analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 703 | International

Belgien: Jagd auf Kurd*innen

In Belgisch-Limburg griffen türkische Nationalist*innen Rückkehrende einer Neujahrsfeier an – und erhielten Rückendeckung aus der Politik

Von Civan Akbulut

Foto von einem Nowwruz-Feuer.
Statt traditioneller Nowruz-Feuer genießen zu können, mussten sich Kurd*innen am Neujahrsfest gegen Brandstiftungen türkischer Nationalist*innen wehren. Mehr News Agency/Wikimedia Commons, CC BY 4.0

Ist kurdisches Leben mitten in Europa in Gefahr? Am 24. März 2024 attackierten türkische Nationalisten in Belgien Kurd*innen bei ihrer Rückfahrt von einer Newroz-Feierlichkeit. Es spielten sich brutale Szenen ab, mehrere Menschen wurden, teils auch schwer, verletzt. Aufnahmen, welche die Täter selbst ins Netz stellten, zeigten, wie Jagd auf Kurd*innen gemacht wurde.

Es begann ziemlich harmlos: Wenige tausend Menschen feierten in der belgischen Stadt Löwen das kurdische Neujahrsfest Newroz. Newroz wird weltweit von vielen Millionen Menschen gefeiert, für Kurd*innen ist es das bedeutsamste Fest des Jahres, denn es steht symbolisch für ein solidarisches Miteinander und Widerstand. Kaum jemand hätte ahnen können, wie hochaktuell dieser Widerstand an diesem Tag werden würde: Als das Fest zu Ende ging und die Menschen sich auf den Heimweg machten, organisierte sich einige Kilometer entfernt ein nationalistischer Mob.

In Belgisch-Limburg wurden die zurückkehrenden Familien von Gruppen türkischer Nationalisten empfangen, es kam zu schweren Übergriffen. Als eine Familie fliehen konnte und in ihrem Haus Schutz suchte, versuchten die Angreifer, das Haus, in dem sich zahlreiche Menschen, darunter ältere und Kinder befanden, in Brand zu setzen. Der Brandanschlag konnte nur knapp verhindert werden. Unterdessen zog der Mob pogromartig durch die Straßen, die Polizei war gänzlich überfordert mit der Situation. Aufnahmen, auf denen in deutlicher Überzahl Kurd*innen angegriffen und sie bewusstlos am Boden liegend zur Schau gestellt werden, verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in den Sozialen Medien. Man kann von Glück sprechen, dass niemand getötet wurde. Mobilisiert wurde auch in den darauffolgenden Tagen, es gab eine regelrechte Welle an Drohungen. Auch in Deutschland wurde zu Aktionen gegen Kurd*innen aufgerufen.

Wer nun glaubt, dass die Reaktionen auf diese Angriffe solidarisch mit den Opfern waren, wird enttäuscht. Die Betroffenen wurden beschuldigt, schließlich hätten sie mit kurdischen Symbolen provoziert. Befeuert wurden die Angreifer von türkischen Medien, deren Redaktionen maßgeblich zur Eskalation beitrugen. Die Hofberichterstatter Erdoğans und der AKP verbreiteten das Narrativ, die Angreifer würden die belgischen Gemeinden vor kurdischen »Terroristen« schützen.

Vermeintliche Selbstverteidigung

Wenn man sich schon nicht mit den kurdischen Opfern solidarisiert, sollte man wenigstens konsequent sein und den Tätern wirklich zuhören. Denn aus ihren Motiven haben sie keinen Hehl gemacht: Sie riefen zur Gewalt auf, schrien lautstark islamistische Parolen und zeigten den Wolfsgruß. Ihre Gesichter hielten die Nationalisten offen in die Kamera, im Hintergrund wehten Türkei-Flaggen.

Mit Recht darf davon ausgegangen werden, dass die Angriffe nicht spontan, sondern koordiniert erfolgten. Die Angreifer wussten genau, was sie taten, die türkischen Medien waren schnell vor Ort, der Modus Operandi war klar und aufgrund der Ähnlichkeit zu vorherigen Angriffen fast schon offensichtlich. Neben der rassistischen Lust, kurdische Menschen grundlos zu attackieren, kam natürlich auch das strategische Interesse hinzu, die kurdische Gesellschaft durch Provokationen in eine neue Ära der Kriminalisierung zu treiben. Dass der türkische Außenminister Hakan Fidan wenige Tage zuvor in Belgien war, wird wohl kein Zufall gewesen sein. Als es zu den Angriffen gegen die Kurd*innen kam, telefonierte er noch am selben Tag mit der belgischen Außenministerin. Fidan ist ehemaliger Chef des türkischen Geheimdienstes MİT, dieser gilt als verantwortlich für zahlreiche Verbrechen, darunter Folter, Mord, Entführungen im In- und Ausland, Unterstützung islamistischer Milizen und Bespitzelung von Oppositionellen. In einer offiziellen Erklärung des türkischen Außenministeriums hieß es später, dass »notwendige Schritte eingeleitet« wurden.

Nun bleibt zu hoffen, dass die Politik handelt, bevor aus dieser Drohung Taten werden und sich solche Angriffe wiederholen. Bereits mehr als drei Jahre sind vergangen, seit die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und den Grünen gemeinsam den Antrag »Nationalismus und Rassismus die Stirn bieten – Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurückdrängen« verabschiedet haben. Außer symbolischen Gesten und Absichtserklärungen ist bisher nichts passiert. Die Angelegenheit wird verschleppt, während Minderheiten und Oppositionelle in Deutschland um ihr Leben fürchten müssen.

Civan Akbulut

ist Mitbegründer und Vorsitzender der Informationsstelle Antikurdischer Rassismus – IAKR