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Kommunismus im Kleinen

Bei Geld hört die Freundschaft auf, heißt es – aber die Genossenschaft auch? Ein Gespräch mit Mitgliedern eines Finanzkollektivs über gemeinsame Geldbörsen und das gute Leben

Interview: Carina Book

So gibt der Geldautomat immer was her: Das Finanzkollektiv war noch nie blank. Foto: Tim Reckmann/Flickr , CC BY 2.0 DEED

Ein Finanzkollektiv aus sechs Personen bestreitet seit 2019 deren finanziellen Alltag gemeinsam, auch wenn die Mitglieder in verschiedenen Städten leben und in verschiedenen Lebens- und Arbeitssituationen stecken. Einfach ein Topf, alles Geld rein, fertig? Wie geht kollektives Haushalten? Und ist das eigentlich die größtmögliche Freiheit oder ein kollektives Korsett?

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Finanzkollektiv zu gründen?

Sascha: Offen gesagt war uns das Ende dieser Lebensphase als Studis nicht ganz geheuer: Einige unserer Freund*innen haben Kinder bekommen, andere haben Jobs angefangen, und dieses politische Leben, was wir alle miteinander bis dahin geteilt hatten, hat sich auseinanderentwickelt. Wir waren einfach nicht bereit, diese gemeinschaftliche Lebenswelt, die wir hatten, loszulassen und individuell in Familie und Karriere aufzugehen. Dann haben wir uns gefragt, wie wir uns am effektivsten strukturell so voneinander abhängig machen können, dass sich unsere Wege nicht einfach so trennen. Und so sind wir darauf gekommen: Wir teilen uns einfach ein Konto, denn wenn wir wirtschaftlich voneinander abhängig sind, sind wir gewissermaßen gezwungen, kollektiv weiter zu handeln und zu entscheiden. Und das Witzige ist, dass das gar nicht eingetreten ist.

Wenn das nicht funktioniert hat, was ist dann daraus geworden?

Sascha: Letztlich haben wir alle sehr individuelle Entscheidungen getroffen: Wir haben uns für andere Jobs oder für andere politische Aktivitäten entschieden, sind in unterschiedliche Städte gezogen. Passiert ist also all das, was wir dachten, mit dem Finanzkollektiv verhindern zu können – und glaubten verhindern zu müssen, weil wir dachten, dass diese Entscheidungen der Feind des kollektiven Lebens wären. Aber surprise: Das Finanzkollektiv gibt es immer noch.

Warum hat das Finanzkollektiv überlebt? Was ist der Vorteil daran?

Leon: Ich bin erst letztes Jahr eingestiegen und kenne die Vorgeschichte über den ursprünglichen Zweck nur als Erzählung. Ich habe mich dem Finanzkollektiv angeschlossen, weil es grundsätzlich im Kapitalismus schwierig ist, seine finanzielle Existenz zu sichern, wenn man das alleine machen muss. Ich fand es einen sehr guten und spannenden Gedanken, Existenzsicherung kollektiv zu organisieren und sich auch die Frage nach der Altersvorsorge gemeinsam vorzuknöpfen. Und ich wollte verbindliche Beziehungen mit Menschen eingehen, auch jenseits von Kleinfamilienkonzepten. Anfangs habe ich Arbeitslosengeld I bekommen und bin dann ins Bürgergeld gerutscht. In dieser Zeit habe ich als Individuum sicherlich mehr Geld aus dem Kollektivtopf in Anspruch genommen, als ich hineingegeben habe. Das Kollektiv hat mir die Sicherheit gegeben, dass ich trotz des Bürgergelds mein Leben nicht krass umstellen muss, und ich hatte das Gefühl, dass es keine Katastrophe ist, wenn es nicht mit dem erstbesten Job klappt. Gleichzeitig kickte dann auch die Sozialisation und ich dachte: Ok, ich bin jetzt komplett neu im Kollektiv, und die tragen mich gerade mit. Also versuche ich, schnellstmöglich einen Job zu bekommen. Dieses Leistungsding im eigenen Kopf ist schwer kleinzubekommen.

Sina: Für mich ist das Kommunismus im Kleinen. Ich finde es einfach richtig, so zu leben. Und tatsächlich fühlt sich das, was wir beim Finanzkollektiv machen, viel krasser und einschneidender an, als alles, was ich bisher in verschiedensten Politgruppen und Projekten gemacht habe. Man merkt es auch an den Reaktionen anderer Leute: Es kommt oft vor, dass Leute die Idee super geil finden, es sich aber so gar nicht vorstellen können, selbst so zu leben. Da wundere ich mich dann manchmal schon, wenn das die gleichen Leute sind, die sonst große Reden auf den Kommunismus schwingen.

Unsere Regelungen entwickeln wir anhand unserer gemeinsamen, konkreten Erfahrungen. Als lernendes Kollektiv, könnte man sagen.

