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|ak 663 | Alltag |Kolumne: Torten & Tabletten

Kriterien für (gute) Einrichtungen

Von Frédéric Valin

Hin und wieder werde ich gefragt, worauf ich achten würde, wenn ich eine Einrichtung suchen würde für eine nahestehende Person. Um ehrlich zu sein: Für absolut belastbare Kriterien fehlt mir der Überblick. Trotzdem habe ich dazu ein paar Sachen zu sagen, die vielleicht hilfreich sein können.

1. Der Schein ist allzu oft trügerisch. Schön bemalte Wände, eine große Parkanlage, eine super Webseite: All das ist sinnlos ohne das Personal. Es ist auch dazu da, Leute, die solche Einrichtungen noch nicht oft von innen gesehen haben, zu täuschen. Es hilft überhaupt sehr, hin und wieder mal eine Einrichtung von innen gesehen zu haben, um die eigene Angst vor solchen Institutionen abzubauen. (Man kann auch jemanden mitnehmen, der sich in solchen Kontexten auskennt. Das mag schambehaftet sein, aber diese Scham ist kein guter Ratgeber.)

2. Persönlicher Eindruck. Das wichtigste ist, sich die Einrichtung mal angesehen zu haben. Damit der Eindruck authentisch ist, empfiehlt sich ein unangemeldeter Besuch; an der Souveränität der Reaktion darauf lassen sich Rückschlüsse auf das Stresslevel der Betreuer*innen ziehen, und man erhält auch einen besseren Eindruck, wie die Menschen dort behandelt werden.

3. Wer sich nicht traut, wahllos Bewohner*innen zu fragen, wie es ihnen gefällt: Viele Einrichtungen haben Bewohnerbeiräte. Das ist ein gewähltes Gremium, das die Interessen der Bewohner*innen vertreten soll. Das kann eine gute Anlaufstelle sein.

4. Lebensführung ist wichtig. Sonderwünsche auch. Wie sieht es aus mit Alkohol? Rauchen? Auch wenn die unterzubringende Person weder trinkt noch raucht, ist das doch interessant: Wie geht die Einrichtung damit um? Insgesamt: Fragen stellen nach den unbequemen Dingen, also Sachen, für die man sich genieren könnte. Wann wird geweckt, wann sind Essenszeiten, wie flexibel wird das gehandhabt? Und: diese Fragen nicht der Pflegedienst- oder Heimleitung stellen, sondern einem*r der Betreuer*innen.

5. Pflegestandards abfragen. Was wird getan, um Fähigkeiten zu erhalten, zu verbessern? Keine Angst haben, da ins nervige Kleinklein zu geraten: Menschen, die den Beruf gern machen, erzählen auch gern, was sie so machen. Und: Wie sieht das Beschäftigungsangebot aus?

6. Nach den anderen Bewohner*innen fragen. Was können Pflegende von denen erzählen? Was wissen die überhaupt über die? Interessiert es sie, oder reißen sie nur ihre Zeit ab?

Nach dem Einzug:

1. Viele glauben, man müsse superdupernett sein zum Personal, sonst lassen die ihren Frust an den Bewohner*innen aus. Das ist nicht meine Erfahrung. Klar, da total despotisch und selbstherrlich aufzutreten, kann kontraproduktiv sein. Aber eine gewisse Unverblümtheit, um das Personal aus der Komfortzone zu holen, hilft. Auch mal Grenzen setzen, wenn es denn nötig ist; meiner Erfahrung nach fühlt sich das Personal eher zu sicher.

2. Externe Ärzt*innen, Physotherapeut*innen, Logopäd*innen. Solche Einrichtungen sind gut geölte Maschinen, auch wenn es ist vielen, die drin arbeiten, nur so halb bewusst ist. Es ist wichtig, diese Abläufe bisweilen zu stören, und da bieten sich Ärzt*innen an, die mal einen fachlichen Blick von außen drauf werfen, die nicht wieauchimmer verbandelt sind mit der Institution.

3. Bei stark pflegebedürftigen Bewohner*innen (Demenz zum Beispiel): Trinkprotokolle einfordern. Kaum zu glauben, aber mir persönlich sind Fälle bekannt, da wurde die tägliche Trinkmenge heruntergesetzt, weil die betreffende Person nachts zu krass einnässt. Klar gibt es keine Garantie dafür, dass die Protokolle reell geführt werden, aber die Forderung kann immerhin schon ein bisschen was bewirken, ein bisschen…

4. Präsenz zeigen. Direkt, indirekt, delegiert, irgendwie. Wenn es nicht geht regelmäßig vorbeizuschauen: hin und wieder anrufen und – auch das Personal! – fragen, was passiert ist die letzte Zeit. Zum Beispiel. Hauptsache regelmäßig. Und sich medikamentöse Umstellungen erklären lassen!

Die Einrichtungen, die ich von innen gesehen habe, sind alle speziell auf ihre Weise. Am Ende geht nichts über persönliche Empfehlungen von Leuten, die sich auskennen. Fragt die, quetscht sie aus. Irgendwann wird das jemand auch für euch tun hoffentlich.

Frédéric Valin

ist Autor. In ak schrieb er die Kolumne »Torten & Tabletten«. Zuletzt erschien sein autobiografischer Roman »Ein Haus voller Wände« (Verbrecher-Verlag 2022) über seine Arbeit als Pfleger.