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Neonazis trainieren auf der Matte für den Umsturz

Das Buch »Ihr Kampf« beleuchtet das internationale Netzwerk extrem rechter Kampfsportler*innen

Von Maike Zimmermann

Nazis trainieren Kampfsport. Trotzdem sind nicht alle Kampfmaschinen. Foto: Lubomír Kasl / Pixabay

Wrestling ist bloße Inszenierung, Boxen irgendwie ein bisschen Rotlicht, Karate Selbstbeherrschung und ohne Kung Fu hätten es viele Top-Streifen niemals ins Kino geschafft. Kampfsport löst in den meisten Köpfen ein buntes Potpourri an Klischees aus. Und: Wenn Frauen dabei sind, ist das etwas ganz doll Außergewöhnliches und verdient doppelten Respekt. »Oh, dann muss ich mich ja vor dir in Acht nehmen«, ist eine männliche Standardreaktion, wenn meine sportlichen Aktivitäten zur Sprache kommen. Meist gepaart mit einem süffisanten Augenzwinkern. Mag nett gemeint sein, nervt aber trotzdem.

Ich interessiere mich also für Kampfsport. Und ich interessiere mich für Neonazis – klar, weil ich sie ablehne. Für diese Kombination gibt es nun ein Buch: »Ihr Kampf« von Robert Claus, das »erste Buch zu Neonazis im Kampfsport«, wie uns der Klappentext verrät. Claus möchte darin aufzeigen, »wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert«. Er wirft dabei sowohl einen Blick auf internationale Verflechtungen als auch auf das Zusammenspiel unterschiedlicher Szenen. Die extreme Rechte verfolgt eine Ideologie der Ungleichheit, Neonazis begreifen das Leben als Kampf. Gewalt spielt auf verschiedenen Ebenen eine zentrale Rolle und wird in diesem Spektrum nirgends in toto abgelehnt. Gleichwohl bedeutet das nicht, dass sie wahllos eingesetzt würde. Ganz im Gegenteil: Umso ideologisch gefestigter, desto zielgerichteter auch die ausgeübte Gewalt.

Neonazis, so Claus, professionalisieren Gewalt, er macht einen »Kampfsportboom« in der extremen Rechten aus, für den drei Entwicklungen maßgeblich verantwortlich seien: erstens eine historische Verortung im rechten Terrorismus maßgeblich im Umfeld der Strukturen von Blood and Honour und den Hammerskins, zweitens eine wachsende Ausdifferenzierung der internationalen Kampfsport-Landschaft inklusive deren wachsender Popularität und drittens eine zunehmend neoliberale Gesundheitspolitik und ein in den letzten Jahren anhaltender Fitnessboom. Interessant ist vor allem der erste Aspekt. Denn die Bedeutung dieser Strukturen, so zeigt Claus, ist für das Eventmanagement von Kampfsportveranstaltungen nicht zu unterschätzen. Es ist kein Zufall, dass Veranstaltungen wie der »Kampf der Nibelungen« immer wieder mit Rechtsrock-Festivals gekoppelt werden. Die gesamte Logistik mit Merchandise und Vermarktung läuft ähnlich, es sind zum Teil dieselben Akteure. Rechter Kampfsport ist ein bisschen wie Rechtsrock – nur ohne Gitarren. Und so ähnelt sich eben auch die Milieubeschreibung.

Über die Verbindung von Kampfsport und rechter Musik schreiben Tobias Hoff und Jan Raabe in »Ihr Kampf«. Sie unterstreichen, welchen Einfluss vor allem der Hardcore auf dieses Milieu hatte und hat. Es ist sicherlich richtig, dass Teile dieser Musikszene großen Wert auf Muskeln und Männlichkeit legen und dies attraktiv auf die extreme Rechte wirkt. Ob die Idee des Straight Edge – also der programmatische Verzicht auf Drogen und Alkohol – für die extreme Rechte in der Breite einen so hohen Stellenwert hat, ließe sich diskutieren.

Etwas unscharf bleibt bei Claus der Gewaltbegriff. Kampfsport sei nicht nur ein »Einfallstor« für Neonazis, er erhöhe auch die Gewaltkompetenz. Aber macht das den Kampfsport an sich zum Problem? Claus schreibt: »Wie passt Vollkontaktsport mit einer Idee von linker Macht- und Herrschaftskritik zusammen? Immerhin geht es in vielen Kampfsportdisziplinen darum, den Gegner physisch zu dominieren.« Damit ist Kampfsport allerdings nicht allein, das trifft zum Beispiel auch für Rugby zu. Und um physisches Dominieren geht es in vielen Sportarten, das geht auch ohne Schlagen und Treten.

