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Medikamenten­engpässe – ein hausgemachtes Problem

Von Jörg Schaaber

Porträt von Karl Lauterbach mit Fliege
Fehlende Medikamente sind kein neues Problem, schon gar nicht, wenn man auf den Globalen Süden schaut. Gesundheitsminister Lauterbach (SPD, hier 2013) will sich dem Problem mit einem Gesetz annehmen. Foto: Superbass / Wikipedia, CC BY-SA 4.0

In letzter Zeit überschlagen sich die Meldungen über fehlende Fiebersäfte für Kinder, aber auch bei wichtigen Krebsmedikamenten gibt es Versorgungslücken. Dabei ist das Problem nicht neu, Expert*innen warnen seit Jahren immer wieder vor Engpässen.

Vor Dramatisierungen sollte man sich allerdings hüten. Die meisten Lücken sind kurzfristig und oft kann man auf andere Mittel ausweichen. Ganz anders sieht es in weiten Teilen des Globalen Südens aus. Dort sind nicht verfügbare Medikamente ein Dauerproblem. Selbst Überlebenswichtiges wie Insulin oder Krebsmittel sind angesichts schwacher Gesundheitssysteme und geringer Einkommen für Kranke oftmals unbezahlbar. Bereits in den östlichen EU-Ländern bringt Big Pharma teure Neueinführungen des öfteren gar nicht erst auf den Markt. Hierzulande ist Geld keine Barriere, und Lieferprobleme sind noch die Ausnahme.

Die Krankenkassen aufgrund ihrer Rabattverträge für angeblich nicht mehr kostendeckende Preise verantwortlich zu machen, greift zu kurz. Sieht man einmal davon ab, dass der Bundestag entschieden hatte, von den Kassen für generische Wirkstoffe eine Ausschreibung zu verlangen, gab es in den vergangenen Jahren bei den Rabattarzneimitteln trotz niedrigerer Preise weniger Lieferausfälle als auf dem freien Markt. Schließlich verschaffen Rabattverträge den Firmen, die den Zuschlag erhalten, planbare Einnahmen. Die Rabattverträge haben auch nicht zu einer Konzentration auf wenige Anbieter geführt, das Gegenteil ist der Fall.

Die wichtigere Frage ist, was in der Pharmabranche noch als profitabel gilt und da haben sich die Maßstäbe in den letzten Jahren massiv verschoben. Mit neuen patentgeschützten Arzneimitteln lässt sich extrem viel Geld verdienen.

Dazu nur ein Beispiel: Krebsmedikamente waren schon immer etwas teurer. Obwohl sie nur 0,6 Prozent aller Verschreibungen ausmachen, verursachten sie 2011 bereits 5,7 Prozent der Arzneimittelkosten der Krankenversicherungen. 2021 waren es schon 20,7 Prozent – Tendenz weiter steigend. Der Anteil der patentgeschützten Medikamente an den Kosten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nimmt stetig zu. 21 Firmen verursachen gut 50 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben der GKV, sie haben im Schnitt eine Gewinnrate von 25,7 Prozent.

Trotzdem wird eher bei Generika als bei patentgeschützten Medikamenten an der Kostenschraube gedreht. Die 2011 eingeführte Nutzenbewertung bei neuen Medikamenten bringt zwar Einsparungen, die Profitträchtigkeit von Big Pharma hat sie allerdings nicht gebremst.

Hinzu kommen Qualitätsprobleme, die durch den Druck zur billigeren Produktion verstärkt werden. Auch wenn viele Hersteller im Globalen Süden sauber produzieren, gibt es wegen mangelnder Kontrolle immer wieder Skandale.

In den letzten Monaten gab es mehrere Vorfälle mit Husten- und Fiebersirup aus Indien, der durch schlampige Produktion Diethylenglykol (bekannt als Kühlerfrostschutz) enthielt. In Gambia, Indonesien und Usbekistan starben mehrere hundert Kinder. Näher kam uns die Verunreinigung von Herzmedikamenten mit krebserregenden Nitrosaminen, die in Deutschland zum Rückzug zahlreicher Generika über einen längeren Zeitraum führte. Übrigens ein krasses Versagen der europäischen Kontrollbehörden, die dem chinesischen Grundstoffhersteller grünes Licht für ein kostengünstigeres Produktionsverfahren gaben, das anfällig für Verunreinigungen ist. Nur durch einen Whistleblower flog die Sache 2018 auf. Bis heute werden immer wieder neue Wirkstoffe entdeckt, die mit Nitrosaminen verunreinigt sind. Bessere Qualitätskontrollen in der globalen Lieferkette sind also unentbehrlich.

Die Tendenz zur Gewinnsteigerung führt teils zu einer Konzentration auf wenige Rohstoffhersteller. Das kann nur durch regulierende staatliche Eingriffe geändert werden. Das Kernproblem ist ein monopolisierter Markt mit Produkten von oft fraglichem (Zusatz-)Nutzen. Das auf einem ausufernden Patentschutz hinarbeitende Forschungssystem hat versagt. Es beschert uns Mondpreise und verhindert in vielen Teilen der Welt die Versorgung von Erkrankten. Wichtige Forschung unterbleibt, weil sie weniger profitabel ist. Es bleibt dabei: Der Fisch stinkt vom Kopf her.

Jörg Schaaber

ist Soziologe und Gesundheitswissenschaftler, arbeitet seit vielen Jahren für die BUKO Pharma-Kampagne.