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Verhandeln auf Deutsch

Bürgerliche Versöhnungspolitik verdrängt die Reparationsforderungen der Herero und Nama

Von Yaşar Ohle

Vertreterinnen und vertreter der Herero und Nama halten ein Schild mit Archivbilder deutscher Verbrechen, wo drauf steht "It cannot be about us without us" und unten "anything about us without us is against us"
»Alles ohne uns aber über uns ist gegen uns« ist der Leitspruch der OvaHerero- und Nama-Repräsentant*innen. Foto: Berlin Postkolonial, Joachim Zeller / Flickr, CC BY 2.0

Nach langjährigen Verhandlungen erschien vor einigen Wochen die Schlagzeile: Einigung zwischen Deutschland und Namibia! Anerkennung des Völkermordes an den Herero und Nama! Doch während die Verhandlungsteams beider Staaten nach einer langen Verhandlungszeit tatsächlich ein Ergebnis in Form eines Dokumentes vorlegten, ist der Kampf der Herero und Nama um Wiedergutmachung und eine Wiederherstellung ihrer Würde noch lange nicht abgeschlossen.

Die deutsche Herrschaft über die Gebiete der Herero und Nama wurde zunächst über sogenannte »Schutzverträge« etabliert, welche die Bevölkerung angeblich unter den Schutz der Kolonialmacht stellen sollten, letztendlich aber vor allem ein Instrument der kolonialen Landnahme darstellten. Außerdem wurde die Bevölkerung dazu gebracht, ihr Land an die deutsche Kolonialverwaltung oder direkt an Siedler*innen zu verkaufen, um Schulden zu bezahlen, oder es wurde ihnen direkt durch militärische Operationen genommen.

Als die indigenen Gemeinschaften immer mehr zurückgedrängt und zum Teil offen angegriffen wurden, antworteten zunächst die Herero mit militantem Widerstand. Nachdem bei der Schlacht am Waterberg 1904 viele Herero ermordet wurden, wandten sich auch die meisten Nama-Gruppen gegen die Kolonialtruppen. Im Verlauf der Niederschlagung des Widerstandes wurden tausende Herero und Nama getötet. Der deutsche General Lothar von Trotha erließ als Reaktion die historischen Vernichtungsbefehle, welche dem mörderischen Vorgehen der Kolonialarmee sowie einiger Siedler*innen offizielle Legitimation gaben. Auch wenn diese Befehle vom Kaiserreich später zurückgenommen wurden, änderte sich an der grundlegenden Politik nichts.

Nachdem die Nama und Herero besiegt und geflohen waren oder Friedensverträge geschlossen hatten, wurden sie in Konzentrationslager eingekerkert und der Zwangsarbeit unterworfen, was viele weitere Tote forderte. Hier beging das Deutsche Reich den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Gleichzeitig beschlagnahmte die Kolonialverwaltung das Land der Herero und Nama. Bis zum Ende der deutschen Kolonie in Namibia im Jahr 1915 wurde die Entwicklung zur Siedlerkolonie fortgesetzt.

Die Verteilung des Eigentums an Boden änderte sich auch nach der Niederlage der deutschen Kolonialbesatzung im Ersten Weltkrieg nicht zugunsten der namibischen Bevölkerung. Die Vertreibung der Bevölkerung von ihrem Land wurde unter südafrikanischer Mandatsverwaltung und dem späteren Apartheidregime fortgesetzt. 1990 wurde Namibia von Südafrika unabhängig.

Der Weg zum Versöhnungsabkommen

Zum hundertsten Jahrestag der Schlacht am Waterberg hielt die damalige deutsche Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, eine Rede bei der Gedenkveranstaltung, die als erster Schritt von deutscher Regierungsseite zur Anerkennung des Völkermordes gesehen werden kann. Aber erst Mitte 2015 räumte ein Sprecher des deutschen Außenministeriums ein, dass die Kriegsführung 1904-1908 einem Völkermord gleichkam.

Der deutschen Seite ging es immer um die potenziellen rechtlichen Auswirkungen eines Abkommens.

Im gleichen Jahr noch wurden bilaterale Verhandlungen zwischen den beiden Regierungen aufgenommen, die jedoch nicht ohne Komplikationen verliefen. Immer wieder ging es der deutschen Verhandlungsseite um die potentiellen rechtlichen Auswirkungen eines Abkommens sowie die Frage, inwiefern bei Reparationszahlungen für ehemalige Kolonialmächte ein Präzedenzfall entstehen könnte. Hierbei geht es für Deutschland speziell auch um Reparationsforderungen für NS-Kriegsverbrechen in Griechenland, Polen oder Italien. Auch wenn hier schon Zahlungen geleistet wurden, werden weiterhin Reparationen gefordert, wie zum Beispiel für das Massaker der Gebirgsdivision Edelweiß in Lyngiades, wo deutsche Soldaten 82 Frauen, Greise und Kinder ermordet haben.

