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|ak 670 | Wirtschaft & Soziales

Hauptsache, dem Spargel geht es gut

Für Erntehelfer*innen gibt es nur Mindestlohn und kaum Arbeitsschutz

Von Jörn Boewe

Auch im zweiten Corona-Jahr gibt es kaum Schutz für die Erntearbeiter*innen auf den Spargel- oder Erdbeerfeldern. Foto: AnRo0002 / Wikimedia, Public Domain

Die Spargelernte beginnt – und mit ihr kommt eine der übelsten Ausbeutungsmaschinerien der Republik ins Rollen: die saisonale Landwirtschaft. Rund eine Viertelmillion Menschen, überwiegend aus Osteuropa, arbeiten von März bis Oktober auf deutschen Feldern, um die »Ernährungssicherheit« der Republik zu gewährleisten. Vom Spargelstechen übers Erbeerenpflücken bis zur Weinlese – die Arbeit in der Ernte ist ein Knochenjob. Dennoch wird dafür praktisch überall nur der gesetzliche Mindestlohn gezahlt – in diesem Jahr 9,50 Euro. Leute, die das als skandalös niedrig empfinden, hört man in der öffentlichen Diskussion eher selten.

Obwohl sie unter freiem Himmel stattfindet, ist Feldarbeit verblüffend unsichtbar in unserer Gesellschaft, wo das Obst und Gemüse aus dem Supermarkt, Bioladen oder mit dem Gemüsekisten-Wochenabo bis vor die Wohnungstür kommen. »Regional und nachhaltig« liegt im Trend, aber an der Erntearbeit ist nichts regional und nachhaltig. Weil die Löhne auf deutschen Höfen gegenüber Nachbarländern wie Dänemark hinterherhinken, müssen Arbeitskräfte aus immer ferneren Gegenden angeworben werden. Weil deutsche Bauern in Polen nicht mehr genug Leute finden, die für 9,50 Euro schuften wollen, müssen sie seit ein paar Jahren verstärkt nach Rumänien ausweichen. In diesem Jahr nun dürfen sogar 5.000 Erntehelfer*innen im Nicht-EU-Staat Georgien angeworben werden, dafür wurde extra ein zwischenstaatliches Abkommen geschlossen.

Überhaupt wird viel politischer Aufwand betrieben, das Sozial- und Arbeitsrecht für Agrarier weitgehend außer Kraft zu setzen. Sozialversicherungspflicht? Fehlanzeige! Die meisten Saisonkräfte gelten als »kurzfristig Beschäftigte« und müssen deshalb nicht versichert werden. Jedenfalls sofern sie das in ihren Heimatländern sind, was aber hierzulande niemand ernsthaft kontrolliert und wovon in der Praxis recht großzügig »ausgegangen« wird.

In der Theorie ist die »kurzfristige Beschäftigung« nämlich keine berufliche Tätigkeit, sondern ein Neben- oder Ferienjob. Tatsächlich war die Regelung ursprünglich für Schülerinnen und Schüler gedacht, die über ihre Eltern familienversichert sind. »Kurzfristig« hieß bis vor zwei Jahren noch 70 Tage. 2020 wurde die »Kurzfrist« auf 115 Tage verlängert. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) begründete das mit der Universalentschuldigung »Corona«. So wurde gleich noch eine ganze Reihe Sonderregeln durchgewunken, darunter der Zwölfstundentag. In diesem Jahr konnte die SPD die Union wieder auf 102 Tage herunterhandeln. Wer im Laufe der Saison bei mehreren Höfen arbeitet, kann aber locker über diese »Obergrenze« kommen. Die Bauern sind zwar verpflichtet, ihre Erntehelfer*innen bei der Minijobzentrale zu melden. Doch die erfasst nur die Dauer der einzelnen Arbeitsverhältnisse, nicht aber, wie lange jemand insgesamt »kurzfristig beschäftigt« ist. Nach dem GroKo-Kompromiss soll sich das zwar ändern, aber: nicht mehr in diesem Jahr. Die CDU/CSU sorgt für ihre Klientel.

Jörn Boewe

betreibt das Journalistenbüro work in progress, das sich auf Gewerkschaftsthemen spezialisiert hat.