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Angst vorm freien Freitag

Für die Arbeitgeber ist das Problem mit der 4-Tage-Woche weniger wirtschaftlicher Natur

Von Lene Kempe

An einem Standstrand steht ein Schild auf dem steht "Zum Rollmopsimbis 100 m"
Freitags einfach mal Rollmops essen gehen, statt zur Arbeit. Foto: Matthias Berg/Flickr

Dass die 4-Tage-Woche ein umsetzbares Modell ist, steht außer Frage. Island hat sie nach einer mehrjährigen Testphase für viele Beschäftigte eingeführt, ebenso wie Belgien. In Großbritannien haben 56 von 61 Unternehmen, die sich an einem Modellversuch beteiligten, angekündigt, dabei bleiben zu wollen: Die Beschäftigten dort erhalten nun 100 Prozent ihres Gehalts für 80 Prozent der Arbeitszeit. Auch in Neuseeland und Spanien gab es erfolgreiche Pilotprojekte. Während Isländer*innen indes noch immer 35 und Belgier*innen sogar 40 Wochenstunden in vier Tagen ableisten müssen, orientiert sich die IG Metall an dem britischen Vorbild: In die Ende November startenden Tarifverhandlungen in der Eisen- und Stahlindustrie in Nordwest und Ost geht die Gewerkschaft mit einer Forderung nach einer Reduzierung der Arbeitszeit auf 32 Stunden in vier Tagen bei vollem Lohnausgleich sowie nach einer Lohnerhöhung um 8,5 Prozent.

Das ist eine angemessene Antwort auf gleich mehrere drängende Probleme. Denn die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass Krankheitstage, Burnouts oder auch Kündigungen deutlich zurückgingen und dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen deutlich stieg. Entgegen anders lautender Behauptungen könnten davon auch und gerade Branchen profitieren, in denen akuter Fachkräftemangel herrscht, wie etwa in der Pflege. Denn das Problem ist hier nicht, dass es keine Menschen gibt, die dort arbeiten wollen, sie wollen es nur häufig nicht unter den jetzigen Bedingungen. Als bundesweit erstes Krankenhaus haben deshalb nun die Hochtaunus-Kliniken angekündigt, für alle Berufsgruppen an drei Standorten die Vier-Tage-Woche einzuführen – allerdings bei gleicher Arbeitszeit. Das ist immerhin ein Anfang, wenngleich eine Umfrage im letzten Jahr deutlich machte, dass vielen Arbeitnehmer*innen dieses belgische Modell nicht ausreicht: Die 77 Prozent der Befragten, die sich für die 4-Tage-Woche aussprachen, wünschten sich im Durchschnitt eine Arbeitszeit von 34,3 Stunden. Und 63 Prozent wollten vollen Lohnausgleich. Die IG Metall ist also absolut am Puls der Zeit.

Wie immer, wenn es um Verbesserungen für die Beschäftigten geht, kündigen die Arbeitgeber*innen vorsorglich den Untergang des Industriestandortes Deutschland an.

Doch wie immer, wenn es um Verbesserungen für die Beschäftigten geht, kündigen die Arbeitgeber*innen vorsorglich schon mal den Untergang des Industriestandortes Deutschland an. In Zeiten zurückgehenden Wachstums und erhöhter Konkurrenz weniger zu arbeiten, wird als abenteuerliche Vorstellung abgetan. Entsprechend werden in wirtschaftsliberalen Kreisen ganz andere Modelle diskutiert: Der Direktor des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, fordert etwa seit Monaten lautstark eine Ausweitung der Arbeitszeit: weniger Urlaubstage, Teilzeitmodelle abbauen, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt. Auch BDI-Präsident Siegfried Russwurm sprach sich schon im vergangenen Jahr für eine 42-Stunden-Woche aus. Alle sollen anpacken, um den Standort Deutschland zu retten. »Vier Tage arbeiten, drei Tage chillen« (Frankfurter Rundschau) ist nicht.

Dabei dürfte sich die Unternehmensseite weniger um schlechtere Geschäftszahlen Sorgen machen. Denn die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die 4-Tage-Woche zu deutlichen Produktivitätsgewinnen geführt hat. Auch hat die Metallindustrie schon lange Erfahrungen mit reduzierter Arbeitszeit, gilt hier doch seit Jahrzehnten die 35-Stunden-Woche.

Was den Wirtschaftsvertreter*innen am meisten Sorgen bereiten dürfte, ist die Machtverschiebung zwischen Kapital und Arbeit, die in dieser Debatte ihren Widerhall findet. Das Selbstbewusstsein der Beschäftigten ist gestiegen, das haben die großen Streikwellen im Frühjahr und Sommer und die vergleichsweise hohen Lohnforderungen eindrücklich vor Augen geführt. Viele wollen sich nicht mehr für die Profite von – immer häufiger mit Milliarden subventionierten – Unternehmen ausbeuten lassen. Dass zwei Drittel der Beschäftigten mit ihren Sympathien für das neue Arbeitszeitmodell auch den »Wir-für-Deutschland«-Arbeitsethos in Frage stellen, ist vermutlich das größte Problem der Kapitalseite. Passend dazu geisterte vergangene Woche ein Video durch die sozialen Medien. Darin spricht der australische Immobilientycoon Tim Gurner sehr offenherzig aus, was vermutlich auch Michael Hüther denkt: »Wir müssen die Menschen daran erinnern, dass sie für den Arbeitgeber arbeiten und nicht umgekehrt. We’ve got to kill that attitude.«

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.