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Trump war kein Unfall

Der Autor Kazembe Balagun erklärt, warum der abgewählte Präsident Resultat einer langen Herrschaft von Republikanern und Mitte-Demokraten war

Interview: Julika Mücke

Kazembe Balagun arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York. Foto: Justin Thomas

Noch sitzt Donald Trump im Weißen Haus und offen ist, ob er es freiwillig räumen wird. Doch abgewählt ist er – und dies, so der US-Autor und Aktivist Kazembe Balagun, ist auch Verdienst einer durchaus erstarkten Linken. Balagun ist seit mehr als 20 Jahren Teil der Black Liberation Movement und arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York.

Nach langen Tagen der Ungewissheit ist nun klar, dass die Trump-Präsidentschaft vorbei ist. Wie reflektierst du die letzten vier Jahre?

Kazembe Balagun: Ich würde mich auf den Wahlergebnissen noch nicht ausruhen. Zum Zeitpunkt dieses Interviews stellt Trump die Ergebnisse in einer Reihe von Staaten in Frage. Das General Accounting Office (GAO), das für den Übergang zwischen zwei Präsidentschaften verantwortlich ist, hat die Wahl noch nicht bestätigt. Es ist zu erwarten, dass Trump mit Händen und Füßen gegen den demokratischen Willen der US-Amerikaner kämpfen wird.

Inwieweit hat die Trump-Präsidentschaft »die Linke« in den USA beeinflusst?

Trumps Niederlage ist weitgehend auf diese Linke zurückzuführen. Und mit der Linken meine ich hier einen Zusammenschluss von unterschiedlichen Kräften, wie die Bewegung Schwarzer Menschen, Frauenorganisationen, Gewerkschaften, fortschrittliche Kirchen und andere Vereinigungen. Nach dem Schock von Trumps Sieg im Jahr 2016 setzte bei vielen eine Orientierung in Richtung Basisorganisierung ein. Die Reaktionen auf das Einreiseverbot für Menschen aus muslimischen Ländern zu Beginn der Amtszeit, aber auch das Wachstum der Klimabewegung oder die Me-Too-Bewegung führten dazu, dass sich diese Basisorganisierung verankern konnte.

Auch auf institutioneller Ebene ist ja viel passiert.

Ja, die Sanders-Kampagne hat natürlich ebenfalls zu einem Erstarken der Linken geführt, insbesondere der starke Zuwachs bei den Democratic Socialists of America (DSA). Das führte auf institutionell-politischer Ebene zu wichtigen Fortschritten, beispielsweise der Artikulierung des Green New Deal sowie zur Wahl der »Squad«, einer Gruppe von vier jungen Frauen of Color, die 2018 ins Repräsentantenhaus gewählt wurden.

Wurde die Linke also durch die Trump-Ära eher gestärkt?

Na ja, von den positiven Entwicklungen, die ich gerade beschrieben habe, mal abgesehen, ist die Linke immer noch sehr unorganisiert. Außerhalb der DSA gibt es vor allem gemeinnützige Organisationen. Und es gibt lokale Basisgruppen, die dazu neigen, sich auf ganz bestimmte Themen zu fokussieren und zu beschränken. Sie leisten eine Menge Arbeit. Was es nicht gibt, ist eine sozialistische Partei, die Millionen Menschen organisieren könnte. Die DSA ist eher wie ein großer Dachverband, der aber wenig Verankerung in der Arbeiterklasse hat, insbesondere in den Communities of Color. Die DSA konnte Sitze in Kommunal- und Stadträten gewinnen. Durch ihre Strategie, eigene Kandidaten für demokratische Vorwahlen aufzustellen, hat sie außerdem dazu beigetragen, dass ein linker Flügel innerhalb der Demokraten entstanden ist. Das war aufregend. Auf der anderen Seite spielst du dabei immer noch auf dem etablierten Spielfeld. Es muss also gelingen, die Parteimaschinerie herauszufordern.

Es gibt lokale Basisgruppen, die sich auf bestimmte Themen fokussieren. Sie leisten eine Menge Arbeit. Was es nicht gibt, ist eine sozialistische Partei, die Millionen Menschen organisieren könnte.

Wie würdest du die öffentliche Debatte über Rassismus und Schwarzsein während der Präsidentschaft Trumps beschreiben?

Polarisiert. Auf der einen Seite gibt es eine Generation, die unter dem ersten Schwarzen Präsidenten aufgewachsen ist und für das Versprechen einer vielfältigen Demokratie kämpft. Auf der anderen Seite haben Trump und seine Verbündeten eine revanchistische Vision des Landes vorangetrieben. Und dieser Kampf ist nicht rhetorisch: In den Straßen wurde Blut vergossen, angefangen in Charlottesville mit dem Mord an Heather Hyer, bis zu den Schießereien in Kenosha, Wisconsin.

