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Die Ruhe nach dem Schuss

Die Initiative Tatort Porz über ein rassistisches Attentat, einen CDU-Politiker und einen verschobenen Prozess

Interview: Carina Book

Bei einer Solidaritätsaktion am Vorabend des eigentlichen Prozessbeginns erstrahlte »Rassismus bekämpfen« am Amtsgericht in Köln. Foto: privat

Ende Dezember 2019 soll der CDU-Politiker Hans-Josef Bähner in Köln-Porz aus rassistischen Motiven auf einen jungen Mann geschossen haben. Er ist wegen gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und unerlaubten Waffenbesitzes angeklagt. Der Fall erfuhr bisher wenig mediale Aufmerksamkeit. Nun wurde der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter verschoben. Die Initiative Tatort Porz will verhindern, dass der Fall aus der Öffentlichkeit verschwindet.

Was versteht ihr, als Initiative, als eure Aufgabe?

Kilian: Zuallererst versuchen wir uns solidarisch mit dem Betroffenen und seinen Freunden zu zeigen. Dazu gehört auch, die nötige Öffentlichkeit für diesen Fall herzustellen, damit er nicht unter den Teppich gekehrt werden kann. Die Ruhe nach dem Schuss ist das, was am lautesten dröhnt. Sobald der Prozess beginnt, werden wir diesen kritisch beobachten. Nicht zuletzt hat der NSU-Prozess gezeigt, wie notwendig die Beobachtung durch zivilgesellschaftliche Initiativen ist.

Wie geht es dem Betroffenen?

Michèle: Der Betroffene und seine Freunde hatten sich auf den Prozess vorbereitet und damit gerechnet, dass es jetzt losgeht. Dass der Prozess nun ohne neue Terminierung verschoben wurde, ist für sie ziemlich hart. Über die Verschiebung wurden sie erst kurz zuvor unterrichtet: Es gäbe dringlichere Verfahren und das Alter des Angeklagten ließe sich nicht mit den gebotenen Corona-Schutzmaßnahmen vereinbaren. Das zeigt, wie dieser Staat mit Betroffenen umgeht.

Kilian: In den Medien gab es von Beginn an eine Täter-Opfer-Umkehr. Es wurde verbreitet, dass der Betroffene polizeibekannt sei und dass es in Porz ein Problem mit zu lauten, meist migrantischen Jugendlichen gäbe. Außerdem würde es am Rhein auch ein Problem mit Drogen geben. Das spielte auf der selben Klaviatur, die wir aus den rassistischen Debatten um Clankriminalität und Shisha-Bars kennen. Für den Betroffenen war das natürlich extrem belastend. Er ist schließlich auf eigene Initiative zum Kölner Stadt-Anzeiger gegangen, um klarzustellen, dass »polizeibekannt« heißt, dass der Angeschossene schonmal wegen eines Vorfalls an Karneval selbst eine Anzeige erstattet hatte.

Michèle: In der Lokalpresse wurde auch geschrieben, dass der Betroffene »osteuropäische Wurzeln« habe. Die Motivation, seine Herkunft abzudrucken, ist zu hinterfragen. Das ist ein klassisches, strukturell rassistisches Narrativ – die Opfer von Gewalttaten zu anderen zu machen, zu Menschen, die »nicht von hier« seien. Im Zusammenhang der Täter-Opfer-Umkehr haben wir aus einem Bericht auf Belltower News Interessantes erfahren: Der mutmaßliche Täter Bähner soll bei der Verhaftung angegeben haben, dass die Heranwachsenden ihm die Waffe entwendet und selbst geschossen hätten. Die Geschichte sei dann schnell in sich zusammengefallen, weil an ihnen keine Schmauchspuren gefunden wurden.

Was ist über den mutmaßlichen Täter bekannt?

