analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 688 | Geschichte

Feindbestimmungen

In welchem historischen Kontext kam der Triple-Oppression-Ansatz in die BRD, und was an der Kritik und Praxis von damals ist heute noch aktuell?

Von Klaus Viehmann

Straßenbauarbeiten, Männer in orangener Arbeitskleidung
Dass die Arbeiter*innenklasse nicht nur weiß und männlich ist, versuchte das Drei-zu-Eins-Papier bereits 1990 zu reflektieren. Taugt es für heutige Diskussionen? Foto: Matthias Berg / Flickr

Der von Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo herausgegebene Band »Die Diversität der Ausbeutung« ist bereits – zu Recht – auf viel Interesse gestoßen. Er bringt auch den alten umstürzlerischen Triple-Oppression-Ansatz wieder aufs Tableau. Explizit erwähnt wird er allerdings nur im Vorwort, und dort fälschlich mit systemimmanenten Intersektionalitätsdebatten konnotiert.

Christian Frings stellt dort u. a. folgende Behauptung auf: »Drei zu Eins. Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus von Klaus Viehmann u.a., das 1990 einige Diskussionen auslöste (…), führte (…) den Begriff der triple oppression ein, als von Intersektionalität noch nicht die Rede war. Es löste damit schon damals die Frage des Antirassismus und Antisexismus aus ihrem Zusammenhang mit dem Kapitalismus heraus und bot der Szene nur noch die Perspektive einer moralischen Selbstvergewisserung.« Es sollte stutzig machen, wenn für diese gravierende Kritik des Triple-Oppression-Ansatzes keine einzige Belegstelle angeführt wird.

Der Grund ist einfach: Es gibt keine. Die Drei-zu-Eins-Diskutant*innen kannten sich aus in marxistischer Theorie, waren aber als Feminist*innen, Antirassist*innen und Sozialrevolutionär*innen an deren praktische Grenzen gestoßen. Mit »moralischer Selbstvergewisserung« hatte das Papier nichts zu tun; wer es liest, wird das feststellen. Hier ein Beleg für die tatsächliche Intention des »Drei-zu-Eins-Papiers«: »Der Triple-Oppression-Ansatz kritisiert nicht etwa den linken Universalismus des ›Umwerfens aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist‹, er kritisiert vielmehr, dass die (alte) Linke ihrem eigenen universalistischen Anspruch nie gerecht wurde. ›Der Mensch‹ war für sie männlich, weiß, Lohnarbeiter und Metropolenbewohner – und auch nur die ihn unterdrückenden Verhältnisse suchte sie umzuwerfen. Gegenüber einem falschen, ›unsichtbarmachenden‹ Universalismus anerkennt der Triple-Oppression-Ansatz drei Grundstrukturen von Herrschaft und respektiert die Autonomien der Frauen, Schwarzen und Arbeiter*innen, ihre jeweilige Kritik an den Verhältnissen und auch ihre (Selbst)Organisationen.«

Einfache Fragen

Das »Drei-zu-Eins-Papier« stellte einfache Fragen: Welcher Klasse entstammt die (revolutionäre) Linke, welches Geschlecht hat sie, wie deutsch und wie weiß ist sie eigentlich? Wie kann diese Linke trotzdem emanzipatorisch wirken und alle Verhältnisse umwerfen? Es ging um die Reflexion der eigenen materiellen Bedingungen – und um praktische Konsequenzen. Paradigmatisch wird in dem Papier Neville Alexander zitiert: »Wenn wir von Befreiungskampf sprechen, meinen wir den Kampf gegen alle diese drei Arten von Unterdrückung [Rassismus, Kapitalismus, Patriarchat. K.V.]. Wir sprechen nicht von drei verschiedenen Stadien oder drei verschiedenen Kämpfen; nein, wir sprechen von einem einzigen Kampf! Ich sagte bereits, dass Freiheit unteilbar ist. Du kannst dich nicht frei nennen, solange noch die eine oder die andere dieser Unterdrückungsformen weiterbesteht.« (Antisemitismus wurde explizit erst 1993 in einer Neuauflage des Papiers thematisiert.)

