analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 673 | Alltag |Reihe: Planwirtschaft

Demokratie und Planung

Wenig bekannt: die avancierten Theorien der Marxisten Pat Devine und David Laibman zur demokratischen Planwirtschaft

Von Jakob Heyer

Die Debatte um die möglichen Grundstrukturen einer postkapitalistischen Produktionsweise im Allgemeinen und einer demokratischen Planwirtschaft im Besonderen, wie sie u.a. in ak geführt wird, ist zu begrüßen. Die gegenwärtige Diskussion um moderne Sozialismus-Konzeptionen zerfällt im Wesentlichen in einen zeitgenössischen, utopischen Sozialismus einerseits, der sich vor allem durch Abstraktheit auszeichnet, und einen Marktsozialismus andererseits, der die substanzielle Struktur der kapitalistischen Produktionsweise als Marktwirtschaft nicht zu überwinden imstande ist. Gerade vor diesem Hintergrund stechen Argumente für eine demokratische Planwirtschaft hervor.

Das Stichwort »Planwirtschaft« ruft zu Recht negative Erinnerungen wach: Überzentralisierung, Ineffizienz, Autoritarismus, Bürokratismus. Die historischen Erfahrungen des Realsozialismus des 20. Jahrhunderts haben das unabgegoltene sozialistische Projekt bis heute in Verruf gebracht – ein Projekt, das für die globale Arbeiter*innenklasse und für das menschliche Überleben auf der Erde jedoch immer notwendiger wird. Inwiefern unterscheiden sich daher unsere heutigen Vorstellungen einer demokratischen Planwirtschaft von den historischen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts? Ich stimme mit Bernd Gehrke bezüglich seines Beitrags zur ak-Debatte darin überein, dass eine Reflexion der Geschichte von Planwirtschaften nötig ist. Jedes zeitgenössische Modell einer postkapitalistischen Produktionsweise muss sich an den grundlegenden Problemen nicht nur der kapitalistischen, sondern auch der verschiedenen Versuche des Aufbaus einer kommunistischen Produktionsweise messen lassen, insofern es deren Überwindung plausibilisiert.

In dieser Hinsicht ist das Problem der hiesigen Linken, dass ihr die im englischsprachigen Raum weit entwickelte Debatte, die sich exakt dieser Forderungen angenommen hat, kaum bekannt ist. Insbesondere seit dem Fall der Sowjetunion haben dort marxistische Ökonom*innen moderne Theorien einer kommunistischen Produktionsweise als demokratischer Planwirtschaft entwickelt und diskutiert, die auf der breiten Reflexion der historischen Erfahrungen sowie der wirtschaftswissenschaftlichen Debatten basieren.

Während hierzulande »Parecon« von Michael Albert und Robin Hahnel sowie der Computersozialismus von Paul Cockshott und Allin Cottrells wenigstens etwas Rezeption erfahren, sind die meines Erachtens avanciertesten Modelle von Pat Devine und David Laibman weitgehend unterbeleuchtet (1). In Reflexion auf die substanziellen Probleme des historischen Kommunismus, d.h. in Abgrenzung zum Staats- und Marktsozialismus, operationalisieren diese Theorien eine demokratische Planwirtschaft, die die Herrschaft von Marktkräften durch Planung überwinden, dabei jedoch lokales, implizites Wissen inkorporieren soll. Ihre Modelle sind dadurch charakterisiert, dass sie weder dezentrale oder zentrale Ebenen noch politische oder technische Prozesse verabsolutieren, sondern vermitteln sollen.

Subjektive Unsicherheit

Ein grundlegender Gedanke der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ist nicht nur, dass die kapitalistische Produktion Selbstzweck, die Kapitalakkumulation ihre alles bestimmende Triebfeder ist, sondern auch, dass sie Privatproduktion ist: Die allseitig voneinander abhängige gesellschaftliche Arbeit findet in der Form unabhängiger Privatarbeiten statt, deren Zusammenhang ex post über den Wert vermittelt wird. In Reflexion auf die neuen marktsozialistischen Ideen und Praxen seiner Zeit hat der marxistische Ökonom Maurice Dobb (1900-1976), auf den sich Devine und Laibman beziehen, diesen grundlegenden Gedanken noch einmal stark gemacht: Neben einer notwendigen, objektiven Unsicherheit, die sich aus der dem Menschen wesentlichen Spontaneität oder natürlichen Gegebenheiten ergibt, existiert im Kapitalismus eine nicht notwendige, subjektive Unsicherheit, die sich aus dessen ökonomischer Struktur ergibt, in der bei allseitiger Abhängigkeit unabhängig voneinander agiert wird.

