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Endlich Spaltung

Teile der Linkspartei verschlossen demonstrativ die Augen vor der Realität – das könnte sich rächen

Von Nelli Tügel

Endlich: Sahra Wagenknecht und die Linkspartei gehen getrennte Wege. Foto: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen/Flickr , CC BY-SA 2.0

Sahra Wagenknecht hat schließlich getan, was sie seit Monaten ankündigt und was die Linkspartei an den Rand des Kollaps gebracht hat: Sie hat am 23. Oktober in Berlin die Gründung des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit verkündet, der die Gründung einer Partei für Beginn des kommenden Jahres 2024 in die Wege leiten soll. Nicht schön, aber notwendig. 

Notwendig, weil die Linkspartei nicht mehr zusammenzuhalten war. Das ist schon seit mehr als einem Jahr klar – zu eklatant sind seit langem die Widersprüche in nahezu allen relevanten Themenfeldern der letzten Zeit: Migration, Minderheitenrechte, Corona, Friedenspolitik. Dass Teile der Partei – etwa Fraktionschef Dietmar Bartsch – bis kurz vor Schluss vor dieser Realität demonstrativ die Augen verschlossen haben, rächt sich nun brutal. Denn während Wagenknecht und ihre Getreuen vom immer wieder offen ausgetragenen Zoff mit ihren »Genoss*innen« profitieren und diesen medial höchst effektiv verwerten konnten, haben die anderen Teile der Linkspartei viel zu lange wie das Kaninchen vor der Schlange gehockt, beschwichtigt oder Konflikte negiert. Wofür sie stehen, was ihr Plan zur Rettung der Partei ist – das blieb viel zu lange im Unklaren. Jetzt versucht insbesondere der Parteivorstand, mit neuer Kraft genau auf diese Fragen Antworten zu geben. Doch möglicherweise ist es schon zu spät. Zeigen wird sich das in den kommenden Monaten. 

Die neue Partei wird der herrschenden Politik nicht wirksam entgegentreten, sondern sie höchstens um einen mit Wagenknechts Gesicht neu vermarkteten sozialdemokratisch-liberalen Nationalismus ergänzen.

Nicht schön – wenn auch alternativlos – ist die Ankündigung der Wagenknecht-Partei wiederum, weil sie ein Programm vertritt, das nicht geeignet ist, der herrschenden Politik wirksam entgegenzutreten, sondern sie höchstens um einen mit Wagenknechts Gesicht neu vermarkteten sozialdemokratisch-liberalen Nationalismus ergänzt. Das ließ sich bei der Vorstellung des Vereins am 23. Oktober in einer brechend vollen Bundespressekonferenz gut beobachten. Markenkern der neuen Partei soll offenkundig das Einstehen für »wirtschaftliche Vernunft« werden. Von den präsentierten Bulletpoints – weitere sind Soziale Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit – wurde diesem am meisten Raum gegeben. Klassenanalyse oder gar sozialistische Forderungen sucht man indes vergebens. Deutschland brauche »eine starke, innovative Wirtschaft«, heißt es auf der Seite des BSW.

Bei der Pressekonferenz in Berlin behauptete Wagenknecht, die Bundesregierung – ihr zufolge, die schlechteste in der Geschichte der Bundesrepublik – handle »selbstschädigend« (was soll das überhaupt heißen?). Sie forderte den Erhalt »unserer wirtschaftlichen Stärken«, die Förderung des »innovativen Mittelstands«, der auf ihrem Podium in Gestalt des Tech-Unternehmers und BSW-Kassenwartes Ralph Suikat vertreten war, günstige Energie aus Russland und die Stärkung der industriellen Wertschöpfung. Umverteilung ist in dieser Denke nichts, das aus Klassenkampf resultiert (der war ohnehin komplett abwesend bei der Vorstellung des Vereins), sondern daraus, dass es »der Wirtschaft« gut geht. Bis auf die Forderung, Gas wieder direkt aus Russland zu beziehen, könnten all diese Phrasen ebenso gut von den anderen Parteien – von Grünen bis zur AfD – außer (dem Großteil) der Linken stammen, der sie gerade den Rücken gekehrt hat. 

Apropos AfD. Seit sich in den vergangenen Monaten auch in Medien und Öffentlichkeit die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Wagenknecht-Partei kommen wird, werden Stimmen jenseits ihrer engeren Anhänger*innenschaft lauter, die doch darauf hoffen, dass Wagenknecht in der Lage sein könnte, die Rekordwerte der AfD zu reduzieren, in dem sie ihr Wähler*innen abspenstig macht. Möglich, dass das sogar kurzfristig gelingt, auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass es tatsächlich in den Dimensionen geschieht, die einige Umfragen prognostizieren. Denn dass am Ende Wähler*innen doch lieber zum Original greifen, ist vielfach belegt – und den AfD-Wähler*innen, die in Umfragen angeben, sich ein Votum für Wagenknecht vorstellen zu können, sind soziale Gerechtigkeit und blumige Worte zur deutschen Wirtschaft nun einmal nicht annähernd so wichtig wie Ausländer raus. Und dahingehend werden sie derzeit ohnehin von allen Parteien außer der Linken bedient.

Doch auch wenn es kurzfristig gelingen sollte, der AfD einige Wähler*innen abzujagen – in welches Programm werden diese integriert? So wie es sich ankündigt in eines, das recht vage bleibt – und damit auch eine Projektionsfläche für alle möglichen Vorstellungen ist, die dann schnell wieder enttäuscht werden dürften. Gerade dadurch kann die neue Partei schnell in die Lage geraten, nur zwei Möglichkeiten zu haben: enttäuschte Wähler*innen wieder zu verlieren oder aber sich weiter nach rechts zu drehen. 

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.