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|ak 679 | Alltag |Kolumne: Jawoll, euer Ehren

Klasse Pferde

Von Moritz Assall

Nicht mehr ganz neu, aber noch i.O.: gebrauchtes Pferd auf der Horner Rennbahn. Foto: www.publizieren-im-netz.de/Flickr, CC BY 2.0

Wer Pferde liebt, sollte Jura studieren. Als ich mein Studium begann, rechnete ich mit Begegnungen mit Burschenschaftlern, CDUler*innen und Leuten, die sich anziehen wie Philipp Amthor. Tatsächlich besteht an juristischen Fakultäten kein Mangel an Studierenden, denen der soziale Distinktionswille aus jeder Naht und jedem Schimmern ihrer Barbourjacken, ihrer pastellfarbenen Polohemden, Segelschuhe, Perlenohrringe und Gelfrisuren quillt. Mit all diesen Menschen teilte ich lange Jahre die Hörsäle, und das war oft nicht sehr schön.

Vor allem aber begegneten mir: Pferde. Pferde, Pferde, immer wieder Pferde. Gefühlt jeder zweite Rechtsfall dreht sich um Pferde und ihre Mängel beim Verkauf. Den meisten dieser Übungsfälle liegen tatsächliche Urteile zugrunde, denn es gibt einfach so viele Urteile zu Pferden. Wie viele Pferde werden bloß pro Tag in Deutschland verkauft? Und wie mangelhaft sind sie denn bitte? Was ist los in Pferdedeutschland? Eine kleine Auswahl aus der jüngsten Zeit: Im September letzten Jahres entschied das OLG Frankfurt am Main, dass eine Vernarbung im Mundwinkel eines Dressurpferdes keinen Rücktrittsgrund im Rechtssinn darstellt. Zwar entspreche das Pferd nicht »in jeder Hinsicht einer biologischen und physiologischen ›Idealnorm‹«, aber das sei bei Lebewesen eben so und insofern nicht problematisch. Diese Feststellung könnte man gerne auch auf uns andere Lebewesen, die wir nicht Dressurpferde sind, ausdehnen, finde ich. Kurz zuvor hatte der Bundesgerichtshof in einem anderen Pferdefall entschieden, dass bei zunehmendem Alter auch das Risiko des Mangels zunimmt (auch das ist wahrscheinlich leider verallgemeinerbar). Im betreffenden Fall ging es um die Frage, ab wann ein noch nicht genutztes Pferd nicht mehr als neu, sondern als »Gebrauchtpferd« anzusehen ist. Im selben Jahr entschied der Bundesgerichtshof, dass ein Reitpferd mit vollständig verheilter Verletzung wiederum nicht dauerhaft als »Unfallpferd« gilt, denn – so der BGH – für eine Übertragung der »Unfallwageneigenschaft von Kraftfahrzeugen auf Tiere besteht kein Anlass. Die Verletzung eines Tieres kann jedenfalls nicht in jeder Hinsicht einem Schaden an einer Sache, etwa einem Kraftwagen, gleichgestellt werden«. Zuletzt entschied der BGH einen Fall, der schon seit vielen Jahren die Gerichte beschäftigt, nämlich über den Tod des Dressurpferds »Donna Asana«, dessen Erkältungskrankheit mit einer homöopathischen Eigenblutbehandlung angegangen wurde, woraufhin es binnen Minuten verstarb – die Liste an teilweise bizarren, teilweise tragischen Pferdeurteilen reißt einfach nicht ab.

Woran liegt das nun also? Werden wirklich so viele Pferde ver- und gekauft? Wohl kaum. Geht mit der Juristerei in Deutschland endgültig der Gaul durch? Schon eher. Die Juristin Franziska Brachthäuser schrieb kürzlich: »Soziale Beziehungen und ihren Einfluss auf das Recht reflektiert die Rechtswissenschaft grundsätzlich nicht.« Und genau hier, im Einfluss sozialer Verhältnisse auf das Recht und seine Anwendung, liegt der Grund für die relative Pferdelastigkeit deutscher Rechtsprechung. Antonia Paulus, ebenfalls Juristin, kommentierte den Fall von »Donna Asana« auf Twitter: »Die Menge an Pferdefällen ist bestes Beispiel für die ökonomischen Voraussetzungen von Rechtsdurchsetzung.« Es ist schlicht so, dass Menschen, die sich Pferde leisten können, sich offenbar auch Urteile leisten können – sie also über das nötige Kleingeld für einen oft riskanten Rechtsstreit verfügen, sowie einem Milieu angehören, für das der Weg zum Gericht eine naheliegende Möglichkeit ist. Das gilt für den gemeinen Pauper leider nicht. Das Münchner Straßenmagazin BISS zitiert den früheren Vorsitzenden Richter einer Zivilkammer, Gerhard Grossmann, mit der Feststellung, »dass es für viele arme Menschen nicht möglich ist, ihre Rechte vor Gericht wahrzunehmen.« Liebe (zukünftige) Jurist*innen: Hier habt ihr sie, eure Pferdefälle, ganz distinguiert.

Moritz Assall

ist Jurist und Kriminalsoziologe. Er arbeitet für die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.