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Entscheidend und doch abwesend

Zwar gibt es zahlreiche Kandidatinnen für das höchste französische Staatsamt, echte Verbesserungen für Frauen sind jedoch nicht in Sicht

Von Cornelia Möser

Die Revolution wird feministisch sein, steht auf diesem Schild am 8. März in Paris. Die Wahlen werden es eher nicht. Foto: Du Pain et des Roses

Selten haben so viele Frauen für das höchste Amt des französischen Staates kandidiert. Offensichtlich haben sämtliche Parteien von links bis rechts erkannt, dass die in Frankreich traditionell extrem geringe politische Beteiligung von Frauen nicht mehr vertretbar ist. Mit Marine Le Pen, Valérie Pécresse, Anne Hidalgo, Christiane Taubira und Nathalie Arthaud ist die Zahl der weiblichen Präsidentschaftskandidaturen nun höher denn je. Ihnen stehen auf der männlichen Seite Eric Zemmour, Emmanuel Macron, Yannick Jadot und Jean-Luc Mélenchon gegenüber, um die aussichtsreichsten zu nennen. Auch der Kommunist Fabien Roussel und die rechten EU-Gegner Nicolas Dupont-Aignan und Jean Lasalle haben die für die Kandidatur nötigen 500 Unterstützer*innen gefunden, doch ihre Gewinnchancen sind gering. Die geschlechtliche Aufteilung spiegelt sich dabei nicht im Links-Rechts-Spektrum wider, vielmehr ist sie gleichmäßig auf das Spektrum verteilt.

Die Art und Weise, wie Geschlecht und Geschlechterpolitik den Wahlkampf beeinflussen, zeigt sich bei allen Kandidatinnen unterschiedlich: Bei der rechtsextremen Marine Le Pen ist Geschlecht in der Vergangenheit zum entscheidenden Faktor des Erfolgs geworden. Sie nutzte ihre Identität als Frau als »Entdämonisierungsstrategie«, um ihre rassistische Partei gesellschaftsfähig zu machen. Die Rechtsextremismusforschung, unter anderem von Nonna Meyer, konnte für den Rassemblement National nachweisen, nach dem das geschichtlich beobachtbare Phänomen, dass generell mehr Männer extrem rechts wählen, für Frankreich seit dem Parteivorsitz von Marine Le Pen nach und nach weggeschmolzen ist. Die Entwicklung scheint sich sogar leicht ins Gegenteil zu verlagern. Durch Marine Le Pen sei die Partei für Frauen wählbar geworden, so der Befund von Meyer.

Keine Verbesserung für die Arbeiter*innenklasse

Aber was hat Le Pen Frauen zu bieten? In ihrem 144-Punkte-Programm aus dem Wahljahr 2017 tauchen Frauen nur an einer einzigen Stelle auf, nämlich im Rahmen der Forderung, Migration zu verbieten und Ausländer*innen auszuweisen. Vor ihrem letzten Wahlkampf wetterte Le Pen gegen »Komfort-Abtreibungen«. Seither hat sich in ihrem Programm nichts geändert, was spezifisch Frauen interessieren könnte. In einem Radiointerview bezeichnete sie dazu jüngst die gläserne Decke, also Karriere- und Aufstiegshindernisse aufgrund von Diskriminierung, als Intellektuellenerfindung und schloss strukturelle Gründe für Frauendiskriminierung aus. Stattdessen setzt sie auf ein geschicktes Marketing, zeigt sich gerne als nettes, bodenständiges Mädchen von nebenan. Ihre Katzenliebe lässt sie medial vermarkten, wo es nur geht, um ihrem hasserfüllten Politikprogramm ein harmloses Antlitz zu verleihen.

Die working poor in Frankreich, also Menschen, die von ihrer Arbeit kaum oder nur schlecht leben können, eine große gesellschaftliche Gruppe zu der extrem viele Frauen gehören, wurde von Macrons Regierungspolitik ignoriert und verhöhnt. Das zeigt sich vor allem in seinem brutalen Umgang mit den verschieden massiven Protesten der vergangenen Jahre: 2018 und 2019 ging die Bewegung der Gelbwesten mit entschlossenem und unkonventionellem Widerstand auf die Straßen, 2019 und 2020 folgte ein eher konventioneller und dafür breit verankerter Generalstreik. Marine Le Pen behauptete, sich für die Arbeiter*innenklasse einzusetzen, indem sie die »Ausländer*innen« ausweise. Im französischen Wahlkampf ist Migration ein bestimmendes Thema, obwohl diese zuletzt nicht sonderlich angestiegen ist.

Nach der für die Arbeiter*innenklasse katastrophalen linken Regierung Hollande, jener der rechten Regierung Sarkozy und der darauffolgenden Macron-Regierung, die sich als weder links noch rechts bezeichnet, deren Politik sich aber dem Ungleichheits-Paradigma der Rechten verschrieben hat, kann sich Le Pen als letzter Ausweg und unerprobte Alternative präsentieren. Und dies, wie sich zeigt, nicht ohne Erfolg. Umfragen zufolge liegt sie seit Wochen mit Valérie Pécresse um den zweiten Platz hinter Macron im Rennen und konnte sogar die Unterstützung von angeblich zentristischen Politiker*innen wie François Bayrou gewinnen.