Leon

Sascha: Ich glaube, dass es auch ein großes Lernexperiment ist, diese Logiken von »deins und meins« zu überwinden und sich abzutrainieren zu glauben, weil ich soundsoviel hineingegeben habe, habe ich auch das Recht, dieses und jenes zu nehmen. Dieser Verlernprozess ist eine kontinuierliche Aufgabe.

Was und wie teilt ihr konkret?

Sina: Wir teilen unsere Einkommen, Geldgeschenke, Steuerrückzahlungen, einfach alles, was hereinkommt. Wer vor der Mitgliedschaft im Finanzkollektiv ein individuelles Vermögen hatte, sei es eine Kaution oder Gespartes, hat die Hälfte dessen kollektiviert. Eigentlich war es so, dass dieses individuelle Vermögen bei Austritt aus dem Kollektiv wieder mitgenommen werden kann. Allerdings ist uns dann klar geworden, dass dies das Grundproblem der Ungleichheit nicht auflöst. Das heißt, dass Leute, die mit viel Geld kommen, auch mit viel Geld wieder gehen. Wir führen deshalb gerade die Diskussion darüber, ob nicht alle ihr gesamtes Vermögen einbringen statt nur der Hälfte und dann bei Austritt nur einen Anteil des Kollektivvermögens ausgezahlt bekommen.

Und wie wird das Geld dann verteilt?

Leon: Wir treffen uns einmal im Monat, und Ausgaben über 200 Euro müssen beim Kollektiv beantragt werden. Bei der Entscheidung bewerten wir nicht, ob wir die Ausgabe jetzt alle sinnvoll finden oder nicht, sondern wir bewerten, ob wir uns das gerade leisten können.

Angenommen, ich hätte das Bedürfnis, einhundert Lippenstifte zu besitzen und beantrage das, dann stellt das niemand infrage?

Sina: Es gibt manchmal schon Momente des Unwohlseins – das bezieht sich nicht nur auf die Ausgaben der anderen, sondern auch auf eigene. Manchmal denke ich: Wenn ich alleine wirtschaften würde, würde ich mir das einfach kaufen. Ich denke, da wiegen sowohl der Klassenhintergrund als auch die Geschlechterfrage schwer. Wer traut sich eigentlich, wie viel aus dem gemeinsamen Topf zu nehmen und warum? Wir reflektieren das in unseren monatlichen Runden immer wieder – und auch woher unsere Bedürfnisse kommen. Aber grundsätzlich gilt, wir bewerten keine Bedürfnisse.

Sascha: Manchmal geht es auch darum zu bestärken und zu sagen: Wir können uns das leisten, kauf dir, was du willst. Aber, wenn du hundert Lippenstifte willst und Leon hat fünfzig, die er gar nicht benutzt, dann frage ich dich wahrscheinlich schon, ob du nicht erst einmal seine benutzen willst …

Leon: Und um ehrlich zu sein, haben wir auch alle einen ähnlichen Lifestyle. Wenn jetzt jemand einen Porsche kaufen wollen würde, würden wir das wahrscheinlich doch infrage stellen.

Sina: Aber klar ist auch, wir sind kein Sparkollektiv. Wir lieben schon das gute Leben, und das gönnen wir uns auch. Unterm Strich haben wir immer mehr Geld gehabt, als wir ausgegeben haben. Unser großer Luxus ist, dass wir nie gemeinsam den Mangel verwalten mussten. Wir reden aber auch viel über Geld.

Wir lieben schon das gute Leben, und das gönnen wir uns auch. Unterm Strich haben wir immer mehr Geld gehabt, als wir ausgegeben haben. Unser großer Luxus ist, dass wir nie gemeinsam den Mangel verwalten mussten.

Die wenigsten reden gerne über Geld …

Sascha: Ich würde sagen, genau das ist ein Problem innerhalb der Linken. Vielleicht wäre es ein spannender Versuch, vor dem Plenum statt einer Emo-Runde mal darüber zu sprechen, wer wie viel erbt. Ich habe noch nie so viel über Geld geredet wie seit meiner Kollektivmitgliedschaft, und das ist eigentlich krass. In vielen WGs beispielsweise werden Miete und Essen einfach durch alle geteilt, aber die wenigsten stellen dabei die Frage, welchen finanziellen Hintergrund man hat. Auch mit Blick auf linken Aktivismus wäre das eigentlich eine wichtige Diskussion, denn diesen Aktivismus-Lifestyle muss man sich auch leisten können. Das geht nämlich dann am besten, wenn man auf Lohnarbeit, Studium oder Ausbildung ein bisschen, ich sage mal, scheißen kann.

Apropos Background: Werdet ihr erben? Und wenn ja, wie geht ihr damit um?

Leon: Erben ja, allerdings sehr unterschiedlich, von Schulden bis hin zu größeren Vermögen. Nach bisheriger Regelung würde ein Erbe bedeuten, dass es sich um ein Vermögen handelt, das während der Kollektivmitgliedschaft erworben wurde und deshalb kollektiviert wird. Wir beschäftigen uns gerade intensiv mit diesen Fragen. Unsere Regelungen entwickeln wir anhand unserer gemeinsamen, konkreten Erfahrungen. Als lernendes Kollektiv, könnte man sagen.