Devine nennt dies die Herrschaft von Marktkräften. Marktwirtschaften – das schließt Kapitalismus und Marktsozialismus ein – beinhalten daher (zyklische) Instabilität, Polarisierung, Entfremdung, kurz: die Unmöglichkeit einer bewussten, demokratischen Kontrolle des wirtschaftlichen Gesamtzusammenhanges. Da die subjektive Unsicherheit, diese vorsätzliche Ignoranz auf der Ebene der Gesamtgesellschaft nicht notwendig ist, kann sie überwunden werden. Durch Planung, d.h. die bewusste Ex-Ante-Koordination interdependenter wirtschaftlicher Aktivitäten in Übereinstimmung mit demokratisch bestimmten Bedürfnissen.

Jedes Modell bloß zentraler Planung missachtet die notwendige Unvollkommenheit des Wissens auf zentraler Ebene.

Lokales Wissen

Ein System zentraler Planung, das auf der zentralen Ebene Produktionsanweisungen top-down nach unten gibt – wie im historischen Staatssozialismus oder in neuerer Zeit mit den Mitteln moderner Informationstechnologie von Cockshott/Cottrell propagiert –, kann die Probleme von Marktwirtschaften jedoch nicht sinnvoll beheben. Denn ökonomische Akteur*innen verfügen über lokales, impliziten Wissens, das zeit- und ortsspezifisch und in der Praxis verkörpert ist und insofern der Aggregation und Übertragung in aussagenlogischer Form widersteht. Kurz: Keine Planzentrale kann von den gesamten, detaillierten Vorgängen auf dezentraler Ebene wissen und sie insofern auch nicht adäquat (geschweige denn demokratisch) steuern. Jedes Modell bloß zentraler Planung missachtet diese notwendige Unvollkommenheit des Wissens auf zentraler Ebene. Der einzig adäquate Umgang eines Plansystems mit der Existenz lokalen, impliziten Wissens ist seine Inkorporation. Ökonomische Akteur*innen müssen innerhalb eines Plansystems dezentral agieren können, was auch horizontale Verbindungen zwischen ihnen einschließt.

Die Existenz und Notwendigkeit der Inkorporation lokalen, impliziten Wissens bedeutet jedoch nicht, dass sich dem Atomismus, der Irrationalität und der Ignoranz gegenüber dem wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang einer auf dem blinden Wirken von Marktkräften basierenden Wirtschaft hingegeben werden muss, in der bei allseitiger Abhängigkeit unabhängig voneinander agiert wird. Aus der Existenz lokalen Wissens ergibt sich nicht die Notwendigkeit der Anarchie der Produktion. Der dem berühmten Marktsozialismus-Entwurf von Alexander Nove zugrunde liegende Gegensatz zwischen vertikaler, zentraler Planung einerseits und dem horizontalem, dezentralem Markt andererseits ist abstrakt und falsch.

Insbesondere Devine argumentiert: Es muss zwischen Marktkräften und Marktbeziehungen unterschieden werden. Die zentrale Idee ist: Die Marktbeziehungen können und müssen in eine postkapitalistische Produktionsweise integriert werden, damit ökonomische Akteur*innen dezentral und insofern auf Basis ihres lokalen Wissens agieren können. Marktkräfte indes können und müssen gleichzeitig durch ein System umfassender, dezentral-zentraler Planung überwunden werden. Sowohl die – demokratisch kontrollierte – zentrale, gesamtgesellschaftliche Ebene als auch die dezentrale, betrieblichen Ebene sind notwendig und müssen ihren jeweils adäquaten Platz und ihre adäquate Funktion erhalten. (2)

Die hiesige Linke sollte sich diese modernen Modelle einer demokratischen Planwirtschaft aneignen.

Letzteres ist insbesondere in Laibmans Modell gut ausformuliert: Auf Grundlage der umfassenden Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie sollen mit Bezug auf demokratisch bestimmte Makroziele (d.h. Pläne) auf zentraler Ebene die lokalen Einheiten ihre eigenen detaillierten Pläne formulieren und eigene horizontale Verbindungen mit anderen lokalen Einheiten eingehen können. Der kontinuierliche Informationsfluss und die Verbindungen zwischen den Ebenen, die vollständige Transparenz und auch die Möglichkeit der Intervention des demokratisch kontrollierten Zentrums sollen dann Konsistenz zwischen zentraler und dezentraler Ebene, zwischen gesamtgesellschaftlicher Planung und lokaler Autonomie und Spontaneität ermöglichen.