In den jetzt abgeschlossenen Verhandlungen wurde zudem konkret über Geldsummen verhandelt – während von namibischer Seite zu Beginn circa 60 Milliarden Euro gefordert wurden, stieg das deutsche Team mit einem Vorschlag von 298 Millionen Euro ein. Zudem verlangte das namibische Team zunächst Reparationszahlungen, was Deutschland grade zur Vermeidung solcher Präzedenzfälle vermeiden wollte.

Bezüglich der finanziellen Komponente lautet das Ergebnis der Verhandlungen wie folgt: »Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wird den Betrag von 1.100 (eintausendeinhundert) Millionen Euro als Zuschuss für die Durchführung der im Rahmen der obengenannten Programme vorgesehenen Vorhaben bereitstellen. Deutschland verpflichtet sich, diesen Betrag über einen Zeitraum von 30 Jahren zuzuweisen.« Bei den obengenannten Programmen handelt es sich zum einen um die Finanzierung staatlicher Landrückkäufe, sowie um Infrastrukturprojekte und nicht näher benannte Versöhnungsprogramme, wobei es wohl um Austausch- und Begegnungsprojekte gehen wird. Weiter heißt es: »Beide Regierungen sind gemeinsam der Auffassung, dass die obengenannten Beträge alle finanziellen Aspekte der vergangenheitsbezogenen Fragen regeln, die in dieser Gemeinsamen Erklärung behandelt werden.«

Um sich die Größenordnung dieser Beträge zu verdeutlichen, hilft zum Beispiel ein Blick auf den Haushalt der Bundeshauptstadt: für das Jahr 2021 waren allein für Personalkosten circa 10.5 Milliarden Euro veranschlagt; der Neuaufbau des Berliner Stadtschlosses kostet circa 700 Millionen Euro. Die im Abkommen genannte Summe entspricht zudem in etwa den in den letzten 30 Jahren an Namibia gezahlten Geldern im Rahmen entwicklungspolitischer Projekte und Förderungen.

Die namibische Regierung hat durch den Vizepräsidenten bereits verkünden lassen, dass sie das Abkommen annehmen wird. »Wir sind nicht stolz auf die Summe«, erkannte Nangolo Mbumba im Rahmen der Pressekonferenz an. Gleichzeitig sei das Dokument als Grundlage für die zukünftigen Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia anzusehen.

Wiedergutmachung ist mehr als Geld

Doch es geht nicht nur um Geldzahlungen, sondern auch um die Anerkennung des Völkermordes und eine angemessene Entschuldigung. Im verhandelten Abkommen heißt es dazu: »Die Bundesregierung erkennt an, dass die in Phasen des Kolonialkrieges verübten abscheulichen Gräueltaten in Ereignissen gipfelten, die aus heutiger Perspektive als Völkermord bezeichnet würden.« Außerdem wurde festgehalten, dass »Deutschland eine moralische, historische und politische Verpflichtung, sich für diesen Völkermord zu entschuldigen und in der Folge die für eine Versöhnung und für den Wiederaufbau erforderlichen Mittel bereitzustellen (akzeptiert)«. Dem Abschluss des Abkommens soll eine offizielle Entschuldigung durch den Bundespräsidenten vor dem namibischen Parlament folgen.

Die gesellschaftlichen Probleme lassen sich mit 30 Millionen Euro im Jahr nicht ernsthaft angehen.

Grundlegende Forderungen der betroffenen Gemeinschaften der Herero und Nama wurden außer Acht gelassen: Die Anerkennung der Genozide mit ihrer verklausulierten Formulierung wirkt nicht ernstgemeint, und Reparationszahlungen bleiben komplett außen vor. Auch die geplante Entschuldigung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor dem namibischen Parlament stößt auf Ablehnung, Proteste sind bereits in Planung. Vertreter*innen von Herero- und Nama-Gemeinschaften fordern, dass diese Entschuldigung ihnen als Repräsentant*innen der Nachfahren der Genozide gegenüber ausgesprochen werden muss.

