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|ak 685 | Wirtschaft & Soziales

Falsch entlastet

Die Pakete zur Abfederung der Inflation zwingen der Linken ein schwieriges Thema auf: Steuern

Von Guido Speckmann

Symptomatisch für die Entlastungspakete: Auch Gutverdienende mit dicken Autos profitieren. Foto: Erik McLean/Unsplash

Ist doch alles Reformismus, tönt es einem in manchen linken Kreisen entgegen, wenn die Sprache auf Steuern kommt. Und es ist ja richtig: An den Grundfesten kapitalistischer Ökonomien wird selbst dann nicht gerüttelt, wenn heute astronomisch hoch anmutende Spitzensteuersätze gelten würden, so wie in den USA und Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch bis 1964 lagen die Steuersätze in den USA bei über 90 Prozent für Einkommen jenseits von 200.000 US-Dollar. Danach wurden sie auf für heutige Maßstäbe immer noch stolze 70 Prozent gesenkt.

In den beiden Ländern gab es während des Ersten und Zweiten Weltkriegs zudem das, was derzeit allerorten diskutiert wird: eine Übergewinnsteuer (Excess Profits Tax). Details dazu finden sich in einem Papier des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Bemerkenswert darin sind diese Hinweise: Teilweise wurden nicht nur kriegsbedingte Gewinne besteuert, sondern sämtliche während des Krieges erzielten Gewinne. Und die Steuersätze waren hoch, bis zu 95 Prozent. 

Aber auch das hat nicht die Einführung des Sozialismus auf die Tagesordnung gesetzt. Hohe Steuersätze waren eine der Grundlagen keynesianischer Wohlfahrtsstaaten mit ihren Klassenkompromissen und einer relativ egalitären Einkommensverteilung auch in kapitalistischen Ökonomien, bei fortgeführter Ausplünderung von Arbeitskräften und Rohstoffen aus dem Globalen Süden.

Dann kam die neoliberale Konterrevolution, die die Umverteilung von unten nach oben in die Wege leitete und den Mythos des Trickle-Down-Effekts in die Welt setzte. Demnach müsse man die Reichen und Konzerne entlasten, ein bisschen warten – und dann käme auch was bei den Arbeitenden an.

Nicht in der Forderung nach einer Übergewinnsteuer unterscheidet sich die Linke von der EU, sondern in der Ausgestaltung.

Die neoliberale Ideologie schuf zudem die Grundlage für Aussagen wie die von Holger Lösch vom Bundesverband der Industrie (BDI). Noch Mitte August sah er die Beseitigung der marktwirtschaftlichen Grundlagen als Gefahr am Horizont, angesichts der auch in Deutschland immer lauter werdenden Rufe nach einer Übergewinnsteuer. Zu diesem Zeitpunkt war diese schon längst von der EU empfohlen und von Ländern wie Spanien, Italien, Großbritannien, Rumänien, Ungarn, Griechenland und Belgien entweder eingeführt oder angekündigt. 

Der Widerstand der Arbeitgeber*innen und ihrer politischen Interessenvertreter*innen in der FDP sollte nicht lange währen. Der politische Druck angesichts der immer weiter steigenden Energiepreise und die Sorge vor Sozialprotesten machte es unumgänglich: Die Bundesregierung versprach in ihrem Anfang September vorgestellten dritten Entlastungspakets de facto die Einführung der Übergewinnsteuer. Allerdings soll sie nicht so heißen, um die FDP nicht zu triggern; es ist vom »Abschöpfen von Zufallsgewinne die Rede«.

Nach der Finanz- und Coronakrise zeigt sich in der Energiepreiskrise erneut: Marktwirtschaftliche und liberale Prinzipien werden umstandslos über Bord geschmissen, wenn es darum geht, Verluste zu sozialisieren – 2008 der Banken, 2022 der Energieimporteure –, um die Gewinne zu sichern und/oder den kapitalistischen Normalbetrieb zumindest so einigermaßen am Laufen zu halten. Siehe die Gasumlage, die Gaskund*innen belastet, damit Uniper (Konzernvertreter schrieben an dem Gesetz mit) gerettet, aber andere Unternehmen ihre ohnehin drastisch gestiegenen Profite erhöhen können. 

Drittes Entlastungspaket

Auch die im dritten Entlastungspaket angekündigte Strompreisbremse, und das noch völlig vage, im Preis gedeckelte »Grundkontingent im Wärmebereich« sind mit der reinen Lehre des (Neo)liberalismus nicht zu vereinen. Preisdeckel würden dieser zufolge die Signalwirkung des Preises zumindest teilweise außer Kraft setzen, will heißen: Wenn der Preis für ein Grundkontingent gedeckelt ist, entfällt der Anreiz, Strom und Gas zu sparen. 

