Kleine Freiheiten mit vielen Wenns und Abers
Das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz ist da – der Diskurs darüber wird dominiert von fabrizierten, reaktionären Ängsten
Es ist nicht perfekt, aber ein Schritt weiter sind wir schon mal«, schrieb eine befreundete Person am 12.April, dem Tag, an dem das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag verabschiedet wurde. Perfekt ist das Gesetz, das ab November die Änderungen von Geschlechtseinträgen und Vornamen für trans, inter und nichtbinäre Menschen (TIN*) regeln soll, wahrlich nicht. Die versprochene Selbstbestimmung bleibt weitgehend immateriell, und der um das Gesetz gesponnene Diskurs wird dominiert von fabrizierten, reaktionären Ängsten. Beispielhaft dafür stehen die transmisogynen Passagen des Gesetzes. So sollen Personenstandsänderungen von Menschen mit männlichem Geschlechtseintrag im Spannungs- und Verteidigungsfall nicht zulässig sein, und an anderer Stelle wird die Möglichkeit formuliert, Personen mittels Haus- und Vertragsrecht ausschließen zu dürfen, »zum Schutz der Intimsphäre«, was anhand imaginierter Bedrohungsszenarien in Frauensaunen begründet wird.
In dem »Frauensauna-Zugangs-Bestimmungsgesetz« verbleibt ebenfalls, dass Minderjährige unter 14 und Personen in rechtlicher Betreuung die Erklärung zur Personenstandsänderung nicht selbst abgeben können, sondern diese von Erziehungspersonen oder den Betreuer*innen und nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts erfolgt.
Der Spagat des Gesetzes zwischen Erleichterungen und Restriktionen steht sinnbildlich für die Widersprüche des sich progressiv verstehenden Liberalismus.
Weitere wesentliche Einschränkungen erwarten Menschen im Asylsystem. Eine Geschlechtseintragsänderung kann unwirksam gemacht werden, wenn sie im zeitlichen Zusammenhang mit einem Ereignis geschieht, das als Grund für eine Abschiebung gewertet wird. Das Gesetz begründet das mit dem Ziel, Abschiebungen zu erleichtern, und der Abwendung von betrügerischer Absicht und erklärt, dass der Versuch der Geschlechtseintragsänderung selbst als Indiz einer betrügerischen Absicht gewertet werden kann. Abschiebeschutz für TIN* aus humanitären Gründen wird so erschwert.
Der Spagat des Mehr-oder-Weniger-Bestimmungsgesetzes, zwischen Erleichterungen der Änderung des Geschlechtseintrags und gleichzeitigen Restriktionen, Ausnahmen und Verdachtsmomenten gegen TIN*, steht sinnbildlich für die immanenten Widersprüche des sich progressiv verstehenden Liberalismus. Einerseits steht das Versprechen individualisierter Freiheit, andererseits die Tatsache, dass bürgerliche Freiheit und Wohlstand angewiesen sind auf Ausbeutung von Arbeitskraft mittels vergeschlechtlicher und rassifizierter Kategorisierung und Unterdrückung.
Transgressionen dieser Kategorien werden mit an Kriminalisierung grenzenden Vorsichtsmaßnahmen überwacht, dank derer die gewährten Freiheiten schnell wieder eingeschränkt werden können. So ist zwar zuletzt der Abschnitt des Gesetzes, der bei Geschlechtseintragsänderung eine automatisierte Weitergabe vulnerabler Daten an Repressionsorgane wie BAMF, Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und weitere vorsah, dank Widerstände aus der Zivilgesellschaft und der linken Opposition gestrichen worden. Der Innenausschuss des Bundesrats argumentiert nun aber, dass dieser Paragraf wieder zurück ins Gesetz gehöre, um »Terroristen« besser kontrollieren zu können und fordert die Einberufung eines Vermittlungsausschusses. Zusätzlich ist angekündigt, die Datenweitergabe im Namensänderungsgesetz für alle, nicht nur für TIN* zu verankern. Mehr Überwachung und Kontrolle der Bürger*innen als Wesensmerkmal des spätkapitalistischen, bürgerlichen Staates.
Die Nachricht meiner*s Bekannten beantwortete ich jedenfalls mit »es ist ein Gesetz. Vorher hatten wir ein anderes Gesetz« und einem achselzuckenden Emoji. Es ist gut, dass es da ist, um mit seiner Symbolwirkung weitere queerpolitische Baustellen zu untermauern, vor denen die Ampel sonst Angst hätte haben müssen, sich die Finger zu verbrennen, wäre das Gesetz gescheitert. Wenn seit dem Bundessozialgerichtsurteil Ende letztes Jahr die trans*Gesundheitsversorgung in der Schwebe hängt, queeren Aktionsplänen der Ampel die Finanzierung fehlt und sich der Asylrechtsabbau selbst im Bestimmungsgesetz niederschlägt, reicht Symbolik aber nicht aus.
Zuletzt zeigte die parlamentarische Debatte, welche zentrale Rolle anti-trans Argumente für aktuelle rechtspopulistische Mobilisierung spielen. Sahra Wagenknecht persönlich nutzte die für das BSW politisch eigentlich eher nebensächliche Gelegenheit für einen einfallslosen Debattenbeitrag aus dem genderkritischen Setzkasten, um sich für die ab Herbst beginnende Wahlkampfsaison mit kulturkämpferischen Trend-Themen in Stellung zu bringen. Grund genug für eine strategische Standortbestimmung der fortschrittlichen Queerpolitik in Deutschland.