Die gesellschaftlichen Probleme wie die Landfrage sowie die anhaltende soziale und ökonomische Marginalisierung weiter Teile der Herero und Nama in Namibia lassen sich mit 30 Millionen Euro im Jahr nicht ernsthaft angehen. Und bei dieser Summe ist weiterhin fraglich, wieviel des Geldes tatsächlich bei den betroffenen Gemeinschaften ankommen wird. Bereits während der Verhandlungen wurde wiederholt angemerkt, dass die namibische Regierung, beziehungsweise die Regierungspartei SWAPO, sich auf dem einen oder anderen Wege einen Anteil der Zahlungen sichern werde.

Dass die deutsche Regierung sich jetzt darauf beruft, im Prozess der Mittelweitergabe die Betroffenen mit einbeziehen zu wollen, sollte skeptisch stimmen: Schon bei den Verhandlungen hat sich gezeigt, wie ernst die Regierungen es mit der Einbeziehung meinen. Teile der Herero- und Nama-Gemeinschaften wurden an den Verhandlungen nicht adäquat beteiligt, wobei die deutsche Regierung den Ball wiederholt der namibischen Regierung zuschob und sich damit rausredete, dass es sich um eine nationale Angelegenheit handele. In Namibia wiederum wurden verschiedene Fraktionen der Herero und Nama gegeneinander ausgespielt. Die Aufarbeitung von Völkermorden wird hier zum politisch-strategischen Schachspiel.

Auch nach Bekanntwerden des Abkommens gibt es Befürworter*innen und Gegner*innen. Jedoch besteht bei den Herero und Nama weitgehende Einigkeit darüber, dass das Verhandlungsergebnis absolut inakzeptabel ist. Die Zahl der Befürworter*innen des Ergebnisses ist im Vergleich zu denen, die die Verhandlungen grundsätzlich begrüßt haben, eindeutig gesunken – die Kritik kommt auch von Personen, die an den Verhandlungen beteiligt waren. Lediglich eine regierungsnahe Organisation, der OvaHerero/OvaMbanderu and Nama Council for the Dialogue on the 1904-1908 Genocide will dem Abkommen in der finalen Form noch zustimmen. Ein Abkommen, das von einem Großteil der betroffenen Gemeinschaften bereits abgelehnt wird, kann schon jetzt als gescheitert angesehen werden.

Es braucht mehr als oberflächliche Versöhnung

Wer die Nachwirkungen der Genozide angehen will, muss tiefer ansetzen. Das verhandelte Abkommen kann maximal als Entwicklungshilfe-Paket mit einer halbgaren Anerkennung angesehen werden. Schon aus einer liberalen Perspektive, die aus eigenen moralischen Ansprüchen nach Versöhnung strebt, ist das Verhandlungsergebnis abzulehnen. Von ernstzunehmenden Reparationsangeboten ist es meilenweit entfernt. Diejenigen, die dahingehend Hoffnungen auf die Verhandlungen der namibischen und der deutschen Regierungen gesetzt hatten, mussten von vornherein enttäuscht werden.

Die aus postkolonialen Eliten bestehende nationalstaatliche Regierungen verfolgen nicht die Interessen marginalisierter Bevölkerungsgruppen, sondern sind vordergründig auf den eigenen Vorteil und Machterhalt bedacht. Und von der Regierung der BRD in Sachen Aufarbeitung von Genoziden etwas zu erwarten, ist seit jeher ein hoffnungsloses Unterfangen – das zeigt etwa die mangelnde Bereitschaft, die eigene Rolle im Genozid an den Armenier*innen ernsthaft anzuerkennen oder das Blockieren von Verantwortungsübernahme für die Massaker der Wehrmacht und SS in Griechenland.

Deshalb sollten alle, die ernsthaft an Versöhnung interessiert sind, eher diejenigen Gruppen unterstützen, die sich schon seit Jahren gemeinsam für Gerechtigkeit und Aufarbeitung einsetzen. Aus den direkten Kontakten und der gelebten Solidarität kann ein gemeinsamer Kampf entstehen, der mehr erreicht als ein selbstproklamiertes zwischenstaatliches Versöhnungsabkommen es jemals schaffen kann. Und der eventuell auch in der Lage ist, die materiellen Bedingungen anzugehen, welche überworfen werden müssen, um tatsächliche Gerechtigkeit zu ermöglichen.

Yaşar Ohle

lebt in Berlin, wo er juristisch arbeitet und in antifaschistischen, antirassistischen und stadtpolitischen Zusammenhängen aktiv ist. Er schreibt regelmäßig zu namibischer Geschichte und Politik.