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Subunternehmer der Besatzung

Hazem Jamjoun über die Geschichte der Palästinensischen Autonomiebehörde und ihre Rolle als Komplizin der israelischen Politik

Interview: Maryam Puvogel Chakib

Die Autonomiebehörde ist in vielen Entscheidungen von Israel abhängig. Szene in Betlehem an der Trennmauer, die Israel entlang der Grenze zur Westbank errichtet hat. Foto: Montecruz Foto / Flickr, CC BY-SA 2.0

Seit einigen Jahren mehren sich palästinensische Stimmen, die eine scharfe Kritik an der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) formulieren. Dabei geht es nicht nur um den zunehmenden Autoritarismus unter Premierminister Mahmoud Abbas, sondern auch um die Strukturbedingungen der Autonomiebehörde. Eine der zentralen Funktionen der PA ist die in den Osloer Abkommen verankerte »Sicherheitskoordination«, die die Zusammenarbeit zwischen der israelischen Armee und den palästinensischen Polizei- und Geheimdiensten umfasst. Im Kontext dieser Zusammenarbeit überwacht und verfolgt die PA Aktivist*innen, Studierende, Linke, auch islamische Parteien. Zu ihren Methoden gehören systematische Folter sowie »präventive Festnahmen«, bei denen, ähnlich wie bei der israelischen Administrativhaft, keine Anklage erhoben wird.

Nachdem der israelische Ministerpräsident, Benjamin Netanjahu, angekündigt hatte, Teile der Westbank zu annektieren, setzte die PA im Mai 2020 die Zusammenarbeit mit Israel aus. Es war nicht das erste Mal, dass die PA auf diese Weise versuchte, Druck auszuüben, und auch dieses Mal gab es viele Hinweise darauf, dass der Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten weiterlief. Nach dem Wahlsieg von Joe Biden bei den US-Präsidentschaftswahlen sprach die PA umgehend von einer Wiederaufnahme der Koordination unter Vermittlung der neuen US-Regierung, nicht zuletzt, weil sie von der Kooperation finanziell völlig abhängt. Mit dem Journalisten und Aktivisten Hazem Jamjoun sprach Maryam Puvogel Chakib darüber, wie die Palästinensische Autonomiebehörde zum Subunternehmer der Besatzung wurde.

Wegen ihrer Verflechtung mit dem israelischen Sicherheitsapparat bezeichnen kritische Analyst*innen wie du die Palästinensische Autonomiebehörde als erste Verteidigungslinie der Besatzung. Was meinst du, wenn du sagst, dass dieses Verhältnis nur aus dekolonialer Perspektive zu verstehen ist?

Hazem Jamjoun: Die Autonomiebehörde wurde nicht erst als Folge der gescheiterten Oslo-Abkommen politisch korrumpiert und in die Rolle eines Subunternehmers der Besatzung gedrängt. Vielmehr ist die PA der erste erfolgreiche Versuch des israelischen Militärs, eine lokale Autorität zu installieren, die Teile der Verwaltung und Kontrolle der besetzten Bevölkerung in ihrem Interesse übernimmt. Dafür müssen wir uns zunächst die Ereignisse nach dem Sechs-Tage Krieg von 1967 ansehen.

Warum?

Nach ’67 kontrollierte der israelische Staat Länder, die dreimal so groß waren wie das vorherige Staatsgebiet. Diese Landgewinne kamen jedoch mit einer Bevölkerung. Anders als während der Nakba 1948, durch die zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung vertrieben wurden, war das soziale Gefüge an den meisten der 1967 besetzten Orte noch intakt, trotz der 400.000 gewaltsam vertriebenen Menschen. Das Potenzial für Proteste und Aufstände gegen die Besatzung war daher von Beginn an hoch. Für die Besatzungsmacht ergab sich daraus der dringende Bedarf, eine Strategie für die Verwaltung der Bevölkerung zu finden. Kurz nach ’67 bestand die israelische Strategie darin, sich auf die bestehenden Strukturen der jordanischen Monarchie zu stützen, die bis dahin die De-facto-Regierung in der Westbank gestellt hatte. Das israelische Militär nutzte die jordanischen Patronagenetzwerke, um die ländlichen Gemeinden zu regieren. Das stärkte die bestehenden feudalen Strukturen, etwa indem Gebiete in Einflusszonen bestimmter Patriarchen aufgeteilt wurden.

