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|ak 667 | Kultur

Preußen-Themenpark an der Spree

Die Verantwortlichen des Humboldt-Forums eiern bei der Kritik bewusst herum

Von Paul Dziedzic

Das Disneyschloss mit spitzen Türmen, einem Schutzwall und einem Graben, über die eine Brücke zum Eingang führt
Ähnliches Konzept, aber weniger Raubkunst: das Disney-Schloss. Foto: HarshLight / Flickr, CC BY 2.0

Nun steht es also da, das Gebäude, das aus der Zeit fiel, bevor es fertig war. Die Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin war letztlich nicht das pompöse Happening, das sich die Initiator*innen vorgestellt hatten. Denn die Pandemie-Maßnahmen machten dem buchstäblich einen Strich durch die Rechnung: Zu den bisher verausgabten 644 Millionen Euro sollen jetzt aufgrund der Verzögerungen nochmal 33 Millionen dazu kommen. Dann, kurz vor der Eröffnung, berichteten die Medien, dass der nigerianische Botschafter in Berlin, Yusuf Tuggar, erneut die Rückgabe der geraubten Benin-Bronzen verlangte. Viele Problematiken grundsätzlicher Natur umgeben den Nachbau, und doch ist er die Konsequenz eines Themenparks Preußen, an dem neben den Identitätssehnsüchten auch kommerzielle Hoffnungen hängen.

Nostalgie trifft auf Neoliberalismus

Am Anfang war die Leere im deutschen Bürgertum. Denn nach der Wiedervereinigung stand im Herzen der neuen Hauptstadt Berlin ein Gebäude, das ihm nicht gefiel: der Palast der Republik. Eine Alternative zum unliebsamen DDR-Parlament war schon Anfang der 1990er formuliert worden. Anstelle des modernen Baus sollte das alte Hohenzollern-Schloss treten. Einige, wie der Ex-Bundespräsident Horst Köhler oder der Schloss-Lobbyist und Unternehmer Wilhelm von Boddien, sprachen sogar von »Phantomschmerzen« in Verbindung mit der Leere in Mitte. Nach jahrelanger Lobbyarbeit, und dem Versprechen, die Finanzierung über eine sogenannte »Public-Private-Partnership«, also teils aus Spenden, realisieren zu können, stimmte der Bundestag 2002 unter Rot-Grün ganz begeistert dem Bau zu. Es sollte »Deutschlands wichtigstes Kulturprojekt« werden.

Warum das Hohenzollernschloss? Es geht hier um die Erfahrung, die verkauft wird: Denn diesmal dürfen sich auch die Bürger*innen selbst wie Monarchen fühlen. Es ist ein Privileg, durch herrschaftliche Gänge zu laufen, wissend, dass sie vom eigenen Steuergeld bezahlt sind. Es ist auch ein Privileg, sich kein Flugticket nach Nigeria oder Kamerun kaufen und dazu noch ein Visum beantragen zu müssen. Nein, jahrhundertealte Exponate aus der ganzen Welt können hier bequem binnen einiger Stunden konsumiert werden. Und auch das hat Tradition: Schon im 19. und 20. Jahrhundert stellten Imperien ihren Bürger*innen Reichtümer aus der ganzen Welt zur Schau.

Das Humboldt-Forum stellt sich selbst als internationale Begegnungsstätte dar, die Diskussionen und Debatten zulässt, Veranstaltungen organisiert und mit Partner*innen auf der ganzen Welt zusammenarbeitet. Die Exponate und deren Herkunft, inklusive Problematik, sind zwar ebenfalls Teil der Erfahrung. Doch eine systematische Rückgabe ist bisher, trotz vieler hochtrabender Konzepte, nicht erfolgt.

Vor der Konzeption des Schlosses standen die Sammlungen aus aller Welt noch fernab im touristisch weniger ertragreichen Berlin-Dahlem. Und um diese in Wert zu setzen beschloss man, sie nach Berlin Mitte zu bringen. Denn der Bezirk ist mit Abstand der wichtigste Tourismus-Standort der Stadt. Mit jährlich 14 Millionen Übernachtungen ist Mitte mit Abstand der beliebteste Bezirk. Politik und Wirtschaft erhoffen sich, mit New York, Paris oder London mithalten zu können. Und dazu gehört zu einer alten »Kulturnation« mitten in Europa eben auch ein geschichtsträchtiges Viertel. Der Historiker Jürgen Zimmerer spricht bei dem Vorhaben ganz treffend von einem »Preußischen-Disneyland«. Denn Geschichte im Sinne von Was-wirklich-geschah ist nicht das Gleiche wie kommerziell verdauliche Geschichte im Sinne eines Märchens. Das Schloss soll bis zu vier Millionen Besucher*innen anziehen. Die Tourismus-Plattform Visit Berlin spricht von der Gegend als einen »städtischen Erlebnisraum« und vom Humboldt-Forum als »Touristen-Magneten«.

Offene Diskussion als Hinhaltetaktik

Über die Jahre haben die Organisator*innen dazu gelernt. Viele der Posten im komplizierten Konstrukt rund um das Schloss sind politisch besetzt. Doch für das Management holten sie sich hochkarätige Persönlichkeiten an Bord, zeitweise zum Beispiel den ehemaligen Direktor des Britischen Museums, Neil MacGregor, der zunächst als Intendant arbeitete. Die Verantwortlichen zeigen Offenheit und Gesprächsbereitschaft und entwickelten über die Jahre sogar Konzepte über den Umgang mit Exponaten, die unrechtmäßig erworben wurden. Dabei eignen sich sie sich durchaus auch kritische Sprache an, behaupten zum Beispiel, das Museum dekolonialisieren zu wollen – bleiben gleichzeitig aber vage genug bei der Frage, wie.

