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Hoffnungsschimmer

Der Film »Risse im Patriarchat« dokumentiert die aktuelle Situation der queeren und feministischen Bewegung in Argentinien auf persönliche Weise

Von Lea Gronenberg

Queere Aktivist*innen haben in Argentinien Erfolg mit ihren Protesten. Sie lassen trotzdem nicht nach. Foto: Filmszene aus »Risse im Patriarchat«

In Argentinien steht das Patriarchat unter Beschuss: Das grüne Dreieckstuch argentinischer Feminist*innen wurde zum weltweiten Symbol feministischer Kämpfe. »Ni una menos« (Nicht eine weniger) brachte Femizide und Gewalt gegen Frauen zurück auf die Agenda und wurde zum Vorbild unterschiedlicher Kampagnen. Auch in der Gesetzgebung zeigt sich der Einfluss einer starken LGBTIQ*-Bewegung: Das argentinische Parlament stimmte der Öffnung der Ehe im Jahr 2010 und damit sieben Jahre vor dem deutschen Bundestag zu. In Argentinien gilt außerdem progressives Gesetz in Bezug auf Geschlechtsidentitäten.

Diese Risse im Patriarchat wurden durch eine LGBTIQ*-Bewegung, die der gleichnamige Dokumentarfilm von Cagdas Celtikli und Kai Münch portraitiert, hart erkämpft. Sieben LGBTIQ*-Aktivist*innen aus Buenos Aires teilen ihre Perspektiven auf feministische und queere Kämpfe in Argentinien. Alba Rueda, Carlos Álvarez Nazareno, Constance Majdalani, Ezequiel Bassa, Greta Pena, Maria Alicia Gutiérrez und Mosquito Sancineto erzählen aus ihrer Perspektive über die Bewegung, von ihren persönlichen und politischen Erfahrungen und Kämpfen. »Risse im Patriarchat« gibt ihnen dafür Raum in Einzelinterviews, ihre Aussagen stehen im Mittelpunkt und sind tonangebend für den Film.

Ein Film aus der Bewegung

Musik der argentinischen Rapperin und Aktivistin Sara Hebe und dem queeren Duo BIFE verbinden die Interviews miteinander. Die statischen, aber individuellen Settings und langen Kameraeinstellungen lenken den Fokus ganz auf den Inhalt der Interviews und die einzelnen Protagonist*innen. Die Filmemacher Celtikli und Münch bleiben im Hintergrund. Das Konzept des Films richteten sie immer wieder am Feedback der Protagonist*innen aus, in der Öffentlichkeitsarbeit rund um den Film tauchen ihre Namen kaum auf. Sie selbst verstehen »Risse im Patriarchat« als ein partizipatives Projekt und sehen sich als Multiplikator*innen lokaler Aktivist*innen. Auf diese Weise bleibt »Risse im Patriarchat« ein Film aus der Bewegung und nicht über sie.

Die Dokumentation wirft Schlaglichter auf die LGBTIQ*-Community in Buenos Aires, die Beweggründe von Aktivist*innen und ihre Strategien einer politischen Organisierung. Es gibt keinen besonderen Anlass, kein Großevent, keine Gesetzesänderung als Aufhänger der Erzählung. Im Mittelpunkt steht keine einzelne Ikone der Bewegung. Zeitraum und Personen, die der Film abbildet, sind mehr oder weniger zufällige Ergebnisse eines partizipativen Prozesses. Gerade dieser nüchterne Blick zeichnet ein realistisches Bild politischer Organisierung. Allzu oft werden Bewegungen, die über Jahre entstehen, arbeiten, wachsen, auf ein historisches Ereignis wie den Stonewall-Aufstand oder eine herausragende Persönlichkeit reduziert. »Risse im Patriarchat« zeigt hingegen die Kontinuitäten und Entwicklungen einer Bewegung anhand der Erfahrungen und Gedanken der Protagonist*innen des Films.

Der Film verfolgt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. »Risse im Patriarchat« bildet eine Momentaufnahme ab, die zum Innehalten und Reflektieren auffordert. Trans-Frauen wie Alba Rueda mussten und müssen sich ihren Platz in der Frauenbewegung erst erkämpfen, BIPoC wie Carlos Álvarez Nazareno kämpfen gleichermaßen gegen Sexismus wie Rassismus. Feminist*innen und LGBTIQ*s kennen diese Diskussionen um Ausschlüsse in den eignen Reihen auch außerhalb Argentiniens.

»Risse im Patriarchat« bietet hier Anknüpfungspunkte für gemeinsame Kämpfe mit intersektionaler Perspektive. Die Protagonist*innen nehmen wechselseitig Bezug auf andere Standpunkte und sind empathisch für diese. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität führt nicht zu Abgrenzung oder gar Vereinzelung. Sie bildet im Gegenteil die Grundlage für ein gemeinsames Verständnis im Kampf gegen das Patriarchat. Die Gliederung der Interviewsequenzen in thematische Abschnitte unterstreicht das Gemeinsame zusätzlich. In den unterschiedlichen Erzählungen der Protagonist*innen gibt es verbindende Themen, wie Diskriminierungserfahrungen, Errungenschaften wie die Gesetzgebung zur Geschlechtsidentität und aktuelle Kämpfe, zum Beispiel um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und Gesundheit.

Von argentinischen Feminist*innen lernen

Im Rückblick auf Meilensteine werden einerseits die Notwendigkeit einer starken LGBTIQ*-Bewegung und andererseits die Bedeutung von Gesetzesänderungen für die Bewegung in Argentinien deutlich. »Risse im Patriarchat« veranschaulicht die komplexen Beziehungen zwischen Aktivist*innen, sozialen Bewegungen und dem Staat. Jede Errungenschaft, jeder Riss ermöglicht es LGBTIQ*s (besser) zu leben. Auch wenn das Gesetz zur Geschlechtsidentität oder die Öffnung der Ehe das Patriarchat nicht abschaffen, entstehen durch progressive Parlamentsbeschlüsse Freiräume. Diese Freiräume, als Schutz vor Diskriminierung, Erniedrigung oder Verfolgung, sind notwendig für die Überwindung des patriarchalen Systems.

Als Dokumentarfilm ist »Risse im Patriarchat« ein guter Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit queeren und feministischen Kämpfen in Argentinien. Begreift man ihn darüber hinaus als Teil der Bewegung, die er portraitiert, kann er Impulse im Kampf um eine gerechtere Welt frei von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus setzen. In diesem Sinn sollte der Film nach seiner Premiere auf dem OutfestPerú und der Vorführung bei weiteren Filmfestivals in verschiedenen Räumen gezeigt und diskutiert werden.

Lea Gronenberg

Lea Gronenberg ist Politikwissenschaftlerin. Für das feministische Magazin FILMLÖWIN schreibt sie über Frauen vor und hinter der Kamera.