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Krieg ohne Ende

Der Angriff auf die Ukraine hat die Welt in eine Lage gebracht, die nur eskalieren kann

Von Tomasz Konicz

Die Krieg wird immer weiter eskalieren, ein Frieden scheint nicht möglich. Foto: UNDP Ukraine / Flickr , CC BY-ND 2.0

Die Ukraine ist dabei, den Krieg zu verlieren. In einem Interview mit der französischen Zeitung Le Figaro warnte der polnische Präsident Andrzej Duda, dass Wladimir Putin siegen könnte. Und zwar wenn nicht in den kommenden Wochen massive westliche Waffenlieferungen in die Ukraine erfolgen, so Duda. US-Medien bezeichneten die Bemühungen der ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij, bei seiner letzten Auslandsreise den Westen zur Lieferung von Kampfflugzeugen zu bewegen, als »verzweifelt«. Kiew gerät zunehmend militärisch unter Druck.

Schon jetzt sind die Verluste in diesem Krieg furchtbar – der russische Angriffskrieg hat bereits einer sechsstelligen Zahl an Menschen das Leben gekostet. Mitte Januar sind Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur militärischen Lage im Osten durchgesickert, wonach die Ukraine allein in Bachmut täglich eine »dreistellige Zahl an Soldaten« verliere. Überdies drohten bei einem Verlust der Stadt »weitere Vorstöße ins Landesinnere« durch russische Truppen, da die gesamte ukrainische Verteidigungslinie aufgegeben werden müsste. Da keine der Kriegsparteien die Lufthoheit erringen konnte, ist der Krieg seit Winter ein Abnutzungs- und Stellungskrieges, ähnlich dem Ersten Weltkrieg.

Ausweglose Schlachten

In der Ukraine müssen immer neue Einheiten in die Schlacht geworfen werden, um die Lücke in der Front zu schließen oder den Durchbruch auszuweiten, während die Gegenseite diese mittels drohnengestützter Ortung und Artillerieschlägen in Stücke schießt. Die meisten Toten dieses Krieges sind Opfer von Artilleriegranaten; sie sterben, bevor sie überhaupt einen Gegner zu Gesicht bekommen haben. Die rasch expandierenden Friedhöfe der Ukraine gleichen derzeit einem Fahnenmeer, auf denen permanent neue Gräber für Gefallene ausgehoben werden müssen.

Beide Seiten haben bereits Tausende von Soldaten allein beim Kampf um Bachmut verloren, doch hat es der Kreml offensichtlich vermocht, nach den Desastern und Katastrophen des vergangenen Jahres seine Militärmaschine zu stabilisieren. Auch wenn dem trägen und korrupten Militärapparat Russlands noch gelegentlich schwere Fehler unterlaufen, die Hunderten Soldaten das Leben kosten, so hat sich die Versorgungslage der russischen Armee zumindest entspannt. Der katastrophale Mangel, der die ersten Kriegsmonate prägte, ist durch eine Verbesserung der russischen Logistik gemildert worden. Die Idee, die russischen Terrorangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine würden durch einen Raketenmangel ein Ende finden, hat sich blamiert, wie die anhaltenden Angriffswellen zeigen. Ziel ist vor allem die ukrainische Infrastruktur. Die Raketen sorgen für schwere Schäden, auch weil bei längerem Stromausfall in Frostperioden die Wasser- und Abwassersysteme aufgrund platzender Rohre zerstört werden.

Der Kreml richtet die russische Wirtschaft für einen langen Krieg aus, während Reorganisierungsbemühungen der Militärverwaltung und Infrastruktur zu einer dauerhaft höheren Mobilisierungsrate führen sollen. Die russische Regierung denkt im Hinblick auf den Krieg bereits in Jahren: Die Zahl der russischen Militärangehörigen soll bis 2026 von einer Million auf 1,5 Millionen erhöht werden. Das Institute for the Study of War (ISW) spricht in diesem Zusammenhang von organisatorischen Schritten, die Russland befähigen sollen, einen »großen konventionellen Krieg« zu führen.

Die russische Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten ist inzwischen trotz aller Friktionen und Unzulänglichkeiten nahezu abgeschlossen. Der Kreml will offensichtlich nun seinen imperialistischen Eroberungsfeldzug intensivieren. Das dürfte funktionieren, solange die neuen Waffensysteme, die der Westen Kiew liefern will, noch nicht auf dem Schlachtfeld angekommen sind, was aufgrund der schwierigen Lieferung und notwendigen Ausbildungszeit mitunter Wochen oder Monate dauern könnte. Es ist faktisch ein mörderischer Wettlauf zwischen westlichen Waffenlieferungen und russischen Vormarschbemühungen. Laut westlichen Schätzungen konnte Russland sogar bis zu 500.000 Soldaten mobilisieren, die nun für eine Offensive bereitstehen, während die ukrainische Armee kaum noch in der Lage ist, die Front im Osten zu halten.

Der Atomkrieg ist inzwischen – da mit zunehmender Kriegsdauer alle Kriegsparteien immer mehr zu verlieren haben – eine reelle Option.