Die ersten Kommunalwahlen unter israelischer Militärbesatzung fanden 1972 statt. Tatsächlich durfte jedoch nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung wählen. Man musste männlich sein, Besitz haben, Steuern zahlen. Aber selbst von den Wahlberechtigten boykottierte die Mehrheit die vom Militär initiierten Gemeindewahlen. Die privilegierte Minderheit derjenigen, die wählen gingen, wählte die gleichen Scheichs, die zuvor vom Militär als Gemeindeführer eingesetzt worden waren.

Foto: privat

Hazem Jamjoun

ist palästinensisch-kanadischer Journalist, Politologe und Aktivist. Er arbeitete als Wissenschaftler für die American University of Beirut und als Kurator an der British Library in London. Das Interview führte Maryam Puvogel Chakib von Ramallah aus.

Die nächste Kommunalwahl in der Westbank fand 1976 statt.

Der Triumph der Widerstandsbewegung machte neue Ansätze zur Kontrolle der Bevölkerung in den besetzten Gebieten erforderlich. Dabei wurde sich für ein System der »indirekten Herrschaft« entschieden. Dieser Ansatz stammt direkt aus dem imperialen Handbuch des Kolonialismus im späten 19. Jahrhundert; das britische Empire hatte ein solches System zuerst in Nigeria durch Lord Luga etabliert. Im Wesentlichen funktioniert indirekte Herrschaft durch das Einsetzen einer loyalen lokalen Elite, die im Tausch für Privilegien die eigene Bevölkerung im Interesse des Empires kontrolliert. Diese Strategie benötigt nicht nur viel weniger Ressourcen, sie sorgt auch dafür, dass subversive Potenziale in der Bevölkerung frühzeitiger erkannt und unterdrückt werden können.

Der erste Anlauf, eine solche indirekte Herrschaftsform in Palästina zu installieren, fand nach dem Debakel der Kommunalwahlen 1976 in Dura statt. Hier entwickelte das israelische Militär mit dem palästinensischen Geschäftsmann Mustafa Dudin die sogenannten Village Leagues. Oberflächlich sahen die Village Leagues aus wie ein Bauernverband, tatsächlich waren sie ein politisches Gremium, das in Zusammenarbeit mit dem Militär die zivilen Angelegenheiten der ländlichen Bevölkerung verwalten sollte. Dudin wurde für seine Kollaboration mit dem Militär schnell zu einer persona non grata in der Bevölkerung, die Village Leagues blieben ein Pilotprojekt. Erst nach der Wiederwahl des Likud im Jahr 1981 wurde die Strategie unter Menachim Milson, dem Chef der israelischen Militärverwaltung der Westbank, ausgebaut. Das Hauptinteresse galt der Schaffung einer dem Militär gegenüber loyalen Alternative zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO).

Welche Auswirkungen hatte die erste Intifada ab 1987 auf die Politik der Besatzung?

Durch die Ereignisse der ersten Intifada musste Jordanien seine Ansprüche auf die Westbank aufgeben und erklärte 1988, dass die Westbank nun eine Angelegenheit der PLO sei. Dies machte für das israelische Militär die Existenz einer lokalen Stellvertreter-Instanz dringlicher. Dabei kam dem Militär der Wandel in der politischen Strategie der PLO Ende der 1980er zugute. Diese war nach dem Verlust ihrer Basis in Jordanien und der vernichtenden Niederlage im Libanon existenziell geschwächt und hatte sich neu ausrichten müssen.

Worin bestand die Neuausrichtung?

Jassir Arafat, der damalige Vorsitzende der PLO, entschied sich für die Fokussierung auf die Erringung von Staatlichkeit, auf Kosten der vorherigen, weit darüber hinausgehenden Forderungen nach Dekolonialisierung. Daraus entstand eine widersprüchliche Überschneidung von Interessen. Die israelische Regierung wollte eine lokalen Körperschaft, die die Palästinenser*innen in ihrem Sinne verwalten sollte. Auf der anderen Seite wollte Arafat die Anerkennung der PLO als alleinige Vertretung der Palästinenser*innen. Diese Konstellation schuf im Abkommen von Oslo die Grundlage für die Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die PLO hatte ein klar artikuliertes Interesse an der Erringung staatlicher Souveränität, während die israelische Seite sicherstellte, dass alle Merkmale eines souveränen Staates – wie die Kontrolle über Grenzen, eine Armee, die Fähigkeit, die eigene Bevölkerung zu schützen, oder sogar über die Nutzung seiner landwirtschaftlichen Ressourcen – nicht Teil der Osloer Abkommen waren. Tatsächlich ist ein Blick in die israelischen Dokumente zur Funktion der Village Leagues aufschlussreich, da die ihr zugedachte Autorität sich ziemlich genau im Zuständigkeitsbereich der PA wiederfindet, der in Oslo festgelegt wurde.

