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»Das ist respektlos«

Das deutsch-namibische Verhältnis ist immer noch vom Kolonialismus geprägt, klagt der Aktivist Israel Kaunatjike

Interview: Paul Dziedzic

Israel Kaunatjike steht vor einer benalten Wand, die Palmen, eine trockene Landschaft und im Hintergrund Hügel zeigt. Oben steht die Aufschrift "Swakopmund Genocie Museum"
Israel Kaunatjike im Swakopmund Genocide Museum. Von dieser Kleinstadt aus nahm das Unheil seinen Lauf, als deutsche Kolonialtruppen hier landeten. Foto: Privat

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia zeichnen sich durch Entwicklungshilfe, der fehlenden Aufarbeitung des Genozids an den Ovaherero und Nama im frühen 20. Jahrhundert und neuerdings auch von der sogenannten Energiepartnerschaft aus. Der Aktivist und Bildungsreferent Israel Kaunatjike beobachtet, wie der Widerstand gegen die Regierung in Namibia deshalb wächst.

Ich habe in einem Interview von dir gelesen, dass du schon früh politisch aktiv warst. Was war ausschlaggebend für dich? Was waren die Themen, die die Bewegungen in Namibia angetrieben haben?

Israel Kaunatjike: Ich bin 1947 geboren. Namibia hieß damals nicht mehr Deutsch-Südwestafrika, sondern einfach Südwestafrika und war Teil des südafrikanischen Apartheidregimes. Die Schwarze Bevölkerung war an verschiedenen Orten verteilt, und Rassismus war Gesetz. Ich bin in diesem System groß geworden. Als ich elf wurde, kam es 1959 zum Aufstand in der Old Location in Windhoek, weil die Buren einen Schwarzen Stadtteil zwangsumsiedeln wollten, um dort selbst Häuser zu bauen. Eines Tages versammelten sich bewaffnete Buren dort und ermordeten 13 Menschen. Unsere Eltern haben versucht, uns aus der Stadt zu bringen. Aber die Buren hatten die ganze Stadt mit Panzern umzingelt, und wir sind nicht rausgekommen. Meine Mutter war Haushälterin bei einer deutschen Familie, und wir sind damals immer zu Fuß zu ihr gelaufen. Auf dem Weg haben uns kleine weiße Kinder mit Steinen beworfen, und wir haben uns gewehrt, aber hatten Angst, Probleme mit der Polizei zu kriegen. Wir haben viel Wut in uns getragen, im eigenen Land nicht einmal auf einer Parkbank sitzen zu dürfen, im eigenen Land Untermensch zu sein. Das hat mich alles geprägt.

Es gab also eine Übertragung des Systems aus Südafrika.

Ja, die Südafrikaner haben das eingeführt. Das durften sie eigentlich nicht, denn Namibia war in UN-Treuhand, das heißt, sie sollten das Land nur verwalten und dann in die Unabhängigkeit entlassen. Das hat Südafrika nicht gemacht und stattdessen das Land annektiert. 1959 wurde die erste Befreiungsbewegung Namibias, Swanu, gegründet, um den Unabhängigkeitskampf zu führen. Mit 17 bin ich Mitglied geworden und habe das Land illegal verlassen. Ich bin über Botswana und Sambia nach Tansania gegangen. Von da bin ich weiter nach Sinai in Ägypten gereist, wo ich eine militärische Ausbildung bekommen habe. Danach habe ich eine weitere Ausbildung als Elektrotechniker in Polen angefangen.

Porträt Bild von Israel Kaunatjike. Er schaut in die Kamera und stützt seinen Kopf auf seiner Hand
Israel Kaunatjike. Foto: Privat

Israel Kaunatjike

ist 1947 in Namibia geboren. Er lebt seit mehr als 30 Jahren in Berlin und gilt als Stimme der Herero in Deutschland. Er setzt sich im Bündnis »Völkermord verjährt nicht« dafür ein, dass die deutsche Regierung Verantwortung für die Kolonialverbrechen im heutigen Namibia übernimmt.

Es gibt noch heute deutsch-namibische Beziehungen. Du beschäftigst dich auch mit der sogenannten Gemeinsamen Erklärung zwischen Deutschland und Namibia, bei der es um die Aufarbeitung des deutschen Genozids an den Ovaherero und Nama geht.

