Zwei Generäle teilen ein Land
Mit der Gründung einer zweiten Regierung droht Sudan eine Spaltung ähnlich wie in Libyen
Von Saskia Jaschek

Seit fast zwei Jahren wütet der Krieg im Sudan. Schätzungsweise über 150.000 Tote und knapp 13 Millionen Menschen auf der Flucht machen den Konflikt schon lange zur größten humanitären Krise der Welt. Nachdem sich im Februar in Kenia eine zweite sudanesische Regierung formiert hat, droht dem Land nun eine Spaltung.
Ein neuer Staat?
Seit April 2023 kämpfen das sudanesische Militär (SAF), geleitet von General Abdelfattah al-Burhan, und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter der Leitung von General Mohamed Hamdan Dagalo (»Hemetti«) gegeneinander. Die beiden Generäle hatten im Oktober 2021 gemeinsam gegen die zivile Übergangsregierung geputscht, die 2019 nach der erfolgreichen populären Revolution gegen die islamistische Diktatur Omar al-Bashirs eingesetzt worden war. Ein interner Wettkampf der Putschisten um politische, wirtschaftliche und militärische Macht eskalierte zu einem bewaffneten Kampf.
Seitdem hat sich die Konfliktlandschaft in Sudan weiter ausgedehnt. Viele der zahlreichen Milizen und Rebellengruppen des Landes schlossen sich einer der beiden Seiten an. Sowohl SAF als auch RSF rekrutieren Zivilisten. Diese Rekrutierungen und die Bildung neuer bewaffneter Gruppen führten zur weitreichenden Militarisierung der Zivilbevölkerung.
Die staatliche Kontrolle unterliegt bisher der Regierung al-Burhans mit Sitz in Port Sudan am Roten Meer. Seit dem Putsch im Oktober 2021 ist der SAF-General de facto Staatspräsident des Sudans und wird als solcher von internationalen Staaten anerkannt.
Nun hat sich in Kenia eine Gegenregierung um den RSF-General Hemetti gebildet. Am 22. Februar unterzeichneten in Nairobi zahlreiche militärische Gruppen sowie politische und zivile Organisationen die Gründungscharta. Insgesamt 23 Einheiten beteiligen sich an der »Gründungsallianz für Sudan«. Sie soll einen autonomen Staat in den von den RSF kontrollierten Gebieten errichten.
Damit droht dem Land, wovor Beobachter*innen schon lange warnen: eine Teilung Sudans ähnlich wie in Libyen. Al-Burhan und das Militär würden dann einen Landesteil übernehmen, Hemetti und die RSF den anderen.
Zentrum-Peripherie-Ordnung
Ein solches Szenario scheint nicht nur für die Kriegsherren denkbar: Sudans Zivilgesellschaft ist tief gespalten in Unterstützende von SAF und RSF. Diese eklatante Spaltung ist historisch bedingt. Seit seiner Unabhängigkeit von der britisch-ägyptischen Kolonialherrschaft im Jahr 1956 ist das multiethnische Land sozial, politisch und wirtschaftlich zerteilt. Dabei bilden Sudans Norden und die Hauptstadt Khartum – die Heimat der Eliten – das dominierende Zentrum. Die ländlichen Regionen, insbesondere im Westen und Süden Sudans, werden hingegen seit Jahrzehnten politisch unterdrückt und wirtschaftlich ausgebeutet und damit randständig gemacht.
Die zentralistische Politik führte in der Vergangenheit immer wieder zu bewaffneten Konflikten in diesen Peripherien. Dabei wurden stets religiöse und ethnische Identitäten instrumentalisiert. So etwa wie im jahrelangen Krieg islamistischer Diktatoren gegen die pro-demokratische Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) im christlich geprägten Süden, der sich 2011 abspaltete und heute Südsudan bildet.
