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Für eine Welt voll Dollar

Währungspolitik war immer schon Machtpolitik und die US-Leitwährung ein Politikum, nicht erst seit Donald Trump

Von Lene Kempe

Das Bild zeigt den ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon, an einem Schreibtisch sitzend und mit einem Telefonhörer in der Hand
Im Auftrag des Geldes unterwegs: US-Präsident Richard Nixon am Telefon. Foto: pingnews.com/Flickr , Public Domain Mark 1.0 Universell

Als US-Präsident Richard Nixon am Abend des 15. August 1971 ohne Vorwarnung in einer Fernsehansprache das Ende des globalen Goldstandards verkündete, konnte er sich der Aufmerksamkeit der meisten US-Bürger*innen gewiss sein. Denn um diese Uhrzeit flimmerte sonst die beliebte Westernserie »Bonanza« über die Bildschirme. Anstelle von Wild-West-Abenteuern auf der Ponderosa-Ranch bekamen die Zuschauer*innen Nixon an seinem Schreibtisch in Camp David zu sehen. Er erklärte, dass die USA künftig nicht mehr bereit seien, weltweit in Umlauf befindliche Dollar jederzeit in Gold umzutauschen. Damit war das auf festen Wechselkursen basierende »Bretton-Woods-System« ebenso Geschichte, wie der gemütliche »Bonanza«-Abend – was durchaus nicht unpassend war, denn »Bonanza« steht im Englischen für »ergiebige Goldquelle«. Die allerdings war in der Realität versiegt: Die in Fort Knox lagernden US-Goldreserven reichten schon lange nicht mehr aus, um die im Bretton-Woods-System garantierte Goldkonvertierbarkeit des US-Dollars zu gewährleisten.

Bis dato hatte das System fester Wechselkurse dem internationalen Handel seinen Rahmen gegeben. Noch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs ausgehandelt und 1944 von 44 Nationen unterschrieben, sollte es nach den Erfahrungen des Protektionismus infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929ff. einen reibungslosen Ablauf des freien Welthandels gewährleisten – mit dem US-Dollar als globaler Leitwährung, der im Verhältnis 35 zu eins an die Unze Gold gebunden war.

Neue Rollenverteilung

Als Besitzerin der Leitwährung kamen den USA enorme Privilegien zuteil: Sie konnten ihre geldpolitischen Interessen faktisch ohne Rücksicht auf andere Mitglieder des Währungsblocks durchsetzen und sich in der eigenen Währung verschulden – ohne eine Abwertung des Dollars befürchten zu müssen. Denn die anderen Staaten mussten den Dollar so »stützen«, dass der Wert im Verhältnis etwa zur DM stabil blieb. Die Deutsche Bundesbank beispielsweise reduzierte durch Ankäufe dessen Verfügbarkeit auf dem Devisenmarkt. Würden die Märkte vom Dollar »überschwemmt«, müsste dessen Wert eigentlich abnehmen, was im Bretton-Woods-System nicht vorgesehen war.

Genau das passierte allerdings bald, weil die USA im Verlauf der 1950er und 60er Jahre vom weltweit größten Konsumgüterproduzenten zum größten Weltkonsumenten wurden: Viele europäische Länder erlebten einen Nachkriegsboom, auch dank des 1948 beschlossenen Marshallplans. Die Bundesrepublik verzeichnete in den 1950er und 60er Jahren erstaunliche Wachstumsraten und profitierte dabei auch von der Möglichkeit, die DM gegenüber dem US-Dollar strukturell unterbewertet zu halten. So waren deutsche Produkte auf den Weltmärkten günstiger als US-amerikanische. Auch Frankreich, Großbritannien oder der boomenden japanischen Volkwirtschaft gelang es zunehmend, den USA Weltmarktanteile abzuringen, während in Nordamerika der Binnenkonsum zum wichtigen Wachstumsmotor wurde. Die verheerenden Kriege in Korea und Vietnam festigten diese Rollenverteilung, und die Nachfrage nach Rüstungsgütern lenkte Millionen an US-Dollar ins produzierende Ausland, unter anderem in die deutsche Eisen- und Stahlindustrie. Aber auch Japan profitierte von Millionen-Aufträgen, etwa der Autobauer Toyota, der Wägen für das dort stationierte US-Militär fertigte.

Die US-Währung hat zuletzt fast 15 Prozent gegenüber dem Euro abgewertet.

Der Rüstungsboom brachte das Bretton-Woods-System in eine zunehmend dramatische Schieflage, denn die Konvertierbarkeit der weltweit in Umlauf befindlichen US-Währung in Gold war längst nicht mehr gesichert. Zwischen 1965 und 1971 wuchs das US-Haushaltsdefizit von einer auf 23 Milliarden US-Dollar an. Die Folge: ein massiver Abwertungsdruck. Gleichzeitig erlebte Westdeutschland nach Überwindung einer Rezession 1966/67 einen erneuten Exportboom. Die DM erschien unterbewerteter denn je, was deutsche Waren auf dem Weltmarkt verbilligte und den Exportdruck noch verstärkte. Vor allem die Interessenverbände der Exportbranche stemmten sich gemeinsam mit der CDU/CSU immer wieder erfolgreich gegen eine von den USA geforderte Aufwertung der DM.