Man muss Pécresse zugestehen, dass sie – im Gegensatz zu Le Pen – Frauen als Opfer sexueller Gewalt auch berücksichtigt, wenn die Täter keine Migranten sind. Sie interessiert sich für Frauen indes ausschließlich, wenn sie Opfer sind. Feminist*innen und Queers war sie 2012 aufgefallen, als sie die Ehe homosexueller Paare auflösen wollte, was sie heute nicht mehr will. Als Präsidentin der Region Ile-de-France konnte sie drei Vertreter*innen der Organisation La Manif Pour Tous, die sich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe einsetzt, ins Regionalparlament bringen und eine davon sogar mit der »Kommission für Familie und soziale Aktion« beauftragen. Ihre erste Amtshandlung bestand darin, die Gelder für Geschlechterforschung zu streichen und die Mittel für feministische Organisationen zu kürzen. Stattdessen hat sie fundamentalistischen Abtreibungsgegner*innen wie der Organisation »Marthe et Marie« sowie der Föderation katholischer Familien Subventionen in Höhe von 250.000 Euro zukommen lassen.

Geschlecht und Sexualität sind zu zentralen Feldern der französischen Politik geworden. Dem steht paradoxerweise ein gesellschaftlicher Rechtsruck gegenüber.

Während sie Anfang Dezember auf die Frage, ob sie sich als Feministin bezeichne, noch antwortete, sie sei vor allem eine Frau und gegen »wokism«, das neue Steckenpferd der französischen Rechten, und habe nichts gegen Männer, schlachtete sie mit fortschreitendem Wahlkampf ihr Gender-Potenzial aus. Kein Mensch nimmt Margaret Kärcher – wie die Humoristin Charline Vanhoenacker Pécresse genannt hat – jedoch ab, dass sie Feministin ist.

Diesen Spitznamen hat Pécresse sich verdient, da sie die rassistische Rede Sarkozys, mit dem Kärcher die Vorstädte putzen zu wollen, wieder ausgepackt hat. Ihr Programm sei zwei Drittel Angela Merkel und ein Drittel Margaret Thatcher, erklärte sie. Mit den zwei Dritteln Merkel meint sie dabei aber sicher eher deren Verhalten in der Griechenland-Krise oder ihre zeitweilige Verweigerung eines europäischen Corona-Solidaritätsfonds als die sogenannte Willkommenskultur oder den deutschen Atomausstieg.

Die Tatsache, dass Feminismus ein solcher Popularitäts-Faktor geworden ist, macht wiederum dem notorisch frauenfeindlichen Kandidaten Eric Zemmour zu schaffen. Seine Berater versuchen ihn anzuhalten, seinen Frauenhass etwas im Zaum zu halten, weil er dadurch entscheidende Stimmen gegenüber Le Pen verlieren könnte. Aber dem Autor des Buches »Das erste Geschlecht« scheint das schwerzufallen. Über Marine Le Pen lässt er verlauten: »Sie mag halt Katzen, und ich mag Bücher.«

Umworbene Wählerinnen

Doch das derzeit hohe Überzeugungspotenzial des Feminismus und die generelle große gesellschaftliche Akzeptanz der Geschlechtergleichstellung machen die Fragen um Geschlecht und Sexualität zu einem zentralen Feld der französischen Politik. Frauen und sexuelle Minderheiten sind zu umworbenen Wähler*innen geworden, die die Präsidentschaftskandidat*innen für sich gewinnen wollen – Frauen machen etwa 52 Prozent der Wähler*innenschaft aus. Dieser positiven Entwicklung steht paradoxerweise ein gesellschaftlicher Rechtsruck gegenüber. Es ist daher ratsam, wenn sich Politiker*innen scheinbar für Frauen und Minderheiten einsetzen, genauer zu schauen, was sie damit meinen. Von rechts bis links haben die Kandidat*innen kaum konkrete Maßnahmen gegen Femizide, homo- und queerfeindliche Gewalt zu bieten. Auch Ideen für mehr Inklusion in Politik, Kultur und Gesellschaft fehlen.

Der eigentlich starke Feminismus in Frankreich könnte in dieser Situation mit Forderungen an die Kandidat*innen herantreten, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Die Feminist*innen von der Bewegung #noustoutes beispielsweise fordern eine Milliarde Euro von den Kandidat*innen für eine effektive Politik gegen geschlechterbasierte Gewalt, aber auch für eine gerechtere Politik zwischen den Geschlechtern. Die Organisation hat in den vergangenen Jahren massive Demonstrationen gegen Gewalt gegen Frauen über politische und Klassengrenzen hinweg organisiert. Der Kandidat der linksnationalistischen Partei France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, nahm diese Forderung in sein Parteiprogramm auf, wie auch der grüne Kandidat Yannick Jadot – beide waren es ihrer Parteibasis schuldig.

Jadot will dazu die künstliche Befruchtung gleichgeschlechtlichen Paaren öffnen, sich generell gegen Geschlechterdiskriminierung einsetzen, ein Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen auf den Weg bringen und überhaupt Geschlechtergleichheit zum Imperativ seiner Regierung machen. Mélenchon hingegen fordert, die Alterspflege stärker ins Private zu verlegen – was bekanntermaßen für Frauen in der Regel Arbeit ohne Lohn bedeutet. Mélenchon gibt allerdings an, den Umbau mit öffentlichen Mitteln finanzieren zu wollen.

Die französische Präsidentschaftswahl am 10. April 2022, der zweite Wahlgang am 24. April stattfindet, wird nach aktueller Lage wohl zwischen Rechten und Rechtsextremen ausgetragen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass es feministische Politikansätze in die Regierung schaffen werden – zumindest, wenn Feminismus nicht als das vermeintliche »Beschützen von Frauen« missverstanden wird. Die eigentlich sehr hohe Überzeugungskraft des Feminismus in Frankreich hat dieser Entwicklung bis jetzt wenig entgegenzusetzen.

Cornelia Möser

hat Gender Studies und Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin studiert und an der Université Paris 8 promoviert. Sie arbeitet als Forscherin am Centre national de recherche scientifique (CNRS) in Paris.