republik empfindlich zu treffen. Gleichzeitig wurden mindestens neun Wissenschaftler*innen und Professor*innen, die am iranischen Atomprogramm beteiligt gewesen sein sollen, getötet. Iran reagierte mit einer Angriffswelle von 100 Drohnen, die leicht abgefangen werden konnten. Seither beschießen sich beide Länder mit Raketen, und Israel bombardiert Ziele in ganz Iran.
Laut Israels Präsident Benjamin Netanjahu hätte die islamische Republik in den nächsten Monaten in der Lage sein können, bis zu 15 Atombomben zu bauen. Der internationalen Atombehörde, der UN und auch den USA liegen diese Erkenntnisse nicht vor, einen Beweis hat die israelische Regierung bisher nicht präsentiert. Ziel vieler Angriffe waren Einrichtungen des Atomprogramms, etwa die Atomanreicherungsanlage Natanz. Das Programm Irans ist, im Gegensatz zu vielen anderen, nicht in einer Anlage konzentriert, sondern im ganzen Land verteilt. Seit Sonntag geht es in der israelischen Kommunikation aber auch um einen Regime Change in Iran.
Die islamische Republik wertete die Angriffe als Kriegserklärung sowie als Sabotage der laufenden Atomverhandlungen mit den USA. Dies ist nicht von der Hand zu weisen – trotz stockender Gespräche waren für Samstag weitere Verhandlungen angesetzt, die nun nach den Angriffen abgesagt wurden. Zudem wurde der Vertraute Khameneis und Unterhändler Irans in den Atomverhandlungen, Ali Shamkhani, am 14. Juni durch den israelischen Angriff getötet.
Hunderte Tote, Tausende auf der Flucht
Israels Angriffe sind (ebenso wenig wie die Vergeltungsmaßnahmen Irans) nicht vom Völkerrecht gedeckt, auch wenn sie sich auf Atomanlagen und militärische Ziele konzentrierten. Israel zerstört außerdem gezielt die Luftabwehr Irans und erklärte bereits am Samstag, den 14. Juni, die Lufthoheit über das gesamte Land zu besitzen. Dies zeigt auch die militärische Schwäche des Regimes in Teheran, das bereits im letzten Jahr nicht in der Lage war, israelische Raketenangriffe abzuwehren. Das gezielte Ausschalten militärischer Abwehrsysteme deutet auf einen längeren Krieg hin. Und auch Iran hat dieses Mal nicht nur mit Drohnen reagiert, sondern beschießt gezielt die israelische Infrastruktur, etwa den Hafen von Haifa.
Die israelischen Angriffe treffen das iranische Regime in einem historischen Moment der Schwäche.
Zwar begannen die israelischen Angriffe mehrheitlich auf Atomanlagen und militärische Ziele, zunehmend wird jedoch auch zivile Infrastruktur unter Beschuss genommen. Am Montag, den 16. Juni, wurde in der Provinz Kermanshah eine Lkw-Garage das Ziel israelischer Angriffe, ein Krankenhaus, das direkt neben der Garage lag, wurde dabei zerstört. Am Nachmittag desselben Tages forderte die israelische Armee den gesamten Teheraner District 3, ein Gebiet mit über 300.000 Einwohner*innen, zur Evakuierung auf. Schließlich bombardierten die IDF am Montagabend das iranische Staatsfernsehen während einer Live-Sendung. Am Wochenende waren bereits zwei Flughäfen sowie Energieinfrastruktur und Öl-Raffinerien mit Raketen beschossen und zum Teil schwer beschädigt worden. Auch die Todeszahlen in Iran schnellten seit dem Beginn der Angriffe am 13. Juni in die Höhe: Wurden am Freitag rund 70 Tote nach den Angriffen gemeldet, waren es am Sonntag bereits mehr als 400, darunter viele Zivilist*innen. Nicht nur aus Teheran kursieren Videos zerstörter Hochhäuser und Wohnkomplexe. Aus der Hauptstadt fliehen inzwischen Tausende in Richtung Kaspisches Meer, über das Wochenende kam es jedoch auch dort zu israelischem Beschuss.
Auch in Israel haben die Vergeltungsmaßnahmen Irans trotz des Raketenabwehrsystems Iron Dome und der Unterstützung europäischer Länder bei der Raketenabwehr bis Montagmittag zu 24 Toten geführt. Israels Bevölkerung ist seit den israelischen Angriffen dazu angehalten, sich in Sicherheit zu bringen und in der Nähe von Luftschutzräumen aufzuhalten.
Die USA reagierte zu Beginn der Angriffe mit einer uneindeutigen Kommunikation: Außenminister Marco Rubio bestritt jegliche Beteiligung an den Luftschlägen. Trump indes lobte die Angriffe auf seiner Plattform Truth Social und erklärte, die USA hätten selbstverständlich grünes Licht gegeben. Die Angriffe erfolgten am Ende eines 60-tägigen Ultimatums, das Trump Teheran für die Zustimmung zu einem neuen Atomdeal gesetzt haben will. Bereits vor dem israelischen Angriff evakuierte die USA Botschaftsmitarbeiter*innen aus der Region. Trump warnte die islamische Republik vor einem Eingreifen der USA, sollten iranische Proxys, etwa aus Irak, oder gar iranische Streitkräfte US-Einrichtungen angreifen.