Schon unter den Bretton-Woods-Regelungen war Währungspolitik für wirtschaftlich starke Staaten ein effektives Instrument, um ökonomische und politische Interessen durchzusetzen. So war es nur konsequent, dass Nixon, Präsident der immer noch stärksten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt, das Abkommen in dem Moment aufkündigte, als andere Länder davon stärker zu profitieren begannen als die USA. Die USA läuteten den Übergang in ein neues wirtschaftliches System ein.

Zwar blieb die Weltgeldfunktion des Dollars, also dessen herausragende Rolle als Zahlungsmittel für die Abwicklung des globalen Handels, unangetastet. Die Umwälzungen im globalen Wirtschafts- und Finanzsystem waren dennoch massiv. Zum einen wurden mit dem Ende von Bretton Woods auch die Kapitalverkehrskontrollen nahezu vollständig abgeschafft. Das ging mit einem Bedeutungs- und Machtgewinn des Finanzkapitals einher, das sich nun frei über den Globus bewegen konnte. Zum anderen wurde der Wert nationaler Währungen nun über Angebot und Nachfrage auf den immer wichtiger werdenden internationalen Devisen- und Finanzmärkten bestimmt, Währungen wurden zum Objekt der Spekulation. Vor allem in den 1990er Jahren traten vermehrt auch große Hedgefonds auf den Plan. Die sogenannte »Asien-Krise« führte Ende der 1990er Jahre der Welt vor Augen, mit welcher Wucht sich nationale Krisentendenzen unter den Bedingungen freier Wechselkurse und liberalisierter Märkte durchschlagen und sich ausbreiten können.

Die asiatischen »Tigerstaaten« wie Singapur, Taiwan oder Thailand, lockten seit den 1980er Jahren ausländische Banken, Fonds und andere Investor*innen an, die vom starken Wachstum und von niedrigen Arbeitskosten und unternehmensfreundlichen Gesetzgebungen profitieren wollten. Vor allem der Immobiliensektor boomte, bald schon entstanden Blasenökonomien. Im Februar 1997 löste die Pleite eines großen thailändischen Immobilienunternehmens schließlich eine Kettenreaktion aus. Das Vertrauen internationaler Anleger bröckelte und deren Rückzug brachte weitere thailändische Unternehmen zu Fall. In dieser Situation begannen Hedgefonds, auf den Fall der thailändischen Währung zu wetten. Mit Erfolg: Über Nacht fiel der Baht um 20 Prozent. Die Krise breitete sich schließlich auf die ganze Region aus.

Alle zusammen für den Euro

Europäische Staaten wie Deutschland oder Frankreich sind Nachfrageschwankungen auf den Finanzmärkten oder den Attacken von Währungsspekulant*innen dagegen nicht im selben Maß ausgesetzt, sie konnten ihre nationalen Ökonomien schon unter dem Bretton-Woods-System auf relativ stabile Füße stellen. Durch den Zusammenschluss in einem Wirtschafts- und Währungsraum schuf man ein gemeinsames Dach, das von außen nicht so einfach zu durchbrechen ist. Zunächst im Rahmen des Europäischen Währungssystems (EWS) und ab 1999 mit der Einführung der Gemeinschaftswährung Euro. Die Priorität der Währungsstabilität wurden in zahlreichen Verträgen wie jenem von Maastricht festgeschrieben und etliche Politikbereiche dieser untergeordnet.

So stehen aus Sicht der EU-Institutionen starke Lohnzuwächse oder expansive Staatsausgaben dem Inflationsziel von um die zwei Prozent entgegen. Auch die Verpflichtungen aller EU-Länder, ihre Haushaltsdefizite durch austeritätspolitische Maßnahmen abzubauen und die Aufnahme von neuen Schulden zu begrenzen, dienen nicht nur einer vermeintlichen »Generationengerechtigkeit«, sondern in erster Linie dem Vertrauen der internationalen Finanzmärkte in den Euro. Als Länder wie Griechenland, Irland, Spanien oder Portugal bereits hoch verschuldet im Gefolge der Finanzkrise ab 2007 einen massiven Wirtschaftseinbruch erlebten, war es oberste Priorität der EU, die internationalen Finanzmärkte zu beruhigen. Den Krisenländern wurden von EU, Europäischer Zentralbank und dem IWF (Troika) harte Sparmaßnahmen und Ausgabenkürzungen abverlangt. Massive Lohnverluste, hohe Arbeitslosigkeit und Armutsraten waren die Folge. Trotzdem blieb den Ländern kaum eine Wahl: Ein »Grexit«, der viel diskutierte Austritt Griechenlands aus der Eurozone etwa, hätte die griechische Drachme bei Wiedereinführung aller Voraussicht nach ins Bodenlose fallen lassen.  