Es gelang der israelischen Verhandlungsseite in Oslo, die PLO dazu zu bewegen, ihrer Metamorphose zur PA zuzustimmen und so zum Subunternehmer der Besatzung zu werden?

Ja, auch wenn man dazu sagen muss, dass die PLO-Führung, die Oslo verantwortete, davon ausging, dass dies alles nur ein Übergangsstadium sein würde, da in vier bis acht Jahren ein eigener Staat entstehen würde. Das linke Lager der PLO, das aus den Oslo-Verhandlungen ausstieg, warnte bereits damals, dass die Schaffung der PA die Depolitisierung der PLO zur Folge haben würde. Zudem vertritt die PA, anders als die PLO, nicht mehr die Rechte der palästinensischen Diaspora, die bis heute um ihr Recht auf Rückkehr kämpft. Mit der PA und Oslo wurde das Ringen um Befreiung auf die nationale Dimension in einem vermeintlichen Friedensprozess reduziert, in dem die Besatzer den Rahmen des Verhandelbaren festlegten.

Dadurch, dass die PA Oslo als Rahmen zustimmte, ist sie permanent gezwungen zu beweisen, dass sie in der Lage ist, israelische Interessen zu wahren. Die Kollaboration wurde zu einem heiklen Tanz, bei dem die PA eine Rhetorik aufrechterhalten musste, die vorgibt, gegen die Besatzung zu sein, während sie in Wirklichkeit völlig von ihr abhängig ist. Heute wissen die Menschen in der Westbank, dass das Militär kommt, um Verhaftungen oder Erschießungen vorzunehmen, weil das PA-Sicherheitspersonal sich plötzlich aus einem Gebiet entfernt. Erst nachdem das Militär abgezogen ist, kommt die PA zurück, als sei nichts passiert. Auch die vielen Aussagen von politischen Gefangenen, die bei Verhören in israelischen Militärknästen mit Informationen konfrontiert werden, die zuvor durch die Geheimpolizei der PA, die Preventive Security, gesammelt wurden, oder ihr Umgang mit Demonstrationen lassen keinen Zweifel an der Rolle der PA.

Trotz jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit der Besatzung und massiver politischer Verfolgung von Aktivist*innen sehen wir selten Proteste gegen die PA. Hängt dies mit der Tatsache zusammen, dass die PA in ihren Reihen viele ehemalige Widerstandskämpfer*innen beschäftigte?

Es ist in jedem Falle ein bedeutender Unterschied zu früheren Formen der indirekten Herrschaft. Da gab es einerseits die Widerstandsbewegung gegen die Kolonialherrschaft und andererseits die installierte Stellvertreter-Instanz. Die Ränge der PA waren jedoch vor allem in den ersten Jahren mit vielen PLO-Widerstandskämpfer*innen besetzt, die oft lange Haftstrafen in israelischen Knästen überlebt hatten.

Trotzdem gab und gibt es immer wieder Proteste gegen die PA. Aufgrund der Fragmentierung Palästinas durch die Besatzung erscheinen diese oft marginaler, als sie sind. Einer der größeren Aufständen der letzten Jahre war der Lehrendenstreik 2016, der von der PA brutal niedergeschlagen wurde. Eine Bewegung, die sich direkt gegen die Sicherheitskollaboration wandte, entzündete sich nach der Ermordung des Autors und Aktivisten Basel Al Arraj, den die israelische Armee 2017 mit Hilfe der Preventive Security in Ramallah aufspürte und erschoss.

Es gab immer wieder Fälle, in denen Einzelne aus den Reihen der PA ihre Waffen gegen die Besatzung richteten, aber eine organisierte Opposition gegen die eigene Instrumentalisierung blieb aus. Warum gab es nicht intern mehr Widerstand, als klarer wurde, welche Rolle der PA zugedacht war?

