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Abschiebehaft statt Aufnahme

Die EU will in der Asylpolitik die Pläne des ehemaligen Innenministers Seehofer umsetzen, die Ampel macht mit

Von Christian Jakob

Man sieht den Grünen Politiker Cem Özdemir, in der rechten Hand ein Mikrofon, mit der linken Hand macht er eine Geste, er trägt einen Anzug.
Haben die ganze EU-Außengrenze für die Abwehr von Geflüchteten im Blick: Cem Özdemir und seine Grünen. Foto: Stephan Röhl /Flickr, CC BY-SA 2.0

Als die Ampel 2021 antrat, versprach sie in ihren Koalitionsvertrag, »das Leid an den Außengrenzen (zu) beenden.« Zwei Jahre später klingt das ganz anders. Im Deutschlandfunk sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck auf die Frage, ob die Grünen der FDP-Forderung nach neuen Grenzzäunen an den EU-Außengrenzen folgen können: »Die Antwort ist ja.« Dabei ist nach Angaben des EU-Parlaments die Länge der »physischen Barrieren« an den EU-Außengrenzen zwischen 2014 und 2022 von 315 auf 2.048 Kilometer gewachsen. Der Ampel reicht das offenbar noch nicht.

Kurz zuvor hatte sich der grüne Parteivorsitzende Omid Nouripour offen für Asylverfahren an den EU-Außengrenzen gezeigt. Und Habecks grüner Kabinettskollege Cem Özdemir konnte sich gar EU-Asylverfahrenszentren in der Türkei vorstellen, wenn die »wieder zu einem Rechtsstaatspartner wird«.

Özdemir und die anderen grünen Kabinettsmitglieder hatten zuvor SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Zustimmung für Vorschläge zur Neufassung des sogenannten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gegeben. Seit 2014 wird darum gestritten, 2020 hat die EU-Kommission dafür konkrete Vorschläge gemacht. Dabei hat sie im Wesentlichen ein Konzept von Ex-Innenminister Horst Seehofer (CSU) aus der Zeit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft von 2020 übernommen.

Eine Inhaftierung wirkt wie eine Bestrafung dafür, einen Asylantrag gestellt zu haben.

Pro Aysl

Eine der wichtigsten Neuregelungen dabei sind die Asylverfahren an den Außengrenzen. Wer die EU erreicht, soll zunächst in Lager kommen, um per Vorprüfung zu klären, ob überhaupt Zugang zu einem regulären Asylverfahren gewährt wird. Faktisch sollen die Ankommenden interniert und dabei als offiziell nicht eingereist eingestuft werden. Der juristische Trick heißt »Fiktion der Nichteinreise«. Das Prinzip ist mit dem deutschen Flughafenverfahren vergleichbar und soll dazu dienen, Rechtsmittel zu erschweren. Nur wer aus Ländern mit einem EU-weiten Anteil an positiven Asylentscheidungen von über 20 Prozent stammt und nicht über einen »sicheren Drittstaat« einreist, darf für das reguläre Asylverfahren in die EU, so will es die Kommission.

Unmögliche Einreise

Jene, auf die die Kriterien zutreffen, sollen allenfalls für ein Schnellverfahren mit stark abgesenkten Rechtsmitteln bis zu drei Monate interniert bleiben. Bei Ablehnung werden sie direkt aus den Lagern wieder abgeschoben – in ihr Herkunftsland oder den »sicheren Drittstaat«, sofern der dabei mitmacht. In dem ursprünglichen Vorstoß Deutschlands wurde die Idee damit begründet, dass »offensichtlich unbegründete oder unzulässige Anträge an den Außengrenzen sofort zurückgewiesen werden« können.

Die EU-Kommission peilt an, das Asylpaket im Februar 2024, rechtzeitig vor den nächsten EU-Wahlen beschließen zu können. Die sogenannte Trilog-Abstimmung zwischen Rat, Parlament und Kommission ist seit Kurzem im Gang. Allerdings fehlt ein Verhandlungsmandat für den Rat, also die Mitgliedstaaten. Das soll beim Gipfel der EU-Innenminister*innen am 8. und 9. Juni beschlossen werden.