Die Autor*innen und die von ihnen ausführlich zitierten Schwarzen und feministischen Vertreter*innen eines Triple-Oppression-Ansatzes verband die Überzeugung, dass es »den« Kapitalismus, »das« Patriarchat oder »die« Rassismen nicht ohne spezifische historische Entwicklungslinien gibt. In konkreten Situationen treten Unterschiede in der »Zusammensetzung« der Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zutage, die sich in unterschiedlicher Ausprägung gegen Arbeiter*innen, gegen Frauen oder gegen Schwarze und imperialistisch gegen trikontinentale Befreiung, also gegen den antikolonialen Widerstand in Asien, Afrika und Lateinamerika richten.

Es gibt kein schematisches Nebeneinander von Unterdrückungen und Ausbeutung, keine ist völlig auf eine andere zurückführbar oder völlig vereinnahmt von anderen, sie bilden immer eine zusammenhängende historische Wirklichkeit. Das Drei-zu-Eins-Papier griff den Triple-Oppression-Ansatz für die deutschsprachige Linke auf und sollte klarmachen, dass antikapitalistische Kämpfe zwar oft – aber nie nur – von einer weißen, männlichen »Klasse« in den Metropolen getragen wurden, es gegen Imperialismus, Patriarchat und Rassismen aber von anderen gesellschaftlichen Akteur*innen getragene, oft unsichtbar gemachte Kämpfe gab. Die Notwendigkeit, sich zu organisieren und interne Spaltungen entlang der Klassenlage, des Geschlechts und der »Rasse« zu identifizieren und perspektivisch zu überwinden, gab es nach Überzeugung der Drei-zu-Eins-Diskutant*innen für alle Linken.

Mit moralischer Selbstvergewisserung hatte das Drei-zu-Eins-Papier nichts zu tun.

Ein Aspekt des Entstehungskontextes, der vielleicht nicht gleich einleuchtet, weil Knast der heutigen deutschen Linken fremd ist: Das Papier ist unter Hochsicherheitshaftbedingungen ausformuliert worden. Dieser Entstehungsort ist von Bedeutung, weil es dort bei Theorieproduktion nicht um Seminarscheine oder x-te Auslegungen der MEW geht, sondern um das Überleben als politisches Wesen und um mühsam gegen die Knastzensur hergestellte Kollektivität mit Genoss*innen draußen. Mit Theorie um der Theorie willen oder einer nur individuelle Privilegien kritisierenden »Intersektionalität« hat das überhaupt nichts zu tun. Wer sich näher für diese Entstehungsbedingungen interessiert, kann das nachlesen.

Die Kampagne »Für freies Fluten«

Noch ein Aspekt, der heutzutage vielen hiesigen Aktivist*innen zu wenig bewusst ist: Das Zusammenkommen von Kämpfen gegen Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat war und ist eine brisante, tendenziell revolutionäre Mischung. Sie wird vom Sicherheitsapparat beobachtet und spätestens dann bekämpft, wenn die Sphäre der Theorie verlassen wird und Ansätze von systemfeindlicher, militanter Praxis und migrantischer Selbstverteidigung gegen rassistische Angriffe aufblitzen. Frings thematisiert all das nicht und verschweigt zudem in seiner Darstellung der »Flutkampagne« der 1980er Jahre den sprichwörtlichen Elefanten im Raum: die damalige Stadtguerilla. Genauer gesagt: die Kampagne »Für freies Fluten« der Revolutionären Zellen mit ihren zahlreichen Anschlägen und Attentaten gegen Institutionen und Protagonist*innen der rassistischen Politik in der BRD und die Anschläge der Roten Zora auf die Bekleidungsmärkte der Adler-Modekette gegen die Ausbeutung von Textilarbeiterinnen in den Sweatshops Südkoreas.

