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Konservative Leitkultur

Der Prozess gegen Hans-Josef Bähner offenbart institutionellen Rassismus und das schlummernde Gewaltpotenzial einer zutiefst bürgerlichen Welt

Von Çağan Varol

Bähners Schüler? Der verurteile CDU-Politiker war Ausbilder im Sportschützenverein. Foto: Dick Aalders/Flickr, CC BY-SA 2.0

In der Nacht vom 29. Dezember 2019 versuchte Hans-Josef Bähner, damals CDU-Bezirkspolitiker, einen 20-jährigen Mann mit gezielten rassistischen Provokationen auf sein Grundstück zu locken, offensichtlich um eine Notwehrsituation zu begründen. Vorangegangen war ein verbaler Streit. Als der junge Mann sich stattdessen wegdrehte, um zu gehen, schoss Bähner vorsätzlich aus ein bis fünf Zentimetern Abstand auf den Oberkörper des Mannes und traf ihn seitlich in die Schulter. Der Sportschützenausbilder Bähner hatte in der Tatnacht einen Teil seiner Waffen und Munition griffbereit in Plastikkörben vor seinem Fenster oder im Nachttisch gelagert. Etwa vier Kilogramm Schwarzpulver, 80 Kilogramm Munition und weitere vier Waffen befanden sich zusätzlich im Waffenkeller. Bähner zog sich nach der Tat in seinen Bungalow zurück, ohne die Polizei zu rufen, und beklagte sich in der Tatnacht gegenüber den Beamt*innen noch über das Polizeiaufgebot vor seiner Tür.

Anfang Januar fiel nun das Urteil gegen den CDUler: er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und unerlaubtem Waffenbesitz zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Anders als viele Beobachter*innen befürchtet hatten, kam Bähner somit immerhin nicht mit einer Bewährungsstrafe davon. Seine Verteidiger legten Revision ein.

Stammtisch und Schießübungen 

Die rassistische Gewalttat hatte in Köln und bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Prozessverlauf wurde nun deutlich, wie alltäglich Rassismus und männerbündische Verschwörungsfantasien in der Welt des konservativen Politikers waren. Während migrantische Rückzugsorte wie Shishabars behördlich und medial kriminalisiert werden, gehört die Institution Schützenverein, der Bähner angehörte,  für Konservative zur »deutschen Leitkultur«. Auch wenn sich die »Brauchtumspflege« vieler Vereine heute hauptsächlich auf gemeinsamen Alkoholkonsum und die Ausrichtung von Schützenfesten konzentriert, darf man nicht vergessen, dass es in Deutschland eine gefestigte und staatlich anerkannte Kultur des Schießens gibt. Diese Kultur zieht seit jeher nationalistische und gewaltaffine Personen an.

Die Alliierten hatten die Schützenvereine nach Kriegsende aufgrund ihrer aktiven Rolle im NS-Staat zunächst ganz verboten. Ab dem Jahr 1933 hatten sich die Vereine der NSDAP freiwillig angedient, indem sie ihre Infrastrukturen und Expertise angeboten und in vorauseilendem Gehorsam jüdische Mitglieder schon vor der Einführung des »Arierprinzips« aus ihren Reihen entfernten. Nach ihrer Anbindung an die SA im Jahre 1938 organisierten die Vereine die Schießausbildung von zwei Millionen Männern vor ihrer Einberufung in die Wehrmacht. Die neugegründete BRD erlaubte die Schützenvereine wieder, von denen viele auf die Mitgliederlisten der NS-Zeit zurückgriffen, um sich zu reorganisieren. Eine umfassende Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit blieb bislang aus.

Bis heute fehlt es an Sensibilität der Vereine gegenüber sich radikalisierenden Mitgliedern, gehören antimuslimischer Rassismus, Frauen-, Queer*- oder Geflüchtetenfeindlichkeit, antisemitische Stereotype oder das hetzerische Gerede über »kriminelle Ausländer« doch vielfach zum allgemeinen Stammtischtalk weißer Männerbünde, die die Schützenvereine nach wie vor dominieren.

Weder Bähners Schützenvereinsgenossen noch die Kölner CDU störten sich über Jahre hinweg an den Hasspostings ihres Bezirksrats.

