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Die neuesten Trottel der Nation

Die Impfdrängler sind die nächsten Gewinner in der Corona-Schuldlotterie

Von Eli Keller

Geiert tagein tagaus auf die Spritze: der gemeine Impfvordrängler. Foto: Nick Kwan/unsplash

Die Problemverschieber haben wieder zugeschlagen. Die aktuellen Schuldigen an so ziemlich allem, was falsch läuft an der Corona-Politik sind: die Impfdrängler. Sie drängeln sich egoistisch vor, überlasten die Arztpraxen mit ihren Anrufen, wollen sich auf Teufel komm raus impfen lassen, womit sie Risikopatient*innen den Impfstoff wegschnappen, und sind zusammengefasst einfach total unsolidarisch. Damit treten sie in die Fußstapfen der Glühweintrinker*innen, die sich im Winter lieber warme Plörre reinkippen wollten, als das Infektionsgeschehen zu beachten; der Partyleute, die es letzten Sommer einfach nicht lassen konnten, draußen zu feiern; der Maskenmuffel, die im Frühjahr 2020 mit ihrem unverantwortlichen Verhalten die Pandemiebekämpfung gefährdeten, und so weiter.

Das Schöne an all diesen unangenehmen Gestalten ist, dass man sich ein paar Wochen über sie aufregen kann, wodurch sich weitergehende Gedanken über die Corona-Politik auch erübrigen. Ist das Problem an der hiesigen Impfkampagne, dass sich zu viele Leute um Impftermine bemühen, jetzt wo die Impfreihenfolge weitgehend außer Kraft gesetzt ist und die Politik Einschränkungen für Geimpfte zurücknimmt? Are the Impfdränglers to blame dafür, dass die Bundesregierung und die meisten anderen europäischen Regierungen sich gegen die Aufhebung der Patente stemmen, wodurch sie einen zügigeren globalen Impffortschritt blockieren? Und hatten die Glühweintrinker*innen, Partyleute und Maskenmuffel Schuld daran, dass die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nur Einschränkungen im Privaten vorsahen, aber den Infektionsherd Arbeitsplatz quasi nicht angetastet haben? Eben.

Die Erfindung der Impfdrängler ist ein Beispiel dafür, wie eine Situation politisch gerahmt wird, um das Gespräch über die wirklichen Probleme zu vermeiden. Ein stinknormales Ablenkungsmanöver. Die individualisierte Schuldzuweisung ist eine politische Waffe – alt, aber zielsicher. Man kennt sie von den Urlauber*innen, die zu viele Flugreisen unternehmen (schuld am Klimawandel!), den Hartz-IV-Abzocker*innen und Florida-Rolfs, die die Sozialsysteme überlasten (wer soll das bezahlen!) oder dem Aldi-Kunden, der am Tierleid schuld ist. Und schon fragt sich niemand mehr, was es mit CDU-Maskenkorruption und Milliardengewinnen großer Konzerne in der Pandemie auf sich hat.

Deshalb immer dran denken: Jedes Mal, wenn du über Impfdrängler lästerst, werden die Bundesregierung, die Industrie- und Handelskammer und das grüne Ehepaar von nebenan ein bisschen stärker.

Eli Keller

wäre auch gerne Florida Rolf.