Während der Präsidentschaft von Obama war häufig die Rede vom »postrassistischen Diskurs« (1) in den USA, der erst durch den Tod von Michael Brown und die Black-Lives-Matter-Bewegung durchbrochen wurde.

Seit dem Tod von Michael Brown 2014 gab es eine Verschiebung innerhalb der Schwarzen Community: Ich denke, Schwarze Menschen waren seitdem eher bereit, Obamas neoliberalen Kurs zu kritisieren. Das zeigt sich auch darin, dass die drei Schwarzen demokratischen Kandidaten, die der Mitte der Partei zugeordnet werden – Kamala Harris, Cory Booker und Deval Patrick – bei den Vorwahlen nicht mehr als zehn Prozent der Schwarzen Stimmen bekommen haben. Die Mehrheit der jungen Schwarzen Menschen hat Elizabeth Warren oder Bernie Sanders, die zwei links-populistischen Kandidaten, unterstützt.

Welche Bedeutung hatten die Proteste für die Black Community?

Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat als ein Raum der Solidarität fungiert, oder wie meine Genossin Autumn Marie sagt, als »ein universeller Hashtag«, der unsere verschiedenen Bewegungen rund um die Welt vereint. Die Solidarität, etwa von unseren Brüdern und Schwerstern in Amsterdam, aber auch die antikolonialen Initiativen in Deutschland oder die große feministische Bewegung in Brasilien haben mich ermutigt und angespornt.

Die Zeit, in der die Black-Lives-Mater-Bewegung größer und sichtbarer wurde, war aber gleichzeitig auch die Zeit der Präsidentschaft Trumps, der rassistische Positionen vertritt und rechtsradikale Gruppen unterstützt. Wie erklärst du dir das Phänomen Trump?

Da darf man sich keinen Illusionen hingeben: Trump ist nicht einfach ein bedauerlicher Fehltritt gewesen, sondern das Resultat einer 50-jährigen Herrschaft von Republikanern und Mitte-Demokraten im Weißen Haus. Das reicht von Richard Nixons »Southern Strategy« und Ronald Reagans »war on drugs« (2) bis zu Bill Clintons Auflösen des sozialen Sicherheitsnetzes und der Masseninhaftierung einer ganzen Generation Schwarzer junger Menschen.

Das Amerika der Trump-Ära ist also nicht allein das Werk Trumps?

Trump hat nur noch Öl ins Feuer gegossen. Er ist ein verbitterter »Birther«, der die Staatsbürgerschaft von Obama anzweifelte. Auch Trumps Rufe nach dem Bau einer Mauer haben darauf abgezielt, unseren einwandernden Brüdern und Schwestern zu schaden. Trumps öffentliche Position und sein Umgang mit Twitter haben seinen Einfluss über die USA hinaus ausgeweitet. Er pflegt Freundschaften mit Jair Bolsonaro und Boris Johnson und verehrt den indischen Premierminister Modi, alles Politiker der (extremen) Rechten.

Wird die Präsidentschaft von Biden etwas an den Entwicklungen, die es unter Trump gab, verändern?

Im Augenblick ist das Schwarze Amerika von der Covid-19-Krise angeschlagen. Von den 200.000 Toten sind 40.000 Schwarze. Die Native Americans in New Mexico machen 57 Prozent der Covid-Fälle aus, obwohl sie nur elf Prozent der Bevölkerung stellen. Wie viele sagen: Wenn Amerika eine Erkältung bekommt, bekommen Schwarze und Native Americans die Grippe. Ich habe nicht viel Hoffnung in Biden, da er sich selbst als Mitte-Demokrat bezeichnet hat. Aber das Ausmaß und die Tragweite der Corona-Krise, von der Wirtschaft bis hin zu den Todesopfern, werden ihn zum Handeln zwingen.

Julika Mücke

Julika Mücke promoviert zu diskursiven Aushandlungsprozessen über die (De-)Legitimation von Rioting als Protest gegen Rassismus am Beispiel des Todes von Michael Brown 2014 in Ferguson/USA.

Anmerkungen:
1) Mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten 2008 galt einigen auch der Rassismus als überwunden.
2) Southern Strategy meint eine Strategie der Republikanischen Partei zur Gewinnung weißer Wählerstimmen im Süden der USA, die sich (verdeckter) rassistischer Narrative und Politiken bediente. Reagans »Kampf gegen Drogen« schloss an diese Strategie an und bildete zugleich eine Grundlage für eine Law-and-Order-Politik, die sich in Kontrollstrategien wie Racial Profiling zeigte.