Im Fall Bähner störten sich offensichtlich weder seine Vereinsgenossen, noch die Kölner CDU über Jahre hinweg an den online propagierten AfD-nahen und verschwörungsideologischen Hasspostings ihres Bezirksrats, in denen er unter anderem über den vermeintlichen Einfluss der Bilderberg-Konferenzen auf die »Flüchtlingskrise« fabulierte. Auf Forderungen nach einer Verschärfung des Waffenrechts entgegnete Bähner sinngemäß, dass man bald als normaler Bürger nicht mal mehr sein Selbstverteidigungsrecht ausüben könne. Aber auch sonst tat sich der Bezirkspolitiker in den sozialen Medien schon lange als rechter Law-And-Order-Fanatiker hervor. Nach Studierendenprotesten gegen den Polizeigewerkschafter Rainer Wendt schrieb Bähner von »Linksfaschisten« und er teilte gerne Fahndungsaufrufe der Polizei, die Menschen mit erkennbarer Einwanderungsgeschichte im Fokus hatten. Im Prozess spielten seine rassistischen und hetzerischen Kommentare im Netz allerdings kaum eine Rolle, bei der Polizei ging diese als »Kritik«, wenn auch als »teilweise grenzwertig« durch, wie der leitende Ermittler in der Verhandlung nochmals bekräftigte; »Ausländerfeindlichkeit« konnte er bei Bähner nicht erkennen. Eine detaillierte Analyse des Facebook-Profils durch einen Sachverständigen und damit vor der Öffentlichkeit wurde gerichtlich abgelehnt.

Angriff ist die beste Verteidigung

Bähners Anwälte, Boris Krösing und Mutlu Günal, traten in den acht Verhandlungstagen gezielt provokant und grenzüberschreitend auf. Mal wurde die Nebenklagevertreterin intellektuell abgewertet oder als »hysterisch« bezeichnet, mal betitelte der Anwalt Günal den Überlebenden als »Hochstapler«. Der Hauptverteidiger Bähners, Mutlu Günal, wurde bekannt als Rechtsbeistand von IS-Anhängern und Salafisten, wie dem Prediger Sven Lau. Lau erhielt 2017 eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, obwohl Günal auf Freispruch plädiert hatte. Auch im aktuellen Prozess wollte der Anwalt einen Freispruch erwirken. Bähner zeigte jedoch keinerlei Reue im Prozess, sein Verhalten war vielmehr von Gleichgültigkeit und Ignoranz gekennzeichnet, wie der Staatsanwalt und die Nebenklagevertreterin in ihren Plädoyers betonten.

Statt auf strafmilderndes Verhalten, setzte die Verteidigung Bähners auf Angriff und wartete sogar mit ethnisierenden Unterstellungen gegenüber dem Staatsanwalt des Verfahrens auf. Günal fabulierte davon, dass der Staatsanwalt mit ebenfalls türkischem Namen sich beleidigt gefühlt habe, da dessen Namen in einem Schreiben falsch geschrieben worden sei. Das Verfahren sei nur aus verletztem Stolz heraus politisiert worden. Auch die Betroffenen der rassistischen Gewalttat wurden von den Anwälten im Prozess rücksichtslos rassifiziert. »Der Türke oder der Afghane ist ein Kanake. Der Deutsche doch nicht«, war einer der Sätze, die Bähners Anwälte im Gerichtssaal von sich gaben. Diese argumentierten auch, dass die in der Tatnacht genutzten Begriffe wie »Dreckskanake« nicht gefallen sein könnten, da solche Begriffe über 70-Jährigen wesensfremd seien.

Die Strafkammer ließ die Kriminalisierungsstrategie der Verteidigung gegenüber dem Opfer und seinen Begleitern ebenso zu, wie die Reproduktion von rassistischen Stereotypen und die offensichtliche Strategie einer Täter-Opfer-Umkehr. Als Rechtfertigung gab der Vorsitzende bei der Urteilsverkündung an, dass eine robuste Befragung der Zeugen notwendig war, da man über den Freiheitsentzug des Angeklagten entscheide. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass den Betroffenen ihre Sozialisation und ihr Klassenstatus angelastet wurden, und man als Prozessbeobachter in der Verhandlung oftmals in Unsicherheit darüber verfiel, wer denn tatsächlich auf der Anklagebank sitzt.