Widersprechen Übergewinnsteuer, Preisdeckel oder der Einstieg des Staates bei Uniper liberalen Prinzipien, so gibt es bei den Entlastungspaketen dennoch eine bemerkenswerte Kontinuität zur neoliberalen Politik der vergangenen Jahrzehnte: eine Umverteilung von unten nach oben. 

Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte Tankrabatt aus dem zweiten Paket. Durch die Senkung von Steuern auf Benzin und Öl profitierten einerseits die Mineralölkonzerne, weil sie die Steuersenkungen erst nach einer Empörungswelle weitergaben, und andererseits Gutverdienende, die Sprit fressende Autos fahren. Der Tankrabatt, stellt eine Kurzexpertise für die Klima Allianz Deutschland fest, entlastete die am stärksten Betroffenen relativ betrachtet am wenigsten.

Der viel genutzte Gießkannen-Effekt, der alle Bürger*innen entlasten will und dabei die sozialen Unterschiede, die Spaltung der Gesellschaft in Schichten und Klassen ignoriert, setzt sich im dritten Entlastungspaket fort. Auch hier werden Besserverdienende zum Beispiel durch den Abbau der sogenannten kalten Progression entlastet, die es gar nicht nötig haben. Laut Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), kämen allein 70 Prozent der zehn Milliarden Euro an Entlastung bei der sogenannten kalten Steuerprogression den oberen 30 Prozent zugute.

Sein Institut hat im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit als eines der ersten die Beschlüsse und Ankündigungen aller Entlastungspakete analysiert. Nicht berücksichtigt sind die bis dato nur vage angekündigten Preisbremsen bei Strom und Gas. 

Zwei Beispiele: Eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren und einem Geringverdiener-Einkommen von 45.869 Euro wird bei einer Verdopplung der Energiekosten durch das dritte Entlastungspakets mit 888 Euro jährlich entlastet. Zusammen mit den Entlastungen aus den ersten beiden Paketen sind es 1.783 Euro. Demgegenüber stehen gestiegene Energiekosten von 1887 Euro. Die Familie müsste also 104 Euro selbst stemmen. Bei einer Verdreifachung der Energiekosten wären es aber schon 809 Euro, die sie aus eigener Tasche bezahlen müsste. Bliebe es bei einer Verdoppelung, wäre die Entlastung recht umfassend, bei einer Verdreifachung indes stellen über 800 Euro im Jahr für Geringverdienende aber eine erhebliche Summe dar. 

Eine besserverdienende Familie indes mit einem Jahreseinkommen von über 155.000 Euro bekommt bei einer Verdopplung der Energiekosten sogar noch 24 Euro geschenkt. Eine Ursache dessen ist: Wenn durch das Inflationsausgleichgesetz die Einkommensteuern gesenkt werden, entlastet das die Gutverdienenden stärker als Normal- oder Geringverdiener*innen. Wohlhabenden werde somit ein erheblicher Teil der zusätzlichen Energiekosten ausgeglichen, resümiert die Zeit. 

Alle fordern den Deckel

Positiv am dritten Entlastungspaket ist hingegen, dass der Kreis der Wohngeldbezieher*innen von 700.000 auf rund zwei Millionen Menschen ausgeweitet werden soll. Das ist ebenso eine zielgenaue Maßnahme wie die Erhöhung des ab 2023 in Bürgergeld umbenannten Hartz-IV-Geldes. Klar, die 50 Euro gleichen kaum die Inflation aus und ermöglichen kein Leben in Würde, allerdings wird bei der Kritik häufig vergessen, dass die Kosten für Wohnung und Heizen ohnehin vom Staat übernommen werden (Strom hingegen nicht).

Kritik von links hat es in dieser Gemengelage schwer: Begibt sie sich auf die Detailebene, ist den Argumenten von sozialliberalen Ökonomen wie Fratzscher oder Sozialverbänden wenig hinzuzufügen. Nicht in der Forderung nach einer Übergewinnsteuer unterscheidet sich die Linke von der EU, sondern in der Ausgestaltung. Ähnlich ist es beim Thema Preisdeckel. Nicht das »Ob« ist die Frage, sondern das »Wie«. Es ist eine ähnliche Situation, wie in der Finanzkrise von 2008: Plötzlich kritisierten alle den Neoliberalismus – und die Linke verlor ihr Alleinstellungsmerkmal, während Liberale und Konservative durch krisenkeynesianische Trostpflaster die Wut kanalisieren konnten.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.