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Vergebt ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun

Die verheerende Bilanz des »Flüchtlingsgipfels« und wie politische Lokalmatadore die rassistische Mobilisierung befeuern

Von Carina Book

Bild eines zweigeschössigen Hauses. Die Hälfte des Daches ist ausgebrannt und in sich zusammen gebrochen.
Schon 2015 war Mecklenburg-Vorpommern ein Hotspot rassistischer Mobilisierungen. Hier eine geplante Flüchtlingsunterkunft in der Trassenheide, die in der Nacht zum 15. November 2015 durch einen Brandanschlag unbewohnbar wurde. Foto: Schneffe himself /Wikimedia , CC0 1.0

Vordergründig schien es Kommunen und Ländern um Geld zu gehen beim sogenannten Flüchtlingsgipfel, den Bund und Länder am 10. Mai abhielten. Und zweifellos ist die finanzielle Lage der Kommunen prekär. Dass das nicht die Folge der Anwesenheit von Geflüchteten, sondern das Resultat jahrzehntelangen Kaputtsparens ist, darüber wollte beim Treffen im Kanzleramt aber lieber niemand reden. Der Ruf nach mehr Geld diente als Instrument, um in dessen Fahrwasser die Reste des 1993 de facto abgeschafften Asylrechts abzuräumen.

Seit Monaten überschlagen sich Politiker*innen vom kommunalen Bürgermeister über den Landrat bis hin zu einigen Landesregierungen mit ihren Forderungen, die Zahl der Asylsuchenden zu begrenzen. Nun sollen Abschiebungen erleichtert und intensiviert werden, zum Beispiel durch die Ausweitung der Abschiebehaft. Grenzkontrollen wie in Österreich sollen »lageabhängig« durchgeführt werden; überdies werden die Maßnahmen zur Abwehr an den außen- und innereuropäischen Grenzen massiv verschärft – das ist die verheerende Bilanz dieses »Flüchtlingsgipfels«. Und dann soll es noch eine Milliarde Euro zusätzlich für die Kommunen geben.

Warum sich viele Kommunen nach dem Treffen trotzdem enttäuscht zeigten, lässt sich mit einem Blick nach Mecklenburg-Vorpommern erklären: Dort, wo im Herbst 2022 ein ehemaliges Hotel, in dem 14 Menschen aus der Ukraine untergebracht waren, abgefackelt wurde, laufen derzeit vielerorts Migrationsfeinde Sturm – und erfahren dafür allerhand Verständnis von lokalen Politiker*innen.

Kurz nachdem am 26. Januar etwa 700 Migrationsfeinde versucht hatten, eine Kreistagssitzung in Grevesmühlen zu stürmen, auf der der Bau einer Unterkunft für Geflüchtete im nahegelegenen Ort Upahl beschlossen wurde, äußerte sich Landrat Tino Schomann (CDU) in den ARD-Tagesthemen so: »Der Bund muss begrenzen und steuern, muss die illegale Migration stoppen und muss die Abschiebeoffensive endlich starten, um auch Kapazitäten freiwerden zu lassen.« Den Gipfel im Kanzleramt bezeichnete er jetzt als »Witz« und die Zeit nicht wert.

Die Landräte wie Schomann wollen sich da Freunde machen, wo sich die Migrationsfeinde tummeln.

Dass die zusätzliche Milliarde für Kommunen dem Landrat Schomann tatsächlich überhaupt nichts nützt, liegt daran, dass die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten ohnehin schon vom Land vollständig zurückerstattet bekommen. Landräte wie Schomann wollen kein Geld.

Sie wollen sich da Freunde machen, wo sich die Migrationsfeinde tummeln. Sie befeuern die rassistischen Diskurse in Politik und Medien. Sie legitimieren damit auch Gewalttaten gegen Menschen, die in Deutschland Schutz suchen. Und dafür brauchen sie nicht einmal die AfD. Das schaffen sie ganz allein – und erhalten dabei noch Schützenhilfe von den Großen in der Bundespolitik.

Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach in der Talkshow von Markus Lanz von einem »Sog nach Deutschland« und stellte die Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention infrage. Spahn wandelt auf gefährlichen Pfaden, die weit weg von dem führen, was nach 1945 als Konsens begriffen wurde. Denn die 1951 eingeführte Genfer Flüchtlingskonvention und auch die heutigen Überbleibsel des Asylrechts waren Konsequenzen, die aus dem deutschen Faschismus und dem Holocaust abgeleitet worden waren: Nie wieder sollten Schutzsuchende an den Grenzen abgewiesen und zurück in Folter und den Tod geschickt werden. Nie wieder.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.