Demgegenüber befanden sich die USA über Jahrzehnte auch nach Bretton Woods in einer äußerst privilegierten Situation: Trotz des massiven Haushaltsdefizits blieb die Leitwährungsfunktion des Dollar weitgehend unangetastet. Immer noch werden Rohstoffe sowie allgemein Import- und Export-Geschäfte ganz überwiegend in Dollar abgewickelt, was die Nachfrage und den Dollar-Kurs auf einem anhaltend hohen Niveau hält. Und dennoch: Unter dem neuen Präsident Donald Trump scheint die Dollar-Dominanz an einem Kipppunkt angelangt zu sein. Die unberechenbare Zollpolitik und die Diskussionen um eine staatlich forcierte künstliche Abwertung der Währung (Mar-a-Lago-Plan, ak 714) haben ebenso wie der Rückzug der USA aus der Rolle der militärischen Schutzmacht des Westens das Vertrauen in die Trump-Regierung und damit in den Dollar im Kern erschüttert. Die US-Währung hatte zuletzt stark abgewertet, in der Spitze fast 15 Prozent gegenüber dem Euro. Der Dollar sei zumindest angezählt, meinen viele Beobachter*innen. Länder wie China, die gigantische Währungsreserven horten, könnte diese in den Zollauseinandersetzungen zudem als Waffe gegen die USA einsetzen und den Markt mit Dollar fluten. Das würde nicht nur den Abwertungsdruck erhöhen, sondern auch die Wall Street als begehrtesten Finanzanlageplatz der Welt schwächen.

Die Debatte um eine schwindende US-Hegemonie ist keineswegs neu, zuletzt nahm sie im Rahmen der Finanz- und Währungskrise und während der Corona-Pandemie an Fahrt auf.

Allerdings: Die Debatte um eine schwindende US-Hegemonie ist keineswegs neu, zuletzt nahm sie im Rahmen der Finanz- und Währungskrise und während der Corona-Pandemie an Fahrt auf, als sich die USA unter der ersten Trump-Regierung schwer damit taten, den massiven Wirtschaftseinbruch zu überwinden. Schon länger gibt es zudem etwa im Rahmen der BRICS-Staaten Versuche, den Handel in Teilen der Welt zu »entdollarisieren« und über digitale Währungen oder auch in der chinesischen Währung Renminbi abzuwickeln. So wurden 2010 noch 90 Prozent der Zahlungen Chinas mit anderen Ländern in Dollar abgewickelt, inzwischen sind es nur noch knapp 50 Prozent. Mit CIPS hat China dafür ein eigenes Zahlungssystem geschaffen, als Alternative zu Swift. Darüber wird etwa der Handel zwischen China und Russland abgewickelt.

Und auch die EU beschäftigt sich schon seit längerem mit der Frage, ob der Euro die entstehende Lücke im Falle eines Bedeutungsverlustes des Dollars schließen könnte. Dieses Thema stellt die EU allerdings vor ein politisches Problem: Die Mitgliedstaaten müssten den Euro in einem weit größeren Umfang in Umlauf bringen, damit dieser als globale Handelswährung funktionieren könnte. Das hieße, die Euro-Länder müssten deutlich mehr Schulden machen, mehr Importe finanzieren, mehr investieren und mehr Anleihen herausgeben. Unter den Bedingungen enormer wirtschaftlicher Ungleichgewichte innerhalb des Währungsraumes wäre dafür eine Vergemeinschaftung von Schulden notwendig. Die Corona-Bonds wurden von Leitwährungsfans als ein Schritt in diese Richtung gewertet.  

Kein Versehen

Die Ablösung des Dollars durch eine oder mehrere Währungen als Leitwährungen bleibt bislang allerdings ein Planspiel. Als Reservewährung dominiert der Dollar nach wie vor mit etwa 57 Prozent, der Euro folgt auf Platz zwei mit 20 Prozent, der Renminbi bleibt weit abgeschlagen mit rund zwei Prozent. Zudem scheint fraglich, ob die USA den Verlust ihrer Privilegien als Hüterin der globalen Leitwährung tatsächlich riskieren würden. Denn auch geopolitisch haben sie damit eine extrem scharfe Waffe an der Hand, können sie finanzielle Sanktionen, wie beispielsweise gegen Iran oder Russland, doch quasi im Alleingang durchsetzen: Wer nicht mitspielt, riskiert den eigenen Ausschluss aus dem Dollarsystem.

Dass der Dollar an Wert verloren hat, war außerdem kein Versehen der Trump-Regierung, sondern entspricht bis zu einem gewissen Grad sogar deren Interessen. Denn wenn US-amerikanische Produkte auf den Weltmärkten durch einen schwächeren Dollar günstiger werden, nutzt das der heimischen Exportindustrie. Das Vertrauen in die Jahrzehnte alte Leitwährung wieder herzustellen, ist also auch eine Frage des politischen Willens der Trump-Regierung, und selbst die wird die Vor- und Nachteile früher oder später sorgsam abwägen. So oder so: Mit einem großen Knall wie beim Bonanza-Abend 1971 wird sich der Dollar als Leitwährung in näherer Zukunft sicher nicht verabschieden. In Bewegung geraten ist das internationale Währungssystem aber schon lange.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.