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Thüringen: Von welcher Demokratie spricht er?

Von Hannah Eberle

Bodo Ramelow hat in seiner Erklärung »Demokratie ist keine Einbahnstraße« gerechtfertigt, weshalb er für einen AfD-Abgeordneten als Vizepräsident des Thüringischen Landtags gestimmt hat – nämlich als Demokrat, so schreibt er. Eines seiner zentralen Argumente zur Verteidigung dieser vielfach kritisierten Entscheidung lautet: Die Wahl sei notwendig gewesen, um die Handlungsfähigkeit im Richterausschuss wiederherzustellen. Die AfD habe diese Arbeit 14 Monate lang blockiert, da sie erst Kandidaten benennen wollte, wenn ihr AfD-Mann auch Vizepräsident des Landtags werde. Dieser Erpressung ist Ramelow nachgekommen – ohne Absprache mit seiner Partei. Was die formal-rechtliche Einschätzung angeht, schließe ich mich den Linkskanax an: Ja, das Thüringer Richtergesetz sieht vor, dass alle Fraktionen im Richterausschuss vertreten sein müssen. Wenn jedoch die AfD durch Nichtbenennung den Richterausschuss blockiert, hat sie dieses Recht selbst verwirkt.

Ein weiteres Argument ins Ramelows Erklärung: Man müsse Widerspruch aushalten können, um die »Verantwortung für die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen zu übernehmen«. Sein Demokratieverständnis ist also ein zutiefst bürgerliches, staatsdemokratisches, der linke Ramelow ein überzeugter Verteidiger jener Demokratie, die in ihrer Funktion und ihrer Form den Machterhalt der Klasse organisiert. Die ein Interesse daran hat, dass Mieter*innen, Erwerbslose, radikale Klimaschützer*innen und von Rassismus Betroffene niemals das Ruder übernehmen werden. Man muss nicht einmal aus einer linken Position heraus argumentieren, um darauf hinzuweisen, sondern kann sich auf Studien beziehen, die darlegen, dass von Armut und/oder Rassismus Betroffene nicht nur weniger vertreten sind in der repräsentativen Demokratie, sondern ihre Forderungen auch keine besondere Beachtung etwa im Deutschen Bundestag finden. 

Ramelows Beschwerde, seine antifaschistische Grundlage werde nach der Stimme für den AfD-Mann in Frage gestellt, kann uns nur kalt lassen. Seine Schlüsselfrage – »Führt das nicht eher dazu, all jene zu stärken, die uns immer wieder vorwerfen, wir würden alles so hinbiegen, dass die AfD draußen bleibt?« – beantworte ich gerne: Nein, ein solches Agieren stärkt all jene, die in dieser Demokratie munter töten, weil sie sicher sein können, dass sie einen Arm im Parlament haben und diese Demokratie sie schützt. Ramelows Argumentation erklärt den von Rassismus Betroffenen, sie müssen die AfD und den Rassismus in einer Demokratie eben aushalten. Auf diese Weise hat er ohne Anstand ausgerechnet auch diejenigen verraten, die sich an den (Stamm-)tischen Thüringens trauten, ihm den Rücken zu stärken. Denen die thüringische Linkspartei in den vergangenen Wochen zunächst Rückhalt gegeben hat. Mit dem unabgesprochenen Handeln ist das Oberwasser nun wieder auf der Seite der rechts-konservativen Kräfte.

Ich bin froh über die schnellen Reaktionen auf Halle, Erfurt, Hanau, Griechenland – sei es von Unteilbar, WannWennNichtJetzt, den Vielen und erst recht bin ich froh über die Reaktionen einer neuen Migrantifa. Ich bin froh, dass wir uns versammeln. Doch die Gefahr ist, dass wir selbst zu Verteidiger*innen dieser Demokratie werden, wenn wir Demonstrationen und Kundgebungen organisieren und sich diejenigen gerne bei uns zeigen, die diese Politik der Verachtung organisieren. Ramelows Handeln hat uns – als radikale Linke – vor Augen geführt, wie wir uns durch diese Reaktionen, statt Aktionen, im Zweifel zu Verteidiger*innen einer Demokratie machen, die nicht unsere ist. Ich nehme mich von der Kritik, die ich hier formuliere, selbst nicht aus. Auch weil ich ohne Umschweife sage: Ja, mir ist es lieber, wenn eine Koalition links von Schwarz-Blau regiert. Weil es noch trostloser und brutaler wäre, wenn es keine gesellschaftlich breite Antwort auf die Morde in Hanau, Halle oder an der griechischen Grenze gäbe. Doch Ramelows Missachtung des gesellschaftlichen Antifaschismus hat gerade vor Augen geführt, dass »Mitgehangen, mitgefangen« gilt, wenn unsere Politik dabei stehen bleibt. Die Lehre aus Thüringen muss sein, diese Demokratie von unseren Bewegungen heraus anzuzählen. Eine Demokratie, in der Frauen, von Rassismus Betroffene, Geflüchtete und ökonomisch Arme lernen sollen, die ihnen entgegen gebrachte Verachtung als Teil der Demokratie zu verstehen. Diese Demokratie möchte ich bekämpfen – zutiefst demokratisch. Sich auf Demokratie berufende Experimente in den Parlamenten erweisen sich in diesem Sinne leider als Hirngespinst, demokratische Experimente bei Welcome United, Ende Gelände oder Mieter*innenräten halte ich für die Zukunft.

Hannah Eberle

ist Aktivistin und Sozialwissenschaftlerin in Wien. Bis 2022 war sie Geschäftsführerin bei ak.