Ich vermute mal, es wäre auch ein Unterschied, ob ich Bargeld erbe oder ein Haus, denn dann würde das Kollektiv vor der Frage stehen: Werden wir jetzt ein Vermieter oder nicht?

Leon: Ja, voll. Einkommensmäßig liegen wir alle auch nicht weit auseinander. Da ist das mit dem Umverteilen einfach. Beim Erben ist es anders. Da geht die Spanne von 5.000 Euro bis zu einem Haus mit Millionenwert und irgendwas dazwischen. Die Erbschaftsfrage ist deshalb aus dem Umverteilungsblickwinkel eigentlich die viel spannendere Frage.

Ihr habt vorhin schon mal das Thema Altersvorsorge angesprochen. Wie haltet ihr es damit?

Sina: Manche von uns denken dystopisch darüber nach und meinen, dass Altersvorsorge für uns ohnehin keine Relevanz haben wird. Andere fühlen schon eine Unsicherheit, wenn das Thema Alter angesprochen wird. Ältere Linke haben uns schon häufiger erzählt, dass sie ganz lange dieses No-Future-Gefühl hatten und jetzt leider ein Problem mit Altersarmut haben. Wir legen aktuell 200 Euro pro Person im Monat beiseite. Das Ziel ist unter anderem, nach der Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts dieses Geld anzulegen.

Rheinmetall soll sich grade ja lohnen…

Sina: Das würden wir natürlich nicht machen. Aber es ist eine schwierige Frage, ob es überhaupt Anlagemöglichkeiten gibt, die politisch in Ordnung sind. Das richtige Leben am falschen Finanzmarkt führen – es ist kompliziert. Wir haben bisher unser Geld zum Beispiel in Mikrokredite für Hausprojekte des Mietshäusersyndikats investiert, zinsfrei. Und wir haben durch die Inflation ganz schön viel Miese gemacht. Wir wissen aber, dass Geld nicht einfach durch Zauberhand mehr wird, nur weil wir es irgendwo anlegen.

Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zu gründen, klingt auch nicht unkompliziert. Warum habt ihr euch dazu entschieden?

Sascha: Bisher haben wir einen Binnenvertrag. Der ist im Prinzip vergleichbar mit einem Ehevertrag und ist unser eigenes Regelwerk. Darin ist zum Beispiel festgelegt, wie wir teilen und was im Falle eines Austritts passiert. Jetzt gründen wir eine GbR, weil wir bisher das Privatkonto von einem von uns als Kollektivkonto benutzen. Ein Gruppenkonto zu eröffnen, ist in diesem Staat erst mal nicht vorgesehen. Die Bank war auch immer völlig überfordert mit uns: Wir sind alle bevollmächtigt und mussten dauernd erklären, warum wir ein Konto haben, auf das aber sechs Leute zugreifen können – und sich die Konstellation auch manchmal verändert. Kurz hatte die Bank Angst, dass wir uns doch irgendwie der Geldwäsche verdächtig machen, aber inzwischen haben sie es gecheckt. Als GbR können wir ein Firmenkonto eröffnen, auf das wir alle gleichberechtigt Zugriff haben. Damit ist dann auch die Verantwortung der Person, auf deren Namen das Konto bisher läuft, kollektiviert.

Hand aufs Herz, für Leute, die sauviel Geld haben, macht euer Kollektiv nicht so richtig Bock. Was machen wir mit denen?

Sina: Wer besonders viel Geld und ein besonders schlechtes Gewissen hat, kann sich direkt bei uns melden. Scherz beiseite: Wir wissen schon, dass wir den Kapitalismus mit unserem Kollektiv nicht direkt abschaffen.

Sascha: Aber letztlich kann ich nur jeder Person empfehlen, es einfach mal auszuprobieren. In meinen Augen haben wir da auch eine neue Beziehungsform geschaffen: Wir verwalten ja nicht nur unsere Finanzen zusammen, sondern wenn es irgendwie scheiße läuft, dann trocknen wir uns auch die Tränen. Wir verlernen alle total viel von dem, was wir mitgebracht haben. Wir planen zusammen schon ziemlich lange unser Leben zusammen und tun das auch weiterhin – in dem Vertrauen auf die anderen. Und das macht diese Gemeinschaft auch aus. Eine Beziehungsform, die ich so vorher nicht kannte.

Das Finanzkollektiv

Sina, Leon und Sascha haben sich mit mehreren Freund*innen und Genoss*innen als Finanzkollektiv zusammengeschlossen. Sie teilen ihr Geld kollektiv, um der Schwere der kapitalistischen Verhältnisse ein Schnippchen zu schlagen und sich gegenseitig ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Dabei diskutieren sie größere und kleinere Fragen, wie zum Beispiel das Transformationspotenzial eines solchen Kollektivs, die angestrebte Anzahl der Beteiligten, umfangreiche Lippenstiftsammlungen oder den Ort für das nächste Kollektivwochenende. Die Namen sind von der Redaktion geändert.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.