Diese militante Praxis wurde in vielen Geflüchtetengruppen deutlich wahrgenommen und deren Diskussionen fanden wiederum ihren Niederschlag in der Bestimmung späterer RZ-Aktionen. Das von Frings im Vorwort zitierte »Medico-Papier« von 1986 gehört in diesen historischen Kontext. Frings bezeichnet das »Medico-Papier« als »letzten Versuch«, den »damals entstandenen Flüchtlingsgruppen eine politische Orientierung zu geben«. Das klingt wie der alte Witz über Politsekten: »Die richtige Linie hatten wir schon, es fehlten nur noch die Massen!« Den aktivistischen, antirassistischen Gruppen, die damals gemeinsam mit und solidarisch für Geflüchtete und Sinti*zze und Rom*nja gekämpft haben, zu unterstellen, sie seien politisch desorientiert gewesen, ist jedoch tatsächlich gar nicht witzig, sondern ätzend arrogant. Frings unterschlägt die schon damals geäußerte Kritik an dem »Medico-Papier«, es lohnt sich aber, sie und damit die Differenzen zum »Drei-zu-Eins-Papier«, nachzuzeichnen, denn mit der gegenwärtigen Wiederentdeckung einer nur verkürzt bestimmten »Klasse« wird sie erneut aktuell.

Unter dem Originaltitel »Thesen zur Flüchtlingsfrage« stellte das »Medico-Papier« die »These einer imperialistischen Weltsozialpolitik (auf), welche hinter den jeweils besonderen Bedingungen der Vertreibung der Flüchtlinge« stehe, und die Autor*innen behaupteten explizit »die objektive Existenz einer transnationalen proletarischen Unterklasse«. In seinem Vorwort zitiert es Frings auszugsweise, u. a. so: »Wie aber ist Antiimperialismus dann noch zu fassen, wenn nicht als weltweiter Kampf, der sich an all diesen Fronten gleichzeitig gegen die Herrschaft des Imperialismus auflehnt? Und welches soll das hegemoniale soziale Subjekt in diesem Kampf sein, wenn nicht die Mehrheit der Weltbevölkerung aus den Slums und Lagern? […] Letztlich braucht die Ausbreitung eines sozialrevolutionären Antiimperialismus auch die Mobilität des Weltproletariats.«

Das »Medico-Papier« verband anhand einer kenntnisreichen Auswertung von Papieren imperialistischer Agenturen und kapitalistischer Sozialtechniker*innen die annehmbare These einer »imperialistischen Weltsozialpolitik« aus dem von den Drei-zu-Eins-Diskutant*innen kritisierten voluntaristischen Sichtwinkel eines eurozentristischen Internationalismus, der wie in einem Kaleidoskop weltweit Revolten aufblitzen sieht, aber, wenn sie verlöschen, das Kaleidoskop weiter dreht zum nächsten Objekt der sozialrevolutionären Begierde.

Im Ergebnis zeichnete das »Medico-Papier« das schillernde Bild eines ohn‘ Unterlass kämpfenden »Weltproletariats«, dessen nationale Besonderheiten der Kämpfe und Verhältnisse vor Ort nur rhetorisch benannt und dessen Geschlecht und »Rasse« nicht analysiert wurden. »Transnationale proletarische Unterklasse« blieb ein Konstrukt, das als Antagonist einer »imperialistischen Weltsozialpolitik« theoretisch abgeleitet wurde, aber weder »als Klasse an sich« noch »als Klasse für sich« existierte. Die konkreten Subjekte, mit denen flüchtlingssolidarische Gruppen in ihrer Praxis schon damals zu tun bekamen, waren viel diverser als die ihnen zugeschriebene Identität einer »transnationalen proletarischen Unterklasse«. Die Gruppen orientierten sich im Kontakt zu Migrant*innen, Geflüchteten oder speziell Sinti*zze und Rom*nja nachvollziehbarerweise konkreter, antirassistischer und angesichts frauenspezifischer Fluchtgründe und dem Druck der Frauenbewegung auch antipatriarchaler.