Netanjahu erklärte, die Angriffe seien mehr als ein Jahr geplant gewesen, der Mossad soll sogar eine Drohnenbasis in Iran aufgebaut haben. Bei den Angriffen sollte, so die israelische Vorstellung, auch die iranische Führung getötet werden, darunter Khamenei. Laut übereinstimmenden Berichten von Reuters und AFP soll Trump dies jedoch abgelehnt haben; die Tötung der iranischen Führung werde erst diskutiert, sollten Amerikaner*innen durch iranische Angriffe sterben.
Für Netanjahu hat sich der Angriff auf die islamische Republik bereits jetzt gelohnt: Regierungen, die nach der Blockade von Hilfslieferungen nach Gaza anfingen, die israelische Regierung und ihre Kriegsführung zu kritisieren, stehen nun wieder fest an ihrer Seite und betonen, Israel verteidige lediglich seine legitimen Sicherheitsinteressen.
Trotz der stetigen Brutalisierung des Gaza-Kriegs scheint dieser nun angesichts eines Krieges mit Iran in den Hintergrund zu rücken. Das liegt wohl auch daran, dass seit dem 10. Juni das Internet in Gaza lahm liegt, das letzte funktionierende Datenkabel wurde bei israelischen Bombardements beschädigt. Parallel zu den Angriffen in Iran startete Israel eine Blockade des Westjordanlands, alle Checkpoints in Richtung Israel wurden personell verstärkt und für palästinensischen Verkehr geschlossen. Es kam in der Folge zu massiven Angriffen rechtsradikaler Siedler*innen auf palästinensische Dörfer und ihre Bewohner*innen.
Anfang oder Ende?
Die israelischen Angriffe treffen das iranische Regime in einem historischen Moment der Schwäche. Die Frage ist daher, ob die aktuellen Ereignisse nicht eher ein Ende des seit Jahren schwelenden »Schattenkrieges« zwischen Iran und Israel einläuten, statt einen neuen Krieg im Nahen Osten zu entfesseln.
Spätestens seit Khamenei 1989 seine Rolle als geistliches Oberhaupt der Republik antrat, vertritt Iran die Strategie, seine Rivalen immer wieder an den Rand eines Krieges zu bringen. Dies findet meist durch Angriffe seiner Proxys in Syrien, Libanon und Irak statt, wobei jedoch versucht wird, eine direkte Konfrontation zu vermeiden. Diese Strategie ist nun gescheitert: Die Hisbollah im Libanon ist durch den Krieg mit Israel geschwächt wie nie. Direkt nach Beginn der israelischen Bmbardements am 13. Juni teilte die Organisation mit, sich nicht an iranischen Vergeltungsschlägen zu beteiligen. Auch aus Syrien, einst wichtiger Standort der sogenannten Achse des Widerstands, wird dem Regime kaum Hilfe zuteilwerden. Bereits vor dem Sturz Assads bombardierte Israel seit mehreren Monaten Ziele in Syrien, vor allem iranische Proxys, Flughäfen und Raketenabschusssysteme. Seit dem Sturz des Assad-Regimes weitet Israel die Besatzung auf syrischem Staatsgebiet aus.
Die Hamas in Gaza hat seit ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 ebenfalls schwere Verluste erlitten und wird dem Regime in Teheran kaum zu Hilfe eilen können. Und selbst wenn: Die von der Hamas verwendeten Raketen haben bisher wenig Schaden in Israel angerichtet. Zudem hat sie, anders als etwa die Hisbollah, kein Interesse daran, das in Iran vorherrschende Schiitentum zu verteidigen. Und auch die Houthis in Jemen haben weder ausreichend militärische noch personelle Ressourcen, um in einem offenen Krieg gegen Israel standhalten zu können.
Das Regime in Teheran selbst hat derzeit ebenfalls eigentlich andere Sorgen: Erst kürzlich wurde das sogenannte Kopftuchgesetz, das Frauen in Iran dazu zwingt in der Öffentlichkeit Hijab zu tragen, unter dem Druck der Bevölkerung ausgesetzt. Dazu kommen der größte Streik im Transportsektor, den es in Iran je gab, sowie erst kürzlich verhängte US-Sanktionen, die es China erschweren, die bereits zuvor auf den iranischen Öl-Sektor verhängten Sanktionen zu umgehen. Auch auf Russland wird sich das Regime kaum stützen können: Zwar verurteilte die Regierung im Kreml die Angriffe, diese profitiert jedoch auch von steigenden Ölpreisen infolge des israelischen Beschusses. Und militärisch ist Russland in seinen eigenen Angriffskrieg in der Ukraine verstrickt. Für diesen ist die iranische Drohnenproduktion nebensächlich geworden, Russland hat längst eigene Fabriken errichtet.