Keine Kampfkunst auf der Straße

Ohne die Gefahr, die von trainierten Neonazis definitiv ausgeht, herunterspielen zu wollen, ist der Anteil derer, die Kampfsporttechniken »auf der Straße« einsetzen vermutlich eher gering. Rechter Hooliganismus dürfte in diesem Zusammenhang weitaus gefährlicher sein. Schließlich wird hier ohne Regeln quasi die »Alltagsschlägerei« auf der Straße geübt. Viele brutale Schläger*innen brauchen dafür kein Gym.

Ein Double Leg Takedown, also das Zu-Boden-Bringen des Gegners indem mit beiden Armen die Beine des Gegners ergriffen werden, war eines der Argumente dafür, das extrem rechte Kampfsportevent »Kampf der Nibelungen« 2019 zu verbieten. Um einen Double Leg Takedown erfolgreich auf der Straße anzuwenden, muss man ihn entweder sehr oft geübt oder viel Glück haben. Das sich irgendwer beim »Kampf der Nibelungen« eine solche Technik »abgucken« kann, scheint mehr als unwahrscheinlich. Liegt die Gefahr also im Kampfsport oder in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Rassismus und Gewalt? Und wird mit Kampfsport wirklich, wie Claus schreibt, für den Tag X geübt? Gibt es einen Unterschied zwischen Kampfsport und Wehrsportübungen? Müssen rechte Prepper, die Waffen horten, boxen können?

Wir erfahren viel über Netzwerke und Zusammenhänge in »Ihr Kampf«. Das ist wichtig und war längst überfällig. Gleichzeitig entsteht beim Lesen zuweilen der Eindruck, wir hätten es mit einer hochprofessionalierten Szene zu tun, in der jeder Neonazi ein ausgebildeter Kämpfer ist. Das ist zum Glück nicht so. Wir müssen achtsam sein. Aber wir sollten uns auch nicht selbst einschüchtern. Nicht alle sind Kampfmaschinen.

Es ist sicherlich richtig, dass »die entscheidenden Impulse der jüngeren Entwicklung um den Kampfsport in der extremen Rechten allesamt aus dem Hooliganismus« stammen, neben dem Rechtsrock sozusagen die zweite Säule. Allerdings sind absolute Formulierungen bei einem dermaßen komplexen Thema immer so eine Sache. Irgendwie gewinnt man an vielen Stellen in »Ihr Kampf« den Eindruck, jetzt aber wirklich den »entscheidenden Impuls« am Wickel zu haben. Sei es der Rechtsrock, sei es der Hooliganismus, oder seien es – wie in dem Beitrag von Olia Coskun sehr schön aufgezeigt – die Verbindungen zur Türsteher- und Rockerszene.

Warum ich mir am Ende dieses spannenden Buches eine Reportage über Claus‘ letzten Thailand-Urlaub durchlesen muss, erschließt sich mir allerdings nicht. Als einzige Erkenntnis im Sinne des Buchthemas erfahre ich hier, dass die rechte Knalltüte Thorsten de Vries letztes Jahr in Phuket trainiert hat. Vielleicht soll der Beitrag zeigen, dass sich Claus mit Thaiboxen bzw. der Thematik Kampfsport auskennt. Ein verzichtbarer Beweis. Interessanter ist neben den Verflechtungen die Diskussion bezüglich des Umgangs mit Neonazis im Kampfsport. Hier bleiben viele Fragen offen.

Sowohl »Ihr Kampf«, als auch Initiativen wie »Runter von der Matte« klären über Neonazis im Kampfsport auf. Diese wichtige antifaschistische Arbeit ist nicht nur Voraussetzung dafür, dass sich Akteure im Kampfsport klar und deutlich gegen extrem rechte Kampfsportler*innen positionieren können. Sie ist auch unerlässlich dafür, Druck auf Organisator*innen von Turnieren und Fight Nights auszuüben. Die Schwierigkeiten für aktive Kampfsportler*innen kann das allerdings nicht vollends beheben. Welche Möglichkeiten habe ich, wenn mir als Kämpferin während eines Turniers eindeutige Tattoos auffallen? Würde es überhaupt irgendwer bemerken, wenn ich deswegen nicht antrete?

Wenn ich nachweisen kann, dass es sich um Neonazis handelt, ist die Frage des Umgangs noch vergleichsweise einfach. Ähnlich wie bei der sogenannten Grauzonendebatte in der Subkultur sind die Grenzen aber auch in der Kampfsportszene oft nicht eindeutig. Die Szene ist heterogen, und nicht immer weiß man, mit wem die Person sonst noch so trainiert, die gerade vor einem steht. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen, nicht zu pauschalisieren und gleichzeitig klare Kante zu zeigen. Das Buch »Ihr Kampf« wirft interessante Aspekte auf, über die es sich lohnt zu diskutieren.

Maike Zimmermann

ist Redakteurin bei ak.


Robert Claus: Ihr Kampf. Wie Europas extreme Rechte für den Umsturz trainiert. Werkstatt Verlag, Bielefeld 2020. 224 Seiten, 19,90 EUR.