Kilian: Hans-Josef Bähner war zum Tatzeitpunkt CDU-Lokalpolitiker in Köln-Porz. Das ist ein Stadtteil am Rande von Köln, in dem die CDU schon seit 2014/15 mit der AfD zusammenarbeitet. Da wird gemeinsam abgestimmt und teilweise werden Abgeordnete gemeinsam in Ämter gewählt. Bähner scheint im Rechtsaußen-Millieu der CDU zu Hause zu sein. Auf seinem Facebook-Account teilt er rechte Inhalte und liked AfD-Seiten. Das heißt für uns, dass das Schweigen und diese Stille, die nach dem Schuss folgten, eigentlich schon vor dem Schuss anfingen. Offensichtlich ist da ein Mitglied in der CDU, das rechte Inhalte auf Social Media teilt und der Partei ist das egal. Vielleicht ist es auch völlig in Ordnung für die CDU. Jedenfalls wurde dagegen nichts unternommen.

Wie wurde bekannt, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um Bähner handelt?

Kilian: Zehn Tage nach dem Schuss hat der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak einen Tweet abgesetzt, in dem er den Namen des mutmaßlichen Täters Hans-Josef Bähner ins Spiel brachte. Bähner war bis dato in der Berichterstattung noch nicht benannt worden. Daraufhin wurde Ziemiak prompt von dem Medienanwalt Ralf Höcker öffentlich zurechtgewiesen. Der CDU-Generalsekretär hat diesen Tweet dann gelöscht, doch die Katze war schon aus dem Sack. Daraus hat sich dann eine Recherche entwickelt.

Wer ist Ralf Höcker und warum löscht Paul Ziemiak Tweets wegen ihm?

Michèle: Ralf Höcker ist ein Medienanwalt, der zusammen mit anderen eine Kanzlei in Köln hat. Aus der Kanzlei heraus wurden bereits Jörg Kachelmann, Recep Tayyip Erdoğan und auch die AfD vertreten. Ralf Höcker war zum Tatzeitpunkt Vorsitzender des Kölner CDU-Ortsverbands Innenstadt-Süd und bis Mitte letzten Jahres Sprecher der »Werteunion«. Das ist eine Gruppe von Rechtsauslegern innerhalb der CDU, zu der auch der ehemalige Chef des sogenannten Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, gehört. Maaßen selbst arbeitete nach seinem Rauswurf aus dem Verfassungsschutz auch in Höckers Kanzlei. Brisant ist, dass die Kanzlei nun die AfD gegen den Verfassungsschutz vertritt. Offenbar arbeitet Maaßen seitdem nicht mehr in der Kanzlei. Es wäre ja auch sehr merkwürdig, denn er könnte in dem Falls selbst als Zeuge geladen werden.

Kilian: Höcker und seine Kollegen sind dafür bekannt, dass sie Journalist*innen und Personen aus der Zivilgesellschaft einschüchtern, um kritische Berichterstattung zu verhindern oder zumindest einzuschränken. In einem Interview mit der NZZ wurde Höcker einmal gefragt, was er damit meinen würde, wenn er gegen Journalist*innen »nachdrücklicher« werde. Höckers Antwort darauf lautete: »Damit meine ich Drohungen.« Wir wissen nicht, ob Höcker von dem mutmaßlichen Täter Hans-Josef Bähner beauftragt wurde, oder ob die beiden sich kennen. Wir wissen nur, dass Höcker sehr schnell tätig geworden ist, um alles dafür zu tun, dass der Name von Bähner nicht bekannt wird.

Die CDU hat kürzlich eine Online-Kampagne gestartet, in der bekannte CDU-Mitglieder medienwirksam Zettel mit Hakenkreuzen zerknüllen und sie in den Müll werfen. Was wurde im Fall Bähner seitens der CDU unternommen?