Hierfür ist außerdem eine rationale, d.h. geplante Preis- und Anreizstruktur nötig, die die vollen sozialen und ökologischen Kosten widerspiegelt (d.h. die Externalitäten und bspw. Erschöpfungsraten natürlicher Ressourcen inkorporiert) und soziale und ökologische Ziele von vornherein in die Anreizstruktur von Unternehmen implementiert. Diese planwirtschaftlichen Möglichkeiten sind in keinem spontanen Marktsystem verfügbar und werden insbesondere vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden ökologischen Krise immer relevanter.

Kapitalistischer Markt durch die Hintertür?

»Obacht!«, werden sich einige schon gedacht haben. Holen wir uns mit den Marktbeziehungen nicht wieder den kapitalistischen Markt in unser Modell hinein? Ich denke nein. Denn bei einem umfassenden, dezentral-zentralen Plansystem handelt es sich um einen grundsätzlich verschiedenen ökonomischen Kontext. Es findet kontinuierliche Ex-Ante-Koordination, d.h. Planung auf dezentraler und zentraler Ebene statt – und nicht die nachträgliche Vergesellschaftung privater Produktion ex post auf dem Markt. Die Inkorporation lokalen Wissens in das Plansystem erheischt horizontale Verbindungen zwischen Unternehmen. Diese Marktbeziehungen haben jedoch wenig mit der Funktion des Marktes im Kapitalismus oder Marktsozialismus gemein. Wir haben es dabei mit einer kommunistischen Gesellschaft zu tun, »nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt«, wie Karl Marx formulierte.

Devines und Laibmans Modelle streben im Gegensatz auch zu Planungs-Modellen von Albert/Hahnel und Cockshott/Cottrell nicht nur ein adäquates Verhältnis zwischen zentraler und dezentraler Ebene, sondern auch zwischen technischem und politischem Prozess an. Hierbei gibt es jedoch auch wesentliche Unterschiede zwischen ihnen: Devine setzt in seiner »negotiated coordination« in viel größerem Maße auf einen rein politischen Prozess als Laibman, der in seiner »Multilevel Democratic Iterative Coordination« außerdem »parametrische Formen« implementiert, die den ökonomischen Prozess optimieren und hierdurch praktikabel gestalten sollen.

Sicher ist mit Devine und Laibman nicht das letzte Wort über eine postkapitalistische Produktionsweise gesprochen. Es gibt viele Leerstellen, zutreffende Kritik und bedenkenswerte Argumente, u.a. von Verfechter*innen anderer Vorstellungen einer postkapitalistischen Produktionsweise. Diese sind zu reflektieren. Keines der anderen Modelle scheint mir jedoch in gleichem Maße wie die von Devine und Laibman auf einer substanziellen Durcharbeitung der historischen Erfahrungen und der ökonomischen Debatten zu basieren. Die hiesige Linke sollte sich diese modernen Modelle einer demokratischen Planwirtschaft aneignen, nicht nur, um dem heute desavouierten sozialistischen Projekt wieder zu Kraft verhelfen, sondern auch, um diese Vorstellungen durch ihre Kritik weiterzuentwickeln.

Jakob Heyer

bereitet gerade seine Promotion zu den »Grundproblemen einer postkapitalistischen Produktionsweise« vor.

Anmerkungen:

1) Vgl. bspw. Pat Devine (1988): Democracy and Economic Planning, David Laibman (2001): Contours of the Maturing Socialist Economy, vgl. auch Science & Society, Vol. 66, No. 1 (2002).

2) Devine und Laibman stehen mit dieser Bestimmung in der Tradition des linken Kommunismus eines Richard Müller und Karl Korsch, die auf die Vermittlung von zentraler und dezentraler Ebene, von Planwirtschaft und Arbeiter*innenselbstverwaltung gepocht haben. Insbesondere bei Korsch ist gut dargelegt, dass eine demokratische Kontrolle über Produktionsertrag und Produktionsprozess auf beiden Ebenen, d.h. der Ebene der Gesamtgesellschaft und der Ebene des Betriebs, stattfinden muss.