Es gab historische Momente wie die Intifada Al Nafaq 1997, in denen es massiven Widerstand aus der PA dagegen gab, Aufstände niederzuschlagen. Im Laufe der 1990er Jahre wurden Personen, die Widerstand gegen die neue Ordnung organisierten, nach und nach aussortiert und ersetzt, vom israelischen Militär erschossen oder zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Zudem ist Oslo nun 30 Jahre her. Die neuen Rekrut*innen in den Sicherheitskräften der PA, die nach den 2000er Jahren in den Apparat integriert wurden, wie auch die für Folter berüchtigten PA-Spezialkräfte der Dayton Group, die von den USA ausgebildet und finanziert wurden, haben keine Vergangenheit in der Widerstandsbewegung. Sie kennen nichts anderes als das Post-Oslo-System.

Trotzdem: Warum sehen wir trotz der Entwicklungen der letzten Jahre, v.a. des »Deal of the Century«, des neuen »Friedensplans« der Trump Administration, keine stärkere Opposition zur PA, die angesichts dieser Entwicklungen nach außen passiv und nach innen repressiv blieb?

Indirekte Herrschaft funktioniert, weil sie auf die grundlegenden Bedürfnisse der Gesellschaft ausgerichtet ist. Für die Village Leagues war geplant, dass die Menschen sich mit ihnen arrangieren würden, weil sie zur neuen Schnittstelle für alles werden würden, was man vom israelischen Militär als eigentlichem Souverän brauchte – von der Beantragung von Visa bis zum Führerschein oder Bankkonten. Das Konzept scheiterte jedoch, da die Beziehung zwischen den Village Leagues und dem Militär von Anfang an für alle sichtbar war. Dass Teile der Village Leagues vom israelischen Militär bewaffnet wurden und die eigene Bevölkerung terrorisierten, trug auch nicht gerade zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Die PA hingegen hatte durch die Präsenz ehemaliger Widerstandskämpfer*innen in den ersten Jahren nach Oslo genug Legitimität, um diese neue Ordnung zu etablieren. Seitdem ist es nicht mehr möglich, die kleinsten administrativen Angelegenheiten ohne die PA zu erledigen. Vor allem aber ist die PA seit den 2000er Jahren der größte Arbeitgeber in den besetzten Gebieten. Ein Drittel der Bevölkerung ist von Einkommen durch die PA abhängig.

Die PA leidet gegenwärtig nicht nur an fehlender Legitimation nach innen, sie bekommt auch massiv Druck von außen durch die sich verändernde Machtachse in der Region. Was für Aussichten gibt es für die Zukunft der PA nach Abbas?

Der Machtkampf um Abbas’ Nachfolge ist bereits losgegangen. Die innerpalästinensischen Machtkämpfe sind durch ihre Abhängigkeit von externen Finanziers untrennbar verbunden mit den regionalen Dynamiken. Spätestens seit dem Gipfel von Riyadh ist die Machtachse aus den Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Saudi-Arabien und Ägypten hier die dominante.

Im Gegensatz zu den meist in israelischer Haft befindlichen Politiker*innen, welche die Palästinenser*innen selbst als Nachfolger*innen favorisieren, protegieren sowohl Israel als auch die Golfstaaten die großen Köpfe des Repressionsapparats der PA als künftige Führer. Allen voran Mohammed Dahlan, einen abtrünnigen und im Exil lebenden Weggefährten von Abbas, der heute als politischer Spitzenberater auf der Gehaltsliste der VAE steht und maßgeblicher Architekt des Normalisierungs-Deals der Emirate mit Israel war. Zudem hat er enge Verbindungen zur Militärdiktatur in Ägypten. Dahlan ist in der palästinensischen Bevölkerung unbeliebt, er könnte also nur mit einer Mischung aus Gewalt und massiven finanziellen Anreizen eingesetzt werden.

Könnte das Vakuum nach Abbas nicht auch bereits existierende Forderungen nach einer Transformation des Status quo stärker werden lassen?

Die Aussicht auf eine politische Führung, die noch unerträglicher als die jetzige ist, könnte dazu führen, den Protesten gegen die PA Aufwind zu geben und diejenigen stärken, die eine grundlegende Veränderung des politischen Systems wollen. Die progressiven Stimmen, die den Bruch mit Oslo und die Auflösung der PA fordern, werden lauter.

Maryam Puvogel Chakib

forscht und arbeitet als Politologin zwischen Palästina und Berlin.