Michèle: Ziemlich lange hat sich niemand geäußert, auch die Kölner CDU nicht. Selbst auf Nachfrage der Lokalpresse kam nichts. Ende Januar 2020 haben sie dann darüber informiert, dass Bähner das Amt niederlege, bis die Vorwürfe geklärt seien. Aber auch mit dem Verweis darauf, dass immer noch die Unschuldsvermutung gelte und ja bisher gar nichts bewiesen sei. Nur Ziemiak hat den Namen des mutmaßlichen Täters öffentlich gemacht und auch dem Angeschossenen gute Besserung gewünscht. Wie es dem Betroffenen geht, war sonst in keiner einzigen Verlautbarung Thema. Es ging ausschließlich darum abzuwiegeln, die Unschuldsvermutung ins Feld zu führen und auf Zeit zu spielen. Bähner selbst besaß sogar die Dreistigkeit, sich und seine Frau in seiner Rücktrittserklärung zum Opfer »einer rechtsstaatlichen Hatz« zu erklären.

Kilian: Man bekommt auch nicht den Eindruck, dass Bähner innerhalb der CDU Konsequenzen zu spüren bekommen hätte: Bis heute findet man Hans-Josef Bähner mit Foto als stellvertretenden Vorsitzenden auf der Seite des CDU Ortsverbands Ensen-Westhoven-Gremberghoven. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen, die seit einem Jahr auf einen Prozess gegen Bähner und auf Konsequenzen warten.

Michèle und Kilian

engagieren sich in der Initiative »Tatort Porz – Keine Ruhe nach dem Schuss«, die den Prozess gegen den CDU-Politiker Hans-Josef Bähner kritisch begleiten will.

Woher hatte der mutmaßliche Täter eigentlich die Waffe?

Kilian: Der mutmaßliche Täter Hans-Josef Bähner ist Sportschütze. Die Polizei hat eine nicht unerhebliche Menge Schwarzpulver und vier legale Waffen bei ihm gefunden. Die Tatwaffe selbst war wohl nicht auf der Waffenbesitzkarte eingetragen. Da fragt man sich schon, was das für Menschen sind, die illegale Waffen besitzen und warum sie die besitzen. Ich vermute mal, dass man sich sowas nicht zulegt, damit die im Schrank gut aussieht. Wie kommt man an sowas? Wen muss man dafür kennen? Und warum wird dagegen nichts getan? Wir wissen doch, dass seit 2018 die Zahl der Waffenscheine für Rechtsextremisten um 52 Prozent gestiegen ist und bei Bundeswehr und Polizei Waffen verschwinden. Wir wissen auch, dass sich der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern bei Nordkreuz eine Schusswaffe gekauft hat. Selbst Markus Hartmann, der wegen Beteiligung am Mord an Walter Lübcke angeklagt war, durfte legal Waffen besitzen.

Der Prozess ist verschoben worden. Wie geht es jetzt weiter?

Michèle: Eine Lehre, die wir nach den NSU-Anschlägen in der Probsteigasse und in der Keupstraße gezogen haben, ist, dass es Initiativen braucht, die gemeinsam mit den Betroffenen für Aufklärung und Konsequenzen kämpfen. Klar, dies hier ist ein ganz anderer Fall und dennoch erkennen wir ganz ähnliche Mechanismen: In allen Fällen wurden die Betroffenen diffamiert und zu Fremden gemacht. Die rassistischen Motive wurden nicht benannt oder sogar vertuscht. Sie waren zunächst nicht Gegenstand der Ermittlungen, sondern wurde erst im Nachhinein mit einbezogen.

Kilian: Wir müssen fragen, was passiert zwischen Seehofers Aussage: »Bis zur letzten Patrone« und einem CDU-Politiker, der sich wegen Ruhestörung streitet, mit einer Waffe in der Hand aus seinem Haus kommt, rassistische Beleidigungen loslässt und dann aus nächster Nähe auf den Oberkörper eines Heranwachsenden schießt und zum Glück »nur« die Schulter trifft. Was passiert dazwischen? Wie hängt das zusammen? Wird die Tat deshalb so bagatellisiert? Es ist Teil unserer Aufgabe, diese Fragen zu stellen und das sichtbar zu machen.