Zentrales Lösungskonzept in der Debatte ist die Provenienzforschung. Das heißt die Forschung darüber, wie die Exponate ins Museum gelangt sind. Im Falle der ethnologischen Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind es über mit 500.000, von denen 20.000 ausgestellt werden sollen. Der Ansatz der Provenienzforschung mag zwar wissenschaftlich begründet sein, doch er ist in mehrerlei Hinsicht problematisch.

Die Benin-Bronzen haben bis heute viele Leute reich gemacht; angefangen bei den Soldaten selbst und deren Mittelsmänner, über Auktionshäuser wie Sotherby’s, Banken, Sammler und die Museen selbst.

Viele der Exponate sind im Zuge von Raubzügen über Kunstmärkte in öffentliche und private Sammlungen überall im Westen gelangt. Sie reisten über die gleichen historischen Bahnen, über die Rohstoffe gen Metropole abgetragen wurden (und noch werden), oder über die das Militär anrollte, um die Aufstände der Unterdrückten niederzuschlagen. Beispiel Benin-Bronzen: Als die Britische Armee 1897 die Stadt Benin auf brutale und gezielte Weise zerstörte, nahmen die Soldaten auch viele Objekte mit, um sie anschließend auf Kunstmärkten zu verkaufen. Unter ihnen waren mehr als 4.000 Benin-Bronzen. Diese haben bis heute viele Leute reich gemacht; angefangen bei den Soldaten selbst und deren Mittelsmänner, über Auktionshäuser wie Sotherby’s, Banken, Sammler und die Museen selbst. In der Vergangenheit sollen die Bronzen bei Auktionen für Preise zwischen 20.000 und 100.000 Euro verkauft worden sein. Ein anderes Objekt, ein Paar Igbo-Figuren aus dem Privatbesitz eins früheren Beraters von Jacques Chirac, wurde bei einer Auktion für über 200.000 Euro verkauft. Bis heute schmücken die Benin-Bronzen die Hochglanzbroschüren und Riesenplakate der renommierten Museen und ziehen Massen an. Viele diese Objekte könnten in Zukunft an Wert gewinnen, vor allem auch dank der Ergebnisse der Provenienzforschung, die diesen Objekten mehr Kontext verschaffen – oder eben durch deren Inwertsetzung in Projekten wie dem Schloss.

Die viel kritisierte Stiftung mit dem ominösen Namen Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in dessen Besitz die Exponate stehen, unter anderem auch Benin-Bronzen, hat gerade mal vier Arbeitsstellen für die Provenienzforschung geschaffen. Das ist viel weniger als das, was sich die Forum-Verantwortlichen für die ganze PR oder das Marketing kosten lassen. Denn letztlich sind sie im institutionell-rechtlichen Gebilde des globalen Kapitalismus eh am längeren Hebel und investieren in das, was Wert schafft. So ausgeprägt die Gesetze zu Eigentum sind, so schwach sind jene einer Rückgabe. Die Politik, die »Deutschlands wichtigstes Kulturvorhaben« so sehr mitgestaltet, könnte ohne weiteres die rechtlichen Bedingungen einer Rückgabe schaffen. Noch wichtiger, sie könnte die Rückgabe zur primären Aufgabe dieser internationalen Begegnung machen. Bisher entschied sie sich jedoch aus Eigeninteresse für ellenlange Dialoge und Freiwilligkeit, auch, weil sie sich davor hütet, eine zentrale Säule des Kapitalismus anzurühren: das Eigentum.

Naht das Ende?

Die Kritik aus sozialen Bewegungen in Deutschland und aus der ganzen Welt wird nicht abnehmen. Mit dem Projekt Barazani zeigen Aktivist*innen von Decolonize Berlin beispielsweise, wie ein Ort des Gedenkens ohne Profitmotiv und Preußen-Märchen aussehen könnte. Eine große, offene Fläche, die für alle zugänglich ist, die informiert, und doch Raum lässt für eigene Gedanken und in der auch zeitgenössische Künstler*innen ausstellen könnten. In ak 665 berichtete Eric Otieno von der spektakulären Aktion von Mwazulu Diyabanza, der sich selbst dabei filmte, wie er einige dieser Exponate aus dem Musée Quai Branly in Paris mitnahm, nicht nur, um über die problematische Geschichte aufzuklären, sondern auch, um endlich eine rechtliche Entscheidung über den Besitz zu erzwingen. Auch die Herkunftsländer schaffen Fakten. In Senegal zum Beispiel steht das 14.000 Quadratmeter große »Museum der Schwarzen Zivilisationen«. In Nigeria wird derzeit an einem eindrucksvollen modernen Bau gearbeitet, dem »Edo Museum of West African Art«, das eines Tages die gestohlenen Benin-Bronzen beheimaten soll. Was für die moderne Produktion von Gütern gilt, gilt auch für Ausstellungen: Wer Geschichte nicht bespricht und intransparent bleibt, verdeckt die Gewaltbeziehungen hinter den Objekten sowie deren Kontinuitäten, um Dinge weiter so laufen zu lassen wie bisher.

Das Gebäude in Berlin Mitte indes, das aus der Zeit fiel, bevor es fertig war, könnten diese Prozesse Schicht für Schicht abtragen, um Platz für eine Begegnungsstätte zu schaffen, die fernab liegt von bürgerlichen Fantasien und kommerziellen Interessen.