Ideologien wie die der arabischen und radikal-islamistischen Vorherrschaft waren Instrumente der wiederkehrenden Militärdiktaturen, um die eigene Macht und die wirtschaftlich lukrative Zentrum-Peripherie-Ordnung aufrecht zu erhalten. Politisch repräsentiert sind die Ideologien in der Muslimbruderschaft, die jahrzehntelang in Sudan regierte und nach wie vor stark in der SAF verwurzelt ist.
Hemetti macht sich diese Verbindungen seinerseits zu eigen und verwendet seit Kriegsbeginn eine Anti-Terror-Rhetorik, in der er sich als Bekämpfer des islamistischen Terrors der SAF inszeniert. Unter Verwendung demokratischer Sprache gibt er sich als Erlöser der Menschen in den Peripherien.
Denn Hemetti und die RSF stammen aus Darfur, einer der marginalisierten Regionen im Westen Sudans. Anfang der 2000er Jahre herrschte dort ein Krieg zwischen der islamistischen Militärregierung al-Bashirs und nicht-arabischen Rebellengruppen, der über 250.000 Menschen tötete und Millionen vertrieb. Hemetti war damals jedoch nicht Opfer, sondern Kriegsherr an der Seite al-Bashirs – ein ehemaliger SAF-General. Al-Bashir setzte arabische Milizen wie die Janjaweed im Kampf gegen die Rebellen ein. Diese Vorgängerorganisation der RSF stand unter Hemettis Leitung. Der Krieg endete in einem Genozid an nicht-arabischen Gemeinschaften, zum Großteil begangen von der Janjaweed.
Auch im jetzigen Krieg begehen die RSF ethnisch motivierte Massenmorde und machen sich damit erneut des Genozids an nicht-arabischen Gemeinschaften schuldig. Die SAF und ihre Anhänger*innen rechtfertigen daher ihren Kampf als den einer staatlich legitimen Institution gegen eine aus (nicht-sudanesischen) Söldnern bestehende »genozidale Miliz«, die zugunsten des nationalen Zusammenhalts beseitigt werden muss. Obwohl zutreffend, erweist sich die Beschuldigung als »genozidal« zum Teil als rhetorisches Manöver: Sollte es tatsächlich zu einer Landesteilung kommen, würden genau jene Gebiete, in denen es in diesem Krieg zu ethnischen Säuberungen kommt – vornehmlich der Westen und Süden Sudans – der RSF gehören, während die SAF womöglich Khartum, den Norden und den Osten – vorwiegend arabisch-muslimisch bevölkert – regieren würde. Die SAF scheint den Begriff »genozidal« also für sich zu instrumentalisieren, macht auch sie sich ethnisch motivierter Morde schuldig.
Dass die SAF besonders in Khartum und den benachbarten Gebieten Unterstützung findet, liegt auch daran, dass die RSF vor allem die Häuser und Güter der mittleren und oberen Schichten im wirtschaftlichen und politischen Zentrum angreifen und plündern.
Genau diese Kriegsführung bringt der RSF wiederum ihre Anhänger*innen. Obwohl sie auch internationale Söldner einsetzen, stammen die Kämpfer zum Großteil aus dem Sudan. Schon lange vor Kriegsbeginn rekrutierten die RSF besonders arme Menschen, zumeist aus randständigen Gebieten. Neben Armut instrumentalisieren sie so die Wut der Menschen über das historische Ausbeutungsverhältnis.
Nach zwei Jahren Krieg fällt es Menschen schwer, die andere Seite zu verstehen.
Wer sich wie im Krieg positioniert, ist demnach durch diverse intersektionale Verschränkungen struktureller Merkmale wie Klasse und Religion, ethnischer und geografischer Herkunft bedingt. Doch der andauernde Kriegspopulismus erschuf einen tiefen Graben zwischen Unterstützer*innen von SAF und RSF. Nach zwei Jahren Krieg, unzähligen Verlusten und Traumatisierungen fällt es vielen Menschen schwer, die jeweils andere Seite zu verstehen.
