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»Solidarität mit DİTİB gefährdet Menschen«

Civan Akbulut über den Einfluss der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion und schiefe Debatten

Interview: Nelli Tügel

Der türkische Präsident mit seinem Kumpel Ali Baş, dem Präsidenten der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die Erdoğan direkt unterstellt ist und DİTİB kontrolliert. Foto: Screenshot YouTube

DİTİB, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, wurde 1982 in West-Berlin gegründet und ist die größte sunnitisch-islamische Organisation in der Bundesrepublik. Sie ist direkt der türkischen Religionsbehörde Diyanet unterstellt, in DİTİB-Moscheen wird für Krieg gegen Kurd*innen gebetet, der Völkermord an den Armenier*innen geleugnet, Antisemitismus verbreitet, Kritiker*innen des Erdoğan-Regimes werden ausspioniert. Civan Akbulut kämpft in Essen dagegen, dass DİTİB Trägerin der freien Jugendhilfe wird. Im Gespräch erklärt er, wieso dies fatal wäre, weshalb DİTİB vielerorts so einflussreich ist – und wie Linke sich dazu verhalten sollten.

Im Integrationsrat Essen, dessen Mitglied du bist, versuchst du derzeit zu verhindern, dass DİTİB Trägerin der Jugendhilfe wird. Wie kann es sein, dass das überhaupt zur Debatte steht?

Civan Akbulut: Das ist ehrlich gesagt eine gute Frage, die ich den Kolleg*innen im Integrationsrat auch gestellt habe. Mir wurde dann unter anderem gesagt, dass DİTİB in Essen in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen und als Verein unabhängig sei und man deshalb kaum Spielraum hätte. Das ist Quatsch. DİTİB ist zentralistisch organisiert und in keinster Weise unabhängig. Der Verein in Essen gehört zum DİTİB-Verband in Köln, der nach wie vor dem türkischen Präsidium für religiöse Angelegenheiten, also Diyanet, unterstellt ist. Die vermeintliche Staatsferne, von der man immer wieder hört, ist nur eine Täuschung, auf die offenbar einige reingefallen sind.

Wer ist denn eigentlich im Integrationsrat, und was macht dieses Gremium?

Politiker*innen von verschiedenen Parteien und einzelne Vereine. Die Aufgabe des Rates ist es, Menschen mit Migrationshintergrund zu vertreten. Hauptsächlich nimmt das Gremium Kenntnis, manchmal kann es auch Entscheidungen fällen. Auch im Fall der Trägerschaft hat der Integrationsrat nur Kenntnis genommen, die Entscheidung fällt der Jugendhilfeausschuss.

Foto: privat

Civan Akbulut

ist 21 Jahre alt, Mitglied im Integrationsrat Essen, Delegierter des Landesintegrationsrats Nordrhein-Westfalen und gesellschaftspolitischer Beauftragter bei SV Mesopotamia. Er ist Mitglied der Partei Die Linke und seit seinem 14. Lebensjahr politisch aktiv. Vor dem Mandat im Integrationsrat war er vor allem im Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Essen e.V. engagiert und hat sich für die Belange der kurdischen Community in Deutschland stark gemacht.

Was genau würde DİTİB als Trägerin der Jugendhilfe tun können bzw. kann sie in Städten, wo sie es bereit ist, in diesem Bereich tun?

Die Trägerschaft der freien Jugendhilfe kann man sich wie einen hervorragenden Türöffner vorstellen. Man genießt dadurch eine bevorzugte Stellung, kann dann an Arbeitsgemeinschaften mitwirken und gemeinsam mit der Stadt Projekte ins Leben rufen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass Fördergelder fließen, bei einigen Projekten aber wird die Trägerschaft der freien Jugendhilfe vorausgesetzt, so dass man sagen kann: Ist ein Verein Träger der freien Jugendhilfe, sind ihm potenziell viele Türen geöffnet. Und das wäre im Fall von DİTİB fatal.

Wie ist derzeit der Stand deines Engagements? Wann wird entschieden?

Ich war in Essen der Erste, der sich öffentlich gegen DİTİB als Trägerin der freien Jugendhilfe positioniert hat. Wir hatten im Integrationsrat wie gesagt Kenntnis zur Vorlage genommen, das war im November, da hat sich keiner außer mir kritisch geäußert, im Gegenteil: Die anderen haben sich entweder enthalten oder die Pläne sogar gelobt, meine Kritik wurde im Grunde einfach ignoriert. Mittlerweile schaut das schon etwas anders aus: Kurz nach der Sitzung habe ich einen öffentlichen Aufruf gestartet und viele Menschen haben sich dem angeschlossen, außerdem hat sich ein Bündnis aus 32 Vereinen – darunter kurdische und jesidische Vereine und Pro Asyl – in einer gemeinsamen Erklärung gegen die Pläne gestellt. Die Presse hat darüber berichtet, seither habe ich mit zahlreichen weiteren Vereinen und Politiker*innen sprechen können, auch solchen, die vorher eher pro Trägerschaft eingestellt waren. DİTİB ist wirklich ein Pulverfass – sollten wir es schaffen, den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten, denke ich, dass es gelingen kann, die Pläne zu verhindern. Die ursprünglich für Dezember geplante Entscheidung im Jugendhilfeausschuss wurde vertragt, entschieden wird nun Anfang Februar.

