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|ak 689 | Alltag |Reihe: Komm bitte!

Kommt bitte, Diven!

Von Kuku Schrapnell

Macht es vor: Unsere Kolumnistin Kuku Schrapnell. Foto: privat

Ein neues Jahr beginnt, und passend dazu gibt es natürlich neue Hoffnungen. Jetzt mögen vielleicht manche einwenden, dass es dem Kapital, dem Patriarchat und dem ganzen anderen Unfug herzlich egal ist, ob jetzt gerade 2022 oder 2023 auf dem Kalender steht und der ganze Jahreswechsel ja ansonsten nicht wirklich was wechselt.

Vermutlich wäre das sogar wahr, aber ich bin zum Glück weder das Kapital noch das Patriarchat oder so ein anderer Unfug. Klar vergeht Zeit auch ganz unabhängig davon, wie wir sie einteilen – glaube ich zumindest, wer es genauer wissen will, kann bestimmt eine Mail an Dietmar Dath schreiben – aber ich liebe es, dass ich für eine Woche »zwischen den Jahren« sein kann. Das klingt so ganz wundervoll exklusiv und ein bisschen mysteriös, und weil dann bald Silvester ist, gibt es dann auch überall Sekt im Angebot. Es ist die Zeit für mich, den prächtigsten Fummel und meinen ganzen Schmuck aufzutragen, um dann bei einem Gläschen über das letzte Jahr nachzudenken.

Und wie ich da in meinem ganzen Prunk (Kleid aus dem Sale und Schmuck von Bijou Brigitte) sitze und 2022 Revue passieren lassen und an das Kommende denke, wünsch ich mir für 2023 mehr Diven für die Linke. Dabei ist es ja gar nicht so, als gäbe es sie nicht, nur leider haben sie einen schweren Stand unter ihren Genoss*innen.

Der Duden definiert die Diva als »jemand, der durch besondere Empfindlichkeit, durch exzentrische Allüren o. Ä. auffällt«. Wenn das nicht eins zu eins die meisten Linken beschreibt, die ich so kenne, weiß ich auch nicht. Nicht umsonst gibt der Duden auch gleich das passende Beispiel: »Der Parteivorsitzende hat sich zu einer richtigen Diva entwickelt.« Und schon schwebt Lenin mit rotem Lippenstift vor mein inneres Auge, Mao in Paillette und Rosa Luxemburg in einem Traum von Tüll. Danke Duden.

Für 2023 wünsch ich mir mehr Diven für die Linke.

Aber weg von fragwürdigen Figuren der Vergangenheit und wieder zurück zu Zeitgenössischerem. Das Divenhafte bleibt den meisten Linken auch heute noch. Anders als mit Empfindlichkeit lässt sich der große Hang zu Spaltungen und die Unfähigkeit zum Streit kaum beschreiben, und wer jemals versucht hat, hier und da mit den jeweiligen Szenecodes und Sprachgewohnheiten zu brechen, weiß auch, wie sehr wir unsere exzentrischen Allüren lieben.

Warum aber gibt es trotzdem diese breite Ablehnung von Diven? Ist es, weil sich die meisten nicht eingestehen können, dass sie exzentrisch und empfindlich sind? Ist es zu viel Weiblichkeit in einem Kontext, der nach all den Jahrzehnten feministischer Kämpfe noch immer an das männliche Ideal glaubt? Oder wäre es einfach nur zu kitschig, zu lustig und zu schön?

Häufig wird die Ablehnung von Diven politisch aufgeladen, wenn sie denn mal so offen ausgesprochen wird. Da werden Sorgen geäußert, das Extravagante bedrohe die Idee von Gleichheit – deswegen auch die Szenecodes – und ist deswegen konterrevolutionär. Da gibt es auch eine ganze Geschichte von linker wie rechter Queerfeindlichkeit, die sich als Kritik der Dekadenz tarnt, aber das führte hier jetzt zu weit.

Dabei hat doch eine der schönsten Diven der deutschen Linken schon 1990 in einer anderen linken Monatszeitung aus Hamburg geschrieben: »Jeder braucht Vorbilder, um keinen Selbstmord zu machen«. Und dass gerade Diven sich zu Vorbildern eignen, lässt sich ganz hervorragend an der Geschichte zeigen. Wo soll man da anfangen, wenn nicht bei der großen Marlene Dietrich. Ihr »Deutschland? Nie wieder!« wurde zur festen Demo-Parole und »Ich bin aus Anstand Antifaschistin geworden« zierte so manchen Antifa-Sticker. Trotzdem hört man sie nie vom Lauti oder in der Kneipe beim Bier nach dem Plenum singen. Ein »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt« geht wohl einfach den wenigsten über die Lippen.

Auch die alte Autonome Marianne Rosenberg hat weit mehr zu bieten als ihren Sinti-Namen an der Tür. Abgesehen von ihren Ausflügen in die Neue Deutsche Welle in den 1980er Jahren, war sie zu der Zeit auch häufig très chic auf Demos und in besetzten Häusern anzutreffen oder reiste für das ein oder andere geheime Konzert in die DDR. Außerdem dürfte ihre Cover-Version des Scherben-Klassikers »Der Traum ist aus« der erfolgreichste linke Pop-Song im vergangenen Jahr gewesen sein. Die Aufzählung könnte natürlich noch weitergehen: Milva, Greta Garbo und nicht zu vergessen die großen Tunten und Queens von Marsha P. Johnson bis Melitta Sundström oder ganz aktuell Ruco laPesto.

Dass sich die heutigen linken Diven vor allem unter Queers finden, überrascht wohl niemanden. Aber vielleicht nehmen sich auch ein paar nicht ganz so queere Leute ein Beispiel daran. Dann wird 2023 vielleicht schon ein bisschen besser als 2022.

Kuku Schrapnell

ist neben ihrem neuen Job als schwule Sex-Kommunistin auch Trans-Aktivistin, gut aussehend und Wahl-Ostdeutsche.

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