Der Staatsanwalt und die Nebenklagevertreterin betonten dennoch die Gefährlichkeit des Täters, die sich für die aus dessen Gesinnung und Waffenaffinität ergab. Bähner sei zwar kein organisierter Neonazi, verfüge aber über ein rechtes, teilweise rassistisches, xenophobes, antisemitisches und migrationsfeindliches Weltbild, das die Tat wahrscheinlicher gemacht habe, so der Staatsanwalt Sinan Şengöz. Eine Aussetzung auf Bewährung lehnte er daher ab und wies auf das gestörte Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hin. Die »perfide und bösartige« Tatbegehung müsse ins Urteil einfließen.

»Fremdenfeindlichkeit« statt Rassismus

Die Strafkammer schloss sich im Endeffekt der Argumentation der Staatsanwaltschaft an, denn für eine »Notwehrsituation«, wie sie die Verteidigung zu konstruieren versucht hatte, fehlte ganz klar ein Angriff. Statt sich wegen einer banalen Ruhestörung mit einer unregistrierten Pistole zu bewaffnen und einen 20-Jährigen in Lebensgefahr zu bringen, hätte auch ein Anruf beim Ordnungsamt oder eine nicht-beleidigende Ansprache der Heranwachsenden seinen Zweck getan, so der Staatsanwalt. Doch Bähner wollte die Jugendlichen aufgrund ihrer Herkunft nicht im Nahbereich seines Hauses haben.

Dass es überhaupt zur Benennung des rassistischen Tatmotivs durch das Gericht kam, war wie so oft, auch im Falle Bähners kein Selbstgänger. Während der polizeilichen Ermittlungen wurden die Aussagen des Geschädigten und der Zeugen bezüglich der rassistischen Motivation des Täters als zu »unkonkret« abgetan, und die Version des Täters in der polizeilichen Darstellung privilegiert. Solange, bis nach einem WDR-Bericht im Kommissariat das aufkam, was eine Polizistin in der Verhandlung »Thermik« nannte, und was sich vermutlich auch als zunehmende Nervosität der Beamt*innen angesichts öffentlicher Kritik beschreiben ließe. Dass der veränderte Umgang der Polizei mit dem Fall nach der kritischen Medienberichterstattung zu einem wirklichen Bewusstseinswandel bei den Beamt*innen führte, ist dennoch kaum anzunehmen: Noch in der Verhandlung sprachen Polizist*innen von »Fremden- und Ausländerfeindlichkeit«, anstatt von Rassismus. Dieselbe Ignoranz zeigte das Gericht, das gemäß § 46 Abs. 2 StGB zwar strafverschärfend die »Fremdenfeindlichkeit« Bähners ins Urteil aufnahm, sich aber nicht explizit auf rassistische Beweggründe und Ziele des Täters berief. Als strafmildernd wurden Bähners hohes Alter, fehlende Vorstrafen, die gegenseitigen Beleidigungen und »soziale Repressalien« gezählt, wie eine angebliche mediale Stigmatisierung im Laufe des Prozesses. Ob damit auch die aktivistische Prozessbeobachtung gemeint war, blieb unklar.

Deutlich wurde nicht zuletzt auch, dass eine linke Gegenöffentlichkeit, die Aktivist*innen und Initiativen wie Tatort Porz von Beginn an sichergestellt haben, notwendig war und bleibt. Nicht nur für den Prozessverlauf, der damit stärker in die mediale Aufmerksamkeit gerückt ist und detailliert schriftlich dokumentiert wurde, sondern auch für die Familie des Opfers, dessen Mutter sich am Ende bedankte, nicht allein gelassen worden zu sein.

Çağan Varol

promoviert im Bereich Stadtpolitik und -soziologie und beschäftigt sich dabei mit der Problematisierung von Migration am Beispiel der Kölner Keupstraße. Er versteht sich als kritischer Rassismusforscher.