Regression
Aufgeblättert: »Fortschritt und Regression« von Rahel Jaeggi
Von Jens Kastner
Regressive Haltungen, hatte Theodor W. Adorno einst geschrieben, verraten das Mögliche. Die Philosophin Rahel Jaeggi knüpft in ihrer Analyse der Regression an diesem Diktum ebenso an wie an ihrer Studie »Kritik von Lebensformen« (2014). Regression ist hier die Kehrseite des Fortschritts. Lange Zeit zentraler Bezugspunkt für linke Politiken, haben Shoah und Klimakatastrophe doch prinzipielle Zweifel an ihm genährt – an seinem selbstverständlichen Eintreten sowieso, aber auch an den Kriterien, die ihn anzeigen sollten. Jaeggi versteht Fortschritt nun nicht als objektiv Erreichtes, sondern als Prozess, der keine normative Grundlage hat. Er legitimiert sich im Vollzug. Es geht um Prozesse der Problemlösung. Fortschritt geht Probleme an, Regression als sein Widerpart blockiert sie. Mit diesem Ansatz macht Jaeggi sich dann daran, auch die gegenwärtigen Wahlerfolge der Ultrarechten zu analysieren. Regression als Erfahrungsblockade zu begreifen, als »Verfehlen eines Modus der Welt- und Selbsterfahrung«, hilft zu verstehen, warum so viele sich vernünftigen Problemlösungen versperren. Jaeggi diskutiert am Beispiel der Emanzipation der Frauen durchaus, dass Fortschritte nicht unbedingt gleichzeitig und bürgerliche Freiheiten keineswegs gemeinsam mit dem Abbau von Geschlechterhierarchien erkämpft wurden. Unterschiedliche Herrschaftsformen setzen »verschiedene Möglichkeiten der Überwindung frei (…)«. Erstaunlich wenig widmet sie sich allerdings der Tatsache, dass die Fortschritte der einen häufig die Stagnation und das Leiden der anderen verursachen.
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