Hoffnung auf Freiheit
In Iran, aber auch in der iranischen Diaspora wächst nun die Sorge, das Land könne im Zuge des Krieges mit Israel im Inneren noch autoritärer auftreten. Im ersten Golfkrieg (Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988) etwa verfolgte und ermordete das iranische Regime zwischen 5.000 und 8.000 Oppositionelle und inhaftierte unzählige weitere Menschen. Das Regime hat außerdem noch längst nicht die Bewegung vergessen, die sich nach der Ermordung Jîna Mahsa Aminis 2022 erhoben hatte: Fast täglich werden Gefangene zum Tode verurteilt und ermordet, darunter besonders viele Menschen, die Minderheiten angehören, etwa Kurd*innen oder Belutsch*innen. Seit den israelischen Angriffen am Freitag verlegt die iranische Führung verstärkt Militärgerät in die kurdischen Gebiete, wofür ist derzeit noch unklar. Sicher ist: Diese Gebiete waren von den Repressionen gegen die Straßenproteste im Rahmen der Jin-Jiyan-Azadî Bewegung besonders stark betroffen.
Das Regime in Teheran hat noch längst nicht die Bewegung vergessen, die sich nach der Ermordung Jina Mahsa Aminis 2022 erhoben hatte: Fast täglich werden Gefangene zum Tode verurteilt und ermordet.
Wenn das iranische Regime derzeit so schwach ist, die iranische Bevölkerung unter der repressiven Regierung sowie den israelischen Bomben leidet und das Militär mit der Verteidigung des Staates gegen einen »äußeren Feind« beschäftigt ist, könnte sich nicht auch die iranische Bevölkerung offen gegen ihre »eigene« Regierung wenden?
Das wird vermutlich nicht mehr als eine Hoffnung bleiben. Die Jin-Jiyan-Azadî-Bewegung ist zwar mit der Abschaffung des Kopftuchzwangs an einem Punkt erfolgreich gewesen, eine langfristige Veränderung im theokratischen Systems Irans konnte jedoch nicht erlangt werden. Stattdessen scheint die Bewegung derzeit zu stagnieren. Das hat viele Gründe: Während und nach den Protesten wurden viele inhaftiert oder hingerichtet, derzeit werden junge Männer für den Militärdienst zwangsrekrutiert. Darüber hinaus verfolgte die Bewegung kein gemeinsames Ziel, sondern setzte sich aus unterschiedlichen Gruppen mit verschiedenen politischen Vorstellungen zusammen. Eine gemeinsame Organisierung ist unter der massiven Repression und der vom Staat geschürten Konkurrenz unter den Bevölkerungsgruppen schwer zu bewältigen; die Proteste haben darüber hinaus keine prominenten Gesichter, geschweige denn eine politische Führung hervorgebracht. Auch die Bombardierungen Israels dürften kaum in der Breite die Wut auf das Regime erhöhen – schließlich ist es dieses Mal nicht die klerikale Führung, die für den Tod unzähliger Menschen verantwortlich ist, sondern ebenjener Staat, dessen Vernichtung die iranische Staatspropaganda der Bevölkerung seit etwa 40 Jahren einhämmert. Der Luftkrieg eines Staates, der derzeit einen genozidalen Krieg in Gaza führt und das eigene Zuhause zerstört, wird kaum den Nationalismus in Iran überwinden helfen und Sympathien unter den Massen hervorrufen.
Der ein oder andere bringt sich aber bereits in Stellung: So hat der Sohn des 1979 gestürzten Shahs, der von seinen Anhänger*innen »Kronprinz« titulierte Reza Pahlavi, die iranische Bevölkerung zur Revolution aufgerufen und schielt selbst schon auf die Macht. Sein Vater, Mohammad Reza Pahlavi, war von den USA und Israel als Verbündeter im Kampf gegen die arabischen Staaten betrachtet worden. Diese Freundschaft scheint zwar heute kaum mehr möglich, ist aber dennoch bis in die Gegenwart sichtbar: Der Mossad baute das Gefängnissystem des damaligen Geheimdienstes des Shahs mit auf. Heute sperrt das amtierende islamische Regime dort seine Gegner*innen ein, am Sonntag etwa Oppositionelle, denen es Kollaboration mit Israel vorwarf.
Die iranischen Monarchist*innen haben in Iran eine recht geringe Machtbasis, treten dafür in der Diaspora aber um so dominanter auf, bedrohen politische Gegner*innen und verbreiten die rassistische Erzählung einer persischen Nation. Ausgerechnet dieser »Kronprinz» wird nun von westlichen Medien, etwa der Tagesschau, als möglicher Übergangspräsident präsentiert, schließlich geriert er sich als Freund des Westens. Dass aber die Bevölkerung Irans ausgerechnet mithilfe israelischer Raketen und durch den Sohn eines bereits gestürzten Diktators die Freiheit finden wird, die sich viele so sehnlich wünschen, ist vor allem eines: eine westliche Projektion.