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Abo| |ak 704 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Putzpimmel und Imperialismus

Von Moritz Assall

1977 erschien im Spiegel ein Lobgesang auf den Soziologen Norbert Elias, als dessen Hauptwerk das Buch »Über den Prozess der Zivilisation« von 1939 gilt. Elias hatte dargestellt, wie sich geschichtlich die Sittsamkeit entwickelte, also das »unüberbrückbare Tierische« im Menschen zurückgedrängt wurde, etwa, weil es untunlich wurde, »bei Tisch zu rülpsen, den Braten mit den Fingern anzufassen« und so weiter. In diversen Miniaturstudien über die verschiedenen Aspekte der Sittsamkeit entwickelte Elias das, was im Spiegel als »monumentales Werk« und »Pionierleistung« gefeiert wurde. Geradezu euphorisch berichtete der Spiegel über das »Elias-Kapitel über den Furz« – selten hat Sozialtheorie solche Begeisterung hervorgerufen. Dabei war dem Werk ursprünglich wenig Erfolg beschieden. Das lag wohl auch daran, wie der Spiegel bedauernd feststellte, dass die Neuauflage 1969 erschien, als »die Erneuerung der marxistischen Soziologie ihren Höhepunkt erreichte«. Elias‘ Studien über Rülpsen, Furzen und Fingerschneuzen, Anstand, Moral und Sitte »passten da nicht recht rein«.

Ebenfalls über Sitte und Anstand philosophierte Gustav Radbruch. Ihm ging es dabei allerdings speziell um das Verhältnis von Sittsamkeit und Recht. Er schrieb: »Die Sitte steht zum Rechte und zur Moral nicht in einem systematischen, sondern in einem historischen Verhältnis. Sie ist die gemeinsame Vorform, in der Recht und Moral noch unentfaltet und ungeschieden enthalten sind.« In anderen Worten: Der Charakter des Rechts änderte sich im Laufe der Zeit. Während Sitte und Recht früher noch in eins fielen, schieden sich diese Kategorien später, zumindest in vielen Gesellschaften. Und so kann man sich zum Beispiel in Deutschland grundsätzlich auch völlig sittenlos und amoralisch verhalten, ohne dass dies per se rechtliche Konsequenzen hätte.

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