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|ak 679 | Wirtschaft & Soziales |Reihe: FAQ. Noch Fragen?

Wann investiert das Kapital?

Die Kapitalist*innen stecken ihr Geld lieber irgendwo anders rein als in ihr eigenes Unternehmen - aber warum?

Von Simon Poelchau

Hier wird noch investiert – und zwar gigantisch: Die Tesla-Fabrik in Brandenburg. Andernorts sieht es mau aus mit Investitionen. Foto: Wikimedia/Miachel Wolf, Penig , CC BY-SA 3.0

Die Tesla-Fabrik in Grünheide ist derzeit nicht nur in Brandenburg in aller Munde. Kein Wunder. Schließlich investiert dort Elon Musk locker mal eine Milliarde Euro in seine Giga-Fabrik, damit künftig für ihn 12.000 Arbeiter*innen im Drei-Schicht-Betrieb 500.000 Elektroautos pro Jahr zusammenschrauben. Da gerät es für manche Politiker*innen fast schon zur Nebensache, dass es der derzeit reichste Mensch der Welt nicht so hat mit Umweltschutz, Gewerkschaften und Mitbestimmung. Denn solche Investitionen sind in Deutschland nicht gerade an der Tagesordnung.

Überhaupt hat das hiesige Kapital offenbar die Lust am Investieren verloren. Dies legen zumindest Zahlen nahe, die eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linke-Bundestagsabgeordneten Pascal Meiser enthielt. (nd, 23.1.2022) Dieser wollte wissen, wie sich die sogenannten Nettoinvestitionen zu den Gewinnen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften verhalten, also der produzierenden Realwirtschaft im Lande. 

Die Antwort war frappierend: Steckten die Kapitalist*innen 1991 noch rund die Hälfte ihres Profits wieder ins Unternehmen, betrug das Verhältnis Nettoinvestitionen zu Profiten 2020 nur noch 3,4 Prozent. Selbst im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es lediglich 17 Prozent. In absoluten Zahlen stiegen die Unternehmensgewinne von 180,9 Milliarden im Jahr 1991 auf 515 Milliarden Euro im Jahr 2019. Selbst im Coronajahr 2020 machten die Unternehmen noch ein Plus von 434,1 Milliarden Euro. 

Dabei geben die Nettoinvestitionen den Betrag an, der tatsächlich auch neu ins Unternehmen gesteckt wird. Sie werden definiert als Bruttoinvestitionen, also alle Investitionen abzüglich der Abschreibungen, mithin dem natürlichen Verschleiß des Unternehmens. Nur wenn die Nettoinvestitionen größer null sind, wächst ein Unternehmen, sind sie kleiner null, schrumpft es.

Steckten die Kapitalist*innen 1991 noch rund die Hälfte ihres Profits wieder ins Unternehmen, betrug das Verhältnis Nettoinvestitionen zu Profiten 2020 nur noch 3,4 Prozent.

Natürlich kann man sagen, dass die oben erwähnten Zahlen nichts aussagen über das einzelne Unternehmen. Aber wenn die volkswirtschaftlichen Gesamtzahlen so weit auseinandergehen, dann ist das ein Beweis dafür, dass die Kapitalist*innen ihr Geld lieber irgendwo anders reinstecken als in ihr eigenes Unternehmen. Und dies widerspricht erst mal der kapitalistischen Akkumulationslogik. Denn nur, wer sein Geld investiert, vermehrt es auch. »Die rastlose Vermehrung des Werts, die der Schatzbildner anstrebt, indem er das Geld vor der Zirkulation zu retten sucht, erreicht der klügere Kapitalist, indem er es stets von neuem der Zirkulation preisgibt«, schrieb Marx treffend.

So heißt es im Kapitalismus immer »höher, schneller, weiter«. Wer nicht wächst, den frisst irgendwann die Konkurrenz. Dies wird auch auf der volkswirtschaftlichen Stufenleiter deutlich: Es geht letztlich nicht darum, wie groß das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, ist, sondern wie schnell es wächst. Wenn nun ein immer kleinerer Teil der Gewinne investiert wird, dann läuft also etwas falsch, weil das Kapital das Wachstum von sich aus bremst. 

Die Unternehmenslobby versucht den selbstverursachten Investitionsstau sich zunutze zu machen. Steuersenkungen würden das Investieren attraktiver machen und den Wirtschaftsstandort fördern, so das Standardargument. Es brauche »weniger Belastungen, weniger Bürokratie, weniger Steuern – und bessere Infrastruktur, mehr Anreize für Innovationen und Investitionen«, forderte der Präsident des mächtigen Industrieverbandes BDI, Siegfried Russwurm, Mitte Januar bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz. Die »Steuerlast« der Unternehmen solle auf »wettbewerbsfähige 25 Prozent« gesenkt werden. 

Doch letztlich ist das nur der Wunsch nach Steuergeschenken. Investiert wird meist nicht, wenn die Steuern niedrig sind, sondern wenn künftige Profite locken. So ist die Suche nach neuen, lukrativen Märkten und Geschäftsmodellen genauso alt wie die Akkumulationslogik und der Kapitalismus selbst. Dies wurde auch in den Jahren nach der Finanzkrise deutlich.

Das Kapital floss aus Spekulationszwecken nicht nur in die Immobilienbranche, es wurde auch massiv in die digitale Ökonomie gepumpt. So investieren die Kapitalist*innen weniger in ihr eigenes Unternehmen, sondern als private »Business Angels« in Start-ups. Und börsennotierte Unternehmen nutzen die steigenden Gewinne, um Aktien des eigenen Unternehmens zu kaufen und auf diese Weise die Kurse hochzutreiben. Elon Musks Tesla übrigens stand Ende 2008 noch kurz vor dem Konkurs, bevor das Unternehmen ihn während der Pandemie zum reichsten Menschen der Welt machte. So schaut er aus, der schöne neue Kapitalismus.

Simon Poelchau

Simon Poelchau ist Redakteur bei der Tageszeitung nd und schreibt über Wirtschaftsthemen.