Russland verfügt über ein viel größeres militärisches und ökonomisches Potenzial als die Ukraine. Es waren der Größenwahn, die Vetternwirtschaft und die allgegenwärtige Korruption der Putinschen Staatsoligarchie, die zu den russischen Katastrophen des ersten Kriegsjahres führten. Doch inzwischen scheinen die Bemühungen des Kremls, diese überlegenen Ressourcen zu mobilisieren, erfolgreich zu sein. Im Klartext: Der Kreml wird den Krieg mittelfristig gewinnen, sollte der Westen nicht zu einem weiteren Eskalationsschritt bereit sein. Deswegen nimmt die Diskussion über die Lieferung neuer Waffensysteme – inzwischen sind es Kampfflugzeuge – in der westlichen Öffentlichkeit an Fahrt auf. Sie ist ein implizites Eingeständnis, dass die Balance des Krieges zugunsten Russlands zu kippen droht.

Eskalation ohne Ausweg

Wenn Russland nicht die Oberhand gewinnen soll, dann muss der Westen die Waffenlieferungen stark ausweiten. Und selbst dies dürfte schlicht zu wenig sein. Vielmehr würde dadurch die Eskalationsspirale mittelfristig bis zur direkten Intervention des Westens getrieben werden. Die Chancen Kiews, noch entscheidende Geländegewinne gegen Russland zu erzielen, sind – unterhalb der Schwelle eines Großkriegs zwischen Ost und West – verschwindend gering.

 Die brutale Wahrheit ist, dass es keinen »guten« Ausgang aus diesem imperialistischen Krieg gibt. Entweder wird es zu einem schmutzigen geopolitischen Deal zwischen dem Westen und dem Kreml kommen, bei dem Teile der Ostukraine faktisch in das russische Imperium eingegliedert werden, während das restliche Land der westlichen Einflusssphäre zugeschlagen wird. Oder die Eskalationsspirale wird sich weiterdrehen, der Konflikt eskalieren, bis der Krieg vollends außer Kontrolle gerät. Der Kontrollverlust dürfte die Form eines nuklearen Schlagabtauschs annehmen, da Russland bei dieser konventionellen Eskalationsspirale gegenüber der Nato am kürzeren Hebel sitzt. Der Atomkrieg ist inzwischen – da mit zunehmender Kriegsdauer alle Kriegsparteien immer mehr zu verlieren haben – eine reale Option. Während UN-Generalsekretär Guterres Anfang Februar vor einem vom Ukrainekrieg ausgehenden »Großkrieg« warnte, forderte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Staatengemeinschaft auf, sich auf einen Atomkrieg vorzubereiten.

Was sind linke Antworten?

Die anstehende Eskalation im Osten bringt die Linke in eine Zwickmühle. Sie ist zwischen Pazifismus, als Kampf um die Abwendung eines nuklearen Großkrieges, und Antiimperialismus und damit der Unterstützung des ukrainischen Verteidigungskampfes gespalten. Einen Ausweg aus dieser realpolitischen Ausweglosigkeit böte eventuell die Forderung nach »bewaffneten Friedensverhandlungen«: Westliche Waffenlieferungen müssten mit Druck einhergehen, um ernsthafte Verhandlungen einzuleiten. Der Preis für die Fortsetzung des Krieges würde für den Kreml in die Höhe getrieben, während ein konkreter Ausweg aus der Eskalationsspirale gesucht werden könnte. Der Kreml kann nur mit einem Deal zu einem Teilverzicht von seinem imperialen Expansionsstreben genötigt werden. Damit würde sich die Linke auch von falschen Friedensfreund*innen wie Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und der AfD abgrenzen, die am Vorabend der drohenden Offensive in ihrem Aufruf faktisch eine Entwaffnung der Ukraine fordern.

Doch auch diese reine Verhandlungsstrategie wäre als Leitlinie einer emanzipatorischen Praxis nicht genug, da sie nicht an die Ursachen der allgemein zunehmenden Kriegsbereitschaft herangeht. Es ist offensichtlich die sozioökologische Krise des Kapitals, die die imperialistische Konfrontationsbereitschaft der Staatsmonster weiter anfacht. Ressourcen, wie die fruchtbaren Schwarzerdeböden der Ukraine, werden mit zunehmender Intensität der ökologischen Krise immer wichtiger. Der Kreml kämpft zudem buchstäblich um die Existenz seines erodierenden, von sozialen Spannungen zerrütteten Imperiums, während die überschuldeten USA den Dollar als Weltleitwährung und ihre Stellung als Hegemon dagegen behaupten müssen. Dieser eskalierende Konflikt zwischen Ozeanien (dem atlantischen und pazifischen Bündnissystem Washingtons) und Eurasien (China samt Russland) tobt derzeit nur in Osteuropa. Es könnte aber auch in Taiwan eine zweite Front entstehen.

Tomasz Konicz

ist Autor und Journalist. Von ihm erschien zuletzt das Buch »Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört«. Mehr Texte und Spendenmöglichkeiten (Patreon) auf konicz.info.