Es gibt eine lange Geschichte der Unterstützung DİTİBs durch den deutschen Staat von der Gründung an bis heute – nicht zufällig ist sie die größte sunnitisch-islamische Organisation hierzulande. Welche Interessen verfolgt die Bundesrepublik deiner Ansicht nach damit?

Um das zu verstehen, muss man sich die Anfänge anschauen. Als die sogenannten Gastarbeiter*innen nach Deutschland kamen, ging die damalige Bundesregierung davon aus, dass diese Menschen bald wieder zurück in die Türkei gehen würden. Es gab dementsprechend kein Interesse daran, finanzielle Mittel für die religiöse Versorgung dieser Menschen zur Verfügung zu stellen. Man hat die Versorgung der religiösen Bedürfnisse an die türkische Regierung übertragen. Zudem war es im Interesse der deutschen Regierung, linke Einflüsse unter Gastarbeiter*innen einzudämmen. Dass etwa die faschistischen Grauen Wölfe so stark sind in Deutschland, haben wir unter anderem dem Umstand zu verdanken, dass ihr Einfluss auch von deutscher Seite gewollt war.

Heute hat DİTİB ein starkes Monopol, vielerorts gibt es kaum Alternativen. Dass dies nach wie vor so ist, hängt einerseits damit zusammen, dass man die Tragweite des Problems nicht ganz begriffen hat, das ist leider Teil der Realität. Es ist aber auch so, dass man in der DİTİB-Frage immer eine Konfrontation mit der Türkei eingeht, und das will die deutsche Regierung unbedingt verhindern, zumal die Beziehungen ohnehin schon angespannt sind.

Als die sogenannten Gastarbeiter*innen kamen, gab es von deutscher Seite kein Interesse daran, Mittel für die religiöse Versorgung dieser Menschen zur Verfügung zu stellen.

Du hast gesagt, ein reales Problem ist, dass es vielerorts kaum Alternativen zu DİTİB-Moscheen für Muslim*innen gibt. Wie könnte das geändert werden?

Das ist ein ziemlich wichtiges Thema, vor dem wir keinesfalls die Augen verschließen dürfen. Wir müssen hier auch muslimischen Communities deutlich machen, dass wir hinter ihnen stehen und gemeinsam an Lösungen arbeiten wollen. Wie das konkret aussehen kann, müssen wir klären. Ich persönlich werde dieses Thema in meiner Arbeit priorisieren und in Essen und Umgebung an Lösungen arbeiten.

Es gibt Linke, die darauf hinweisen, dass Moscheen als Gotteshäuser einer in Deutschland religiösen Minderheit grundsätzlich zu schützen seien und dabei auch bei DİTİB beide Augen zudrücken, obwohl sie um den Einfluss des türkischen Regimes dort wissen – weil sie die den antimuslimischen Rassismus in Deutschland als schwerwiegender empfinden als die Gefahr türkischer Rechter und Islamisten. Was sagst du Linken, die diese Haltung vertreten?

Türkische Rechte und Islamisten haben immer wieder Andersdenkende und Angehörige von Minderheiten ermordet. Ich bekomme bis heute regelmäßig Morddrohungen aus diesen Kreisen. Wer sich Antifaschist nennt, darf bei diesen Gruppen nicht die Augen verschließen, wer sich gegen Rassismus stark machen möchte, muss sich auch gegen Rassismus gegen Kurd*innen, Jesid*innen, Armenier*innen oder Alevit*innen einsetzen.

Das heißt, Linke dürfen in keiner Form mit DİTİB oder mit mit DİTİB assoziierten Vereinen kooperieren?

Korrekt.

Die Debatte flammte erst kürzlich wieder auf, als am 13. Dezember in Leipzig mutmaßlich linke Aktivist*innen aus einer Demo heraus eine DİTİB-Moschee attackierten. Wie hast du diese Debatte wahrgenommen?

Natürlich ist es wichtig, dass wir über Aktionen und Aktionsformen sprechen und diese – wenn nötig – auch kritisieren. Leider war es schnell so, dass in dieser Debatte die Skandale der DİTİB unerwähnt blieben oder die Gefahr, die von DİTİB ausgeht, heruntergespielt wurde. Dabei kann man sich auch gegen Angriffe auf Moscheen positionieren, ohne sich mit DİTİB zu solidarisieren. Ansonsten tut man niemandem einen Gefallen und gefährdet sogar Menschen. DİTİB möchte sich immer wieder als das Gute präsentieren, Linke dürfen dabei natürlich nicht helfen! Im Gegenteil: Wir müssen an der Seite der Betroffenen dieser Strukturen stehen.

Was können Linke konkret tun im Kampf gegen DİTİB?

Am besten fängt man erstmal damit an, sich mit dem Thema überhaupt auseinander zu setzen. DİTİB ist in zahlreiche Skandale verwickelt und betreibt unfassbare Hetze, dafür müssen wir Öffentlichkeit schaffen, das geht aber nur, wenn wir selber wissen, wovon wir reden. In Essen konnten wir Druck ausüben und können möglicherweise verhindern, dass DİTİB Trägerin der freien Jugendhilfe wird. Sowas geht auch in allen anderen Städten, davon bin ich überzeugt.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.