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Strategien gegen einen Corona-Kapitalismus

Ulrich Brand erörtert in seinem neuen Buch Wege zum Post-Wachstum und zum Aufbau von Gegen-Hegemonie

Von Evelyn Linde

Zeichen der Klimagerechtigkeitsbewegung in San Francisco. Foto: Eelco Böhtlingk / Unsplash

Die Klima- und Klimagerechtigkeitsbewegung haben die Dringlichkeit der Klimakrise und die Notwendigkeit von Alternativen in das allgemeine politische Bewusstsein gehoben. Politische Erfolge im Sinne einer Übersetzung in ansatzweise der Krise angemessene Gesetze blieben in den letzten Monaten trotzdem aus. Um nicht resigniert in einen autoritären, auf grünes Wachstum setzenden Corona-Kapitalismus zu steuern, ist das Verständnis von Hegemonie sehr hilfreich. Ulrich Brand zeigt in seinem neuen Buch »Post-Wachstum und Gegen-Hegemonien« Strategien auf, die Hoffnung geben.

Das Buch verbindet eine Auswahl von Beiträgen zu unterschiedlichen Themen, die der Autor, der den Begriff der imperialen Lebensweise zusammen Markus Wissen geprägt hat, zwischen 2012 und 2020 geschrieben hat. Es zu lesen, lohnt sich bereits für die drei aktuell verfassten Texte. Brand analysiert die Corona-Krise und zeigt die Verbindungslinien zu den anderen akuten Krisen von Klima, Care-Arbeit, der Demokratie und der Politik durch eine stärker werdende Rechte auf. Diese seien Ausdruck des vorherrschenden Verhältnisses unserer Gesellschaften zur Natur. Brand fragt jedoch, was aus der Corona-Krise gelernt werden kann, und zeigt auf, wie linke Politik zur Bekämpfung der Krisen aussehen könnte. Hier schlägt der Autor vor, die Perspektive von Post-Wachstum einzunehmen, diese mit einem breiten politischen Projekt (Linker Green New Deal) zu kombinieren und mit »Demokratischem Öko-Sozialismus« auch ein perspektivisches politisches Projekt zu entwerfen.

Ein wichtiges Element auf diesem Weg ist das Anknüpfen an Erfahrungen, persönlich, aber auch historisch und gesellschaftlich. Ein Abschnitt des Buchs versammelt Beiträge mit Analysen zu Lateinamerika. Sie unterstreichen, wie wertvoll es ist, von den Erfahrungen sozialer Bewegungen mit den sogenannten progressiven Regierungen in Lateinamerika zu lernen. Der letzte, sehr theoretische, dennoch gut lesbare Beitrag im Buch erörtert Staatlichkeit aus einer neomarxistischen Perspektive. Mit Blick auf Erfahrungen aus Bolivien plädiert der Autor dafür, dass der Staat Teil sich verändernder Hegemonie sein muss. Was ein kritisches und differenziertes Verständnis von Staatlichkeit, Politik und Hegemonie ausmacht, erklärt Brand mit Bezug auf Nicos Poulantzas und Antonio Gramsci. Die Hegemonie haben herrschende Gruppen und Klassen inne, wenn sie ihre Interessen als Allgemeininteresse vermitteln können. Das heißt, dass die Beherrschten den kapitalistisch-imperialistischen Verhältnissen zustimmen und diese als alternativlos empfinden.

Im Sinne einer kritischen Wissensproduktion bezieht sich Brand offen auf Analysen und Ideen, die von Menschen aus unterschiedlichen Regionen und Kontexten kommen. Beim »Corona-Kapitalismus« stützt sich der Verfasser auf die kanadische Journalistin Naomi Klein, die damit eine Bearbeitung der Krise im Interesse der Wohlhabenden und naturzerstörerischen Wirtschaftsbranchen meint. Brands Analyse der aktuellen Tendenzen machen deutlich, warum es jetzt erst recht notwendig ist, alternative Entwicklungen zu erkämpfen. Dafür zeichnet er ein Projekt für Klimagerechtigkeit und Freiheit. Für ein solches müssten linke Bewegungen ihr strategisches Verhältnis zum Staat überdenken. Hierbei bezieht er sich auf die treffenden Analysen der Bewegungsakteurin Dorothee Häußermann zum Umgang der linken Klimagerechtigkeitsbewegung mit dem Systemwandel.

Die Beiträge sind eine gelungene Zusammenstellung unterschiedlicher Konzepte, Themen und Analyseebenen. Leser*innen können das Konzept der imperialen Lebens- und Produktionsweise kennenlernen oder sich mit Überlegungen zu Bildung, der Enquete-Kommission oder Gewerkschaften beschäftigen. Der Artikel »Trade Unions for Future« ist ein gutes Beispiel dafür, wie Brand in seinen Analysen historische Bezüge herstellt. Grundsätzlich positiv zu betonen ist außerdem, dass die Errungenschaften von etwa feministischen Kämpfen Anerkennung finden. Alle, die Strategien zum Erreichen einer solidarischen Lebensweise diskutieren (wollen), können in dem Buch Inspiration und zahlreiche Anknüpfungspunkte finden.

Evelyn Linde

Evelyn Linde ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und arbeitet als politische Bildnerin zur Digitalisierung.

Ulrich Brand: Post-Wachstum und Gegen-Hegemonie. Klimastreiks und Alternativen zur imperialen Lebensweise. VSA-Verlag, Hamburg 2020. 256 Seiten, 16,80 EUR.