Geteilte Zivilgesellschaft
Wie tief die Spaltung verläuft, zeigt die Antikriegskoalition Taqaddum. Taqaddum ist ein Zusammenschluss verschiedener ziviler Personen und Initiativen und hatte sich seit Kriegsbeginn durch Verhandlungen mit der RSF für Frieden eingesetzt. Obwohl die Koalition stets ihre Neutralität betonte, wurde sie von SAF-Anhänger*innen beschuldigt, die RSF zu unterstützen. Damit verlor die Koalition massiv an zivilem Rückhalt. Das lag wohl auch daran, dass Taqaddum die Gräueltaten der Paramilitärs zugunsten ihrer Verhandlungsstrategie öffentlich nicht ausreichend verurteilte.
In der Folge wurden der Slogan »Nein zum Krieg« und die Forderung nach Friedensverhandlungen gleichgesetzt mit einer Legitimation und Unterstützung der RSF. Das erschwert die Friedensprozesse nicht nur auf militärischer, sondern auch ziviler Ebene. Der radikale Flügel der SAF-Anhänger*innenschaft geht sogar so weit zu sagen, der Krieg müsse militärisch, also mit einer absoluten Niederschlagung der RSF durch die SAF beendet werden.
Diese Differenzen führten auch zur Teilung von Taqaddum. Während ein Teil weiterhin auf Neutralität und Verhandlungen setzt, unterzeichnete der andere in Nairobi die RSF-Charta und bestätigte für manche, dass Koalition von Anfang an die RSF unterstützte.
In der Gründungscharta ist die Rede vom Aufbau eines »säkularen, demokratischen und nicht-zentralisierten Staates«. Mit dieser »Regierung von Frieden und Einheit«, wie es Unterzeichner*innen nennen, soll es in Zukunft nicht mehr zu ethnisch, religiös oder kulturell bedingter Ausgrenzung kommen.
Wären diese Worte wahr, könnten sie auch den brisanten Seitenwechsel des Rebellenführers Abdelaziz al-Hilu erklären. Al-Hilu gilt als radikaler Demokrat und war durch seinen jahrzehntelangen Widerstand Vorbild für viele Revolutionäre von 2019. Entsprechend überraschend ist es, dass genau er in Nairobi mitunterzeichnete. Welche Taktik al-Hilu verfolgt, weiß jedoch niemand.
Die Aussagen mancher Unterzeichner*innen von Nairobi geben zu verstehen, tatsächlich an einen Kurswechsel Hemettis zu glauben. In Anbetracht der zahlreichen Gräueltaten der RSF, die in den letzten Wochen öffentlich wurden – von Vergewaltigungen über Massenentführungen bis zum erneuten Aufdecken von Massengräbern – ist dieser Glaube schwer nachvollziehbar.
Sudans Geschichte ist voller brüchiger Abkommen und opportunistischer Allianzen. Plötzliche Seitenwechsel schüren Gerüchte über verborgene Verhandlungen und schaffen Unsicherheit. Es ist womöglich der Wunsch nach Klarheit, der zur teilweisen Radikalisierung der Zivilbevölkerung beiträgt und der den Gedanken an eine Landesteilung mit der Hoffnung auf Frieden erfüllt. Doch mit Blick auf das benachbarte Libyen ist nicht davon auszugehen, dass eine Spaltung tatsächlich Frieden bringen würde.
Gewonnen hat in diesem Krieg schon jetzt die islamistische Bewegung. Nicht nur konnte sie zahlreiche ihrer Mitglieder aus dem Gefängnis befreien – darunter Ex-Diktator al-Bashir. Es gelang ihr auch, ihre Netzwerke und Organisationen zu stärken und ihre Beziehung zum Militär zu intensivieren. Vor allem aber hat der Krieg die Verbindungen zwischen SAF und Islamisten in der Zivilgesellschaft normalisiert. Sie haben damit erheblich an Hegemonie gewonnen. Sollte es zum Kriegsende und einer erneuten Militärdiktatur kommen, ist es schwer vorstellbar, dass sich Sudans Bevölkerung so bald wieder gegen eine autokratisch-islamistische Herrschaft auflehnen würde.