Diese Entwicklung weg von der »Weltproletariats«-These des »Medico-Papiers« lässt sich auch anhand späterer RZ-Aktionen Ende der 1980er Jahre nachzeichnen. Die Rote Zora und andere Feministinnen hatten sich ohnehin bereits internationalistisch mit konkreten Subjekten, etwa südkoreanischen Arbeiterinnen, solidarisiert. Zu jener Zeit setzte auch der Diskussionsprozess ein, aus dem das »Drei-zu-Eins-Papier« entstand. Da es mit dem Triple-Oppression-Ansatz eine neue gemeinsame (militante) Praxis von Sozialrevolutionär*innen, Anti-Rassist*innen und Feministinnen vorschlagen wollte, die zwangsläufig auf das System und heftige Repression stoßen würde, thematisierte es Herrschaftsverhältnisse deutlicher als Ausbeutungsverhältnisse – deren Existenz seinerzeit, im Gegensatz zu heute, aber auch viel selbstverständlicher im Bewusstsein aller linken Aktivist*innen war.

Gegen Partikularismus

Das »Drei-zu-Eins-Papier« lässt sich ebenso wenig wie die »legalen« Kampagnen und militanten Aktionen der 1980er und 1990er Jahre gegen Grenzregime, für Bleiberecht, gegen Pogrome, unter Etikettierungen wie »politisch desorientiert« oder gar »liberalem Antirassismus« abheften – auch wenn Begriffe wie »materialistisch« oder »Klasse« nicht in jedem zweiten Satz des Papiers oder in damaligen Flugblättern oder Kommuniqués auftauchten.

Es hätte einem Vorwort zu einem Buch über die »Diversität der Ausbeutung« gutgetan, die alten Differenzen zwischen der Propagierung eines »Weltproletariats« und dem Triple-Oppression-Ansatz vollständig darzustellen. Das gilt auch für die im Vorwort zitierte Kritik an dem »Drei-zu-Eins-Papier« in der Wildcat Nr. 57 von 1992, wonach »der Text die Tendenzen in der autonomen Linken verstärkt« habe, »sich in lauter Mikrowidersprüche zu verrennen«. Es fehlt der Verweis auf die Replik in der Nr. 58: »Tatsächlich wird Partikularismus und Atomisierung der Linken in Individuen in 3:1 kritisiert; es gibt Verweise auf die Klassenlage der autonomen Linken, nachdrückliche Hinweise auf die Notwendigkeit von Organisierung entlang authentischer Unterdrückungsverhältnisse bzw. auf deren Grundlage zu Einheiten gegenüber einem vollständiger definierten Feind zu kommen.«

Die von Frings in seinem Vorwort nicht rezipierten postkolonialen und feministischen Theorien und die Erfahrungen der dort geradezu paternalistisch abgekanzelten Geflüchtetengruppen der 1980er Jahre wieder wahrzunehmen, könnte interessante Positionen in Erinnerung rufen. Als ein kleines Beispiel sei der Redebeitrag des Koordinationskreis Rhein/Ruhr autonomer Flüchtlingsgruppen auf der »Grenzen-auf!«-Veranstaltung im Januar 1987 angeführt: »Wer sein Verhältnis als Deutscher zu Nicht-Deutschen, sein Verhältnis als satter Metropolenbürger zur Dritten Welt, als Mann zu Frauen und umgekehrt nicht ständig in Frage stellt, wird immer ein Spielball der Interessen des herrschenden Systems bleiben, sein bürgerliches Denken nicht befreien können. Der Internationalismus war und ist ein wichtiges Instrument der Befreiung. […] Eine starke antirassistische Bewegung in Westeuropa, besonders in der BRD, würde die Bedingungen für soziale Kämpfe verbessern und die antiimperialistischen Kämpfe aus der Defensive führen.«

Die Kampagne »Für freies Fluten« und das »Drei-zu-Eins-Papier« entstanden vor über 30 Jahren in einer BRD, in der Gruppen wie Antifa Gençlik eben erst auftauchten. Die Diskussion des Triple Oppression-Ansatzes erfolgte aus der Sicht bundesdeutscher Aktivist*innen, die auf der Suche nach einer aktuelleren Theorie und effektiverer Praxis waren. Die heutige Schwarze und migrantische Bewegung hat eine ganz andere Basis und kann auf mehr Erfahrungen zurückblicken – sie könnte eine viel stärkere und langfristigere Wirkungsmacht entfalten, als es damals gelang.

Klaus Viehmann

war in den 1970er Jahren an Stadtguerillaktivitäten beteiligt.