Es gab erst einmal geheime Verhandlungen zwischen den zwei Ländern und die Affected Communities [betroffene Gemeinschaften, Anm. Red.] wurden nicht mit einbezogen. Und Deutschland verhält sich wie eine Kolonialmacht, indem es diktiert, was wir brauchen: zum Beispiel Entwicklungshilfe. Wir, Herero und Nama, wollen keine Entwicklungshilfe, wir wollen Reparationen für das, was wir verloren haben. Nach über 100 Jahren wären das mit Zinsen nicht die von der Bundesregierung angebotenen 1,1 Milliarden Euro, die dann noch über 30 Jahre verteilt werden. Das ist respektlos. Auch die Oppositionsparteien in Namibia sind gegen das Abkommen. Und die über 300.000 Herero und Nama in der Diaspora in Südafrika und Botswana muss man auch mit einbeziehen, weil sie vom Vernichtungsbefehl von Lothar von Trotha betroffen waren und flüchten mussten. Wir haben Land verloren. Heute ist dieses Land immer noch in der Hand der deutschen Siedler.

Wir wollen keine Entwicklungshilfe, wir wollen Reparationen für das, was wir verloren haben.

Die besitzen noch heute einen enormen Teil der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Namibia.

Die haben es uns einfach weggenommen, inklusive Pferde und Vieh. Heute sagen die deutschen Siedler, »wir haben das Land gekauft«. Von wem haben sie es gekauft? Da macht unsere Regierung einen großen Fehler, denn in der Verfassung gilt das »Willing Buyer, Willing Seller«-Prinzip. Das heißt, dass die Farmer nicht gezwungen werden können, das Land abzugeben, sie können es verkaufen. Die Verfassung wurde auch von Deutschland indirekt mitgeschrieben, das sich im Hintergrund dachte, »wir haben unsere Landsleute, die dort Farmen besitzen und die wir in der neuen namibischen Verfassung schützen müssen.«

Die Bundesregierung agiert wie eine Art Lobby.

Es gibt eine Verbindung zwischen den Deutschen. Deutschland vertritt noch heute die Interessen der deutschen Siedler in Namibia. Auch damals während der Apartheid haben sie deutsche Privatschulen und die deutsche Hochschule mitfinanziert. Heute sind die für alle zugänglich, weil Apartheid und Rassismus eigentlich verboten sind.

Was lässt sich über die deutschen Siedler in Namibia heutzutage sagen?

Die sind total rechts und uns gegenüber sehr rassistisch. Sie leugnen, dass es einen Völkermord gab. Für sie war es kleiner Krieg, bei dem ein paar Herero umgekommen sind. Auf arte gab es einen Dokumentarfilm über mich, er heißt »das Erbe des Kolonialismus«, und da hört man diese Deutschen, wie sie über uns sprechen: Wir sind »Kaffer« und Abzocker. Und sie sagen, »dieses Land haben die Herero uns für Peanuts verkauft« und so weiter. So war es aber nicht.

Die zwei größten Sektoren in Namibia sind ja Landwirtschaft und Tourismus. Die sind von Zugang zu Land abhängig.

Alles ist in deutscher Siedlerhand.

Außerdem wird Namibia in Deutschland als Urlaubsort stark empfohlen.

Manche Landbesitzer haben ihr Land in Jagdfarmen umgewandelt. Die Touristen aus Deutschland gehen da hin und schießen Elefanten und andere Tiere ab. Das ist schrecklich. Und unsere namibische Regierung lässt das zu. Dagegen gibt es natürlich viel Protest. Allgemein gibt es viele junge Leute und auch viele Frauen, die wirklich aktiv und radikal sind. Das macht mir Hoffnung. Eine der Bewegungen heißt Affirmative Repositioning. Die wollen jetzt auch eine neue Partei gründen, denn wir haben nächstes Jahr Wahlen. Dann gibt es noch die Economic Freedom Fighters, ähnlich wie in Südafrika, die auch ziemlich radikal sind. Sie sind den etablierten Parteien wie der Swapo ein Dorn im Auge. Einige sind schon im Parlament. Viele junge Menschen engagieren sich zum Beispiel auch bei Straßenumbenennungen. Wir haben Straßennamen wie Trotha. Solche kolonialen Straßennamen wirst du in Tansania nicht finden. Du wirst sie nirgendwo in Afrika finden, außer in Namibia.

Antikoloniale Themen sind wieder auf der Agenda. Warum ist die Regierung dagegen? Parteien wie Swapo waren doch früher selbst in der Unabhängigkeitsbewegung?

