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|ak 664 | Alltag |Kolumne: Geh bitte!

Geh bitte! Gerhard Schröder

Von Nelli Tügel

Über Kranke und Tote soll man nichts Schlechtes sagen? Dann sollten wir uns mit Gerhard-Schröder-Gesprächen besser beeilen. Foto: Olaf Kosinsky / Skillshare.eu, CC BY-SA 3.0 DE

Sobald Menschen krank oder tot sind, soll man nichts Schlechtes mehr über sie sagen. Wenn es nur Schlechtes zu sagen gibt, soll man lieber die Klappe halten. So jedenfalls wurden jene belehrt, die es wagten, nach dem Tod des früheren SPD-Bundesarbeits- und Wirtschaftsministers Wolfgang Clement Ende September daran zu erinnern, was das Vermächtnis auch dieses Mannes ist: Massen-Leiharbeit, Niedriglöhne, Hartz IV, Hetze gegen Erwerbslose, die in einer aus dem Ministerium Clements stammender Broschüre einst als »Parasiten« bezeichnet wurden. Darauf kritisch (und nicht lobend) zu verweisen, so hieß es, gehöre sich nicht. Was zu sagen ist, möge gesagt werden, solange ein Mensch noch lebt, alles andere sei unanständig.

Wer mit solcher Art von Anstandsappellen und versöhnlichem Mitgefühl rechnen kann, das ist im Wesentlichen eine Klassenfrage. Den einen wird gute Besserung zugerufen, kondoliert, sie erhalten ein Staatsbegräbnis oder doch wenigstens einen zünftigen Abschied, hinterlassen Erben, ein »bedeutendes Leben« – und dürfen sich wohlwollender Nachrufe aus allen politischen Lagern gewiss sein. Andere können sich nicht einmal eine würdige Beerdigung leisten. Da bleibt es das Mindeste, über die Leute mit den Staatsbegräbnissen mit der ihnen gebührenden Respektlosigkeit zu reden. Damit jedoch, wenn es dann mal soweit ist, keine*r sagen kann, man habe mit der Schmähkritik bis zu seinem Tod gewartet, wird nun hier schwarz auf weiß dokumentiert: Gerhard Schröder soll abtreten.

Der frühere Vorgesetzte von Wolfgang Clement, Entfesseler eines bis dahin in der Bundesrepublik ungekannten Klassenkampfes von oben, ist zwar seit seinem Ende als Bundeskanzler vor 15 Jahren nicht mehr in der Politik tätig. Trotz eines geschätzten Privatvermögens von 20 Millionen Euro – natürlich läppisch im Vergleich zu dem Reichtum, den deutsche Kapitalist*innen dank der durch die Agenda 2010 verbesserten Ausbeutungsbedingungen anhäufen konnten – hat er sich jedoch längst nicht zur Ruhe gesetzt. So wie es sich für altgediente SPD-Politiker gehört, ist Gerhard »Auch-Sie-ganz persönlich-können-Konjunkturmotor-sein«-Schröder als Wirtschaftslobbyist tätig, unter anderem als Aufsichtsratsvorsitzender für das russische Ölunternehmen Rosneft und Nord Stream. Seit einigen Monaten hat er zudem einen eigenen Podcast. Der nennt sich »Die Agenda«, was wahrscheinlich witzig sein soll, tatsächlich aber nur widerlich zynisch ist.

»Eigenverantwortung fördern« und »mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern« lauteten die Credos der Rot-Grünen Bundesregierung, mit denen sie ihr gigantisches Umverteilungsprogramm von unten nach oben propagandistisch begleiteten. Es wird Zeit für Schröder, wenigstens ein einziges Mal selbst zu beherzigen, was stets nur andere tun sollten – und so etwas wie Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. Sprich: Den Abgang machen! Ein höfliches »Bitte« allerdings wird so einer nie von mir zu hören bekommen.

Nelli Tügel

ist Redakteurin bei ak.