Doch ob das geschieht, ist fraglich. Denn Länder wie Griechenland und Italien drängen seit Langem auf einen festen Verteilmechanismus. Staaten wie Ungarn oder Polen sind strikt dagegen. Nouripour sagte, Voraussetzung für die Zustimmung der Grünen zum Asylpaket seien »unter anderem verbindliche Verteilungsmechanismen für Flüchtlinge in der EU«. Doch ein Verteilmechanismus steht auf EU-Ebene gar nicht zur Verhandlung. Die Kommission will lediglich den sogenannten Solidaritätspool verfestigen, über den andere EU-Mitglieder entweder freiwillig Aufnahmeplätze anbieten können oder ersatzweise Geld- oder Sachleistungen bereitstellen müssen. »Ungarn könnte einfach die libysche Küstenwache bezahlen – und hätte damit seine Verpflichtung im Solidaritätsmechanismus erfüllt«, sagt der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt.

Für den bereits seit Juni 2022 in einer Testphase geltenden freiwilligen Verteilmechanismus hätten sich bereits 13 EU-Staaten gemeldet, heißt es bei der EU-Kommission. Über diesen sollen zunächst bis Mitte dieses Jahres 12.000 Menschen aus Italien und Zypern umverteilt werden. Allerdings wird dies nur äußerst schleppend umgesetzt. Deutschland etwa hat bis Ende April nur 744 Personen übernommen, davon 525 aus Italien und 219 aus Zypern. Das zugesagte deutsche Kontingent umfasst 3.500 Plätze.

Pro Asyl kritisiert die Pläne scharf. »Selbst wenn Schutzsuchende den systematischen, illegalen Push-Backs entkommen« sehen sie von Europa in Zukunft nur noch »Mauern, Stacheldraht und Sicherheitspersonal«, so die NGO. Unter Haftbedingungen seien faire Verfahren unmöglich: »Die Menschen sind oft noch von der Flucht traumatisiert und in einem psychischen Ausnahmezustand, eine Inhaftierung belastet sie zusätzlich und wirkt wie eine Bestrafung dafür, einen Asylantrag gestellt zu haben.« Schon heute sei in entsprechenden Pilotprojekten in Griechenland, den »Closed Controlled Access Centern« genannten Lagern der Zugang für NGOs nicht gewährleistet und selbst für Rechtsanwält*innen in der Praxis oft eingeschränkt.

Seehofer reloaded

Die demonstrative Zustimmung der Ampel zu den EU-Plänen ist vor allem innenpolitisch zu erklären. Die Kommunen wollen vor allem mehr Geld, Union und AfD kritisieren die Ampel wegen angeblich zu laschem Grenzschutz. Dabei sind die Asyl-Erstantragszahlen in den ersten Monaten des Jahres stark zurückgegangen: Von 31.300 im Januar auf 19.600 im April. Doch die Ampel sieht sich genötigt, eine demonstrativ harte Linie einzuschlagen. Und so legte Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Flüchtlingsgipfel am 10. Mai einen umfassenden Plan für mehr Abschiebungen vor. Ganz wie einst Seehofer mit seinen »Ankerzentren« will die Ampel demnach »zentrale Ankunftseinrichtungen« schaffen – aus denen Abschiebungen direkt möglich sein sollen. Dazu sollen Haftplätze »in ausreichender Zahl« entstehen. Die Haftgründe im Asylrecht sollen erweitert werden, ein Folgeantrag etwa soll nicht mehr vor Abschiebehaft schützen. Die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams soll von zehn auf 28 Tage verlängert werden. Bei Abschiebungen dürfen Polizist*innen künftig auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer der Betroffenen in der Unterkunft durchsuchen.

Der Union reicht das indes noch nicht. Am Tag nach dem Flüchtlingsgipfel sagte der CDU-Politiker Jens Spahn in einer Talkshow, man »müsse drüber nachdenken, ob die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention so noch funktionieren«. Es ist ein Überbietungswettbewerb, in dem Menschenrechte keine Rolle spielen. Stattdessen geht es nur noch darum, mit immer weiteren Schikanen und neuen Vorschlägen Aktionismus angesichts der angeblich zu hohen Flüchtlingszahlen zu zeigen.

Die Kommunen, die die – weiter ankommenden – Menschen aufnehmen müssen, schauen dabei in die Röhre. Beim Flüchtlingsgipfel sagte der Bund für 2023 insgesamt eine Milliarde Euro zusätzlich zu. Das Geld reiche »höchstens für die Hälfte« der Flüchtlinge, sagte der Präsident des Städte- und Gemeindebunds in Niedersachsen, Marco Trips. »Der Bund lässt die Länder hängen und die Kommunen im Stich.«

Christian Jakob

ist Journalist bei der taz.

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