Die sind heute ganz anders. Der erste Präsident von Namibia ist heute der reichste Mann im Land, der soll heute Multimillionär sein. Auch Geingob, der heutige Präsident, ist Multimillionär. Gleichzeitig hat in den letzten Jahren die Armut zugenommen. Wir haben eine Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent. Viele kommen von den Unis und kriegen keine Jobs. Swapo sah sich damals als sozialistische Partei, heute ist es eine total korrupte Organisation. Und das ist wirklich sehr traurig. Letztes Jahr war ich in Namibia, als wir diese Doku gedreht haben, und wir haben drei, vier verschiedene Slums besucht. Es ist eine Katastrophe. Es gibt keinen Strom, keine Toiletten, weil sich viele illegal ihre Häuser bauen. Die Swapo-Regierung vergrößert die Lücke zwischen Reich und Arm.

Du hast auch deutsche Projekte zur Förderung von Wasserstoff kritisiert. Warum?

Das sieht man schon bei Öl und Gas. Auch da bekommt Namibia nur 10 Prozent von den Gewinnen. 10 Prozent für unser eigenes Öl. Länder wie Katar kriegen 90 oder 100 Prozent. Namibia hat es verkauft und sagt »Wir haben ja nicht investiert. Investiert haben die Ölgesellschaften. Wir brauchen nur die 10 Prozent.« Mit der grünen Energie wird das genauso. Es ist nur ein Vorteil für die Menschen hier in Deutschland, weil sie nicht mehr so viel für Gas bezahlen müssen. Globalisierung ist nur ein anderes Wort für Kolonialismus. Und dagegen müssen wir wehren.

Können auch Linke hierzulande etwas gegen diese neokolonialen Verhältnisse tun? Es ist schließlich ihr Land, das da involviert ist.

Es gibt schon Verbindungen. Ich hatte zum Beispiel mit der Organisation für Bedrohte Völker zu tun, mit Black Lives Matter, dem ISD und anderen. Auch an den Unis bauen Studenten Netzwerke auf. Wir arbeiten auch mit der Linkspartei zusammen. Sie ist die einzige Partei, die mit uns im Parlament zusammenarbeitet. Deshalb hoffe ich, dass sie im Parlament bleiben. Die Grünen haben uns verraten. In der Opposition waren sie immer auf unserer Seite, als es im Bundestag um die Anerkennung des Völkermordes und Reparationen ging. Heute haben sie diese Joint Declaration [Gemeinsame Erklärung, Anm. Red.] übernommen. Frau Baerbock fliegt nur bis Südafrika. Sie traut sich nicht nach Namibia. Habeck war da, der hat sich mit einigen Herero-Aktivisten fotografieren lassen und ist dann wieder zurück.

Das Abkommen ist noch nicht unterschrieben.

Nein. Im Februar haben auch die Uno-Berichterstatter diese Joint Delegation kritisiert. Nach UN-Prinzipien für indigene Rechte müssten sich die Herero selber repräsentieren können. Die Bundesregierung besteht immer noch darauf, dass sie alles richtig gemacht hat. Normalerweise hätten Steinmeier oder Heiko Maas nach Namibia gemusst, um das Abkommen zu unterschrieben. Aber die haben sich nicht getraut. Außerdem gibt es bis heute viele Demonstrationen gegen das Abkommen.

Das heißt, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Die Bundesregierung wartet darauf, welche Schritte die namibische Regierung unternimmt. Die Oppositionsparteien und die Communities haben die namibische Regierung in Namibia verklagt. Wir warten noch darauf, was der High Court sagt. Und ich glaube, die Swapo hat auch ein bisschen Angst, weil nächstes Jahr im November Wahlen sind. Ich nehme an, dass sie nicht mehr so beliebt sind wegen der Korruption. Sie sind wirklich wie Angestellte der EU und handeln nicht im Interesse der namibischen Bevölkerung. Und die EU, das ist Deutschland, das sich immer noch benimmt wie eine Kolonialmacht. Sie können machen, was sie wollen. Die können Namibia die 1,1 Milliarden Euro geben, das interessiert uns nicht. Das ist nicht unser Problem. Sollen sich die Regierungsleute Mercedes Benz aus Deutschland bestellen. Von unserer Seite ist alles klipp und klar: Wir wollen neue Verhandlungen und sonst nichts.