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|ak 674 | Alltag |Kolumne: Geh bitte!

Geh bitte, Fusion Festival

Von Bilke Schnibbe

»Holger, der Kampf geht weiter!« Fusion-Besucher*innen vergangener Jahre leisten Widerstand gegen das System. Foto: Montecruz Foto/Flickr, CC BY-SA 2.0

2020 erinnert ihr euch? Das war dieses Jahr, in dem wenigstens kein Fusion-Festival stattgefunden hat. Man musste keine Kontakte aus dem Telefonbuch löschen, weil sich plötzlich herausstellte, dass liebe Freund*innen in Wahrheit »politische« Hedonist*innen sind oder, noch schlimmer, gerne Minimal-Elektro an der Turmbühne hören. 2021 war uns dieses Glück nicht vergönnt: Von Ende August bis Mitte September fanden an drei Wochenenden kleinere Versionen des Festivals statt.

»Ferienkommunismus«, das verspricht uns das Fusion-Festival, das normalerweise am letzten Juni-Wochenende in Meck-Pomm stattfindet, seit Jahren. Ferienkommunismus ist das Recht, sich auch trotz Pandemie mal wieder schön ein paar Drogen reindübeln zu dürfen, weil »Feiern« ein Kulturgut ist, das geschützt werden muss vor den überzogenen Corona-Maßnahmen. Es gibt ein aufwendiges Testkonzept, na klar, wir sind ja alle Ferienkommunist*innen, Ehrensache.

Ferienkommunismus ist, wenn man sich vormacht, dass mal wieder schön durch den Tisch zu treten Widerstand gegen das System ist. Selbstfürsorge ist ein politischer Akt, das hat doch auch diese eine Schwarze Feministin gesagt. Weil man im kapitalistischen System sehr geknechtet ist. Und als Knecht heißt es wenigstens ein paar Mal im Jahr: am Wochenende MDMA nehmen und sich am Montag bei Lohnfortzahlung krankmelden. Rebellisch. Selbstfürsorge ist eine revolutionäre Waffe in den Händen desillusionierter, weißer Akademiker*innen, die dummerweise nicht auf Lehramt studiert haben, weil sie sich selbst verwirklichen wollten und deshalb nun 20 Jahre um sich selbst kreisen müssen, bis Mama und Papa ihnen ihren Anteil am Elternhaus vorzeitig auszahlen. Ihr seht schon, ich muss auf meine alten Tage das Antilopengang-»Geh bitte« toppen. Hate Speech aus Lustfeindlichkeit. Damit hier mal wieder Stimmung in die Bude kommt. Ich lege schonmal meine Martin-Sonneborn-Gedächtnis-Textbausteine (»bla bla SATIRE bla bla«) für die wütenden Männer-Querfront-E-Mails zurecht.

Das Monis-Rache-Festival hatte wenigstens den Anstand, sich Anfang 2020 aufzulösen, nachdem herauskam, dass in den Toiletten des Festivals gefilmt worden war. In den Duschen der Fusion war das Gleiche passiert. Aufnahmen davon waren auf Porno-Plattformen im Internet aufgetaucht. Nanu, darüber redet ja gar keine*r mehr? Es gab Anfang 2020 ein Statement, in dem sich die Veranstalter*innen betroffen, schockiert und das alles nannten. Danach kam nix mehr, es wurde still um das Thema. Aber, das muss man auch verstehen, es ist halt sehr schwer, sowas auf einem Festival ganz zu verhindern. Vermutlich fast so schwer, wie zu Beginn der vierten Corona-Welle zu garantieren, dass mehrere Tausend Besucher*innen des Festivals einen PCR-Test machen und innerhalb kürzester Zeit ein Ergebnis erhalten, damit sie das Gelände betreten und feiern können. Widerstand leisten können, ihr wisst. Das finde ich schon sehr beeindruckend, diese infrastrukturelle Leistung. Sie können ganz schön viel auf die Beine stellen, wenn sie denn wollen, diese Ferienkommunist*innen. Die Corona-Pandemie mit guter Planung an den doppelreihigen Festivalzäunen scheitern lassen. Und schlechte Presse über sexuelle Gewalt auf dem eigenen Festival aussitzen.

Ferienkommunismus, das ist, erst mal lieber auf den nächsten Skandal zu warten, anstatt sich in vorauseilendem Gehorsam ein Bein auszureißen. Ferienkommunismus ist, Bedauern über das Patriarchat zu äußern, das natürlich nicht vor den doppelreihigen Zäunen Halt macht. Was soll man tun, es ist allmächtig, das Patriarchat. Man ist zuallererst natürlich solidarisch mit Betroffenen, Ehrensache. Es ist alles komplex und ein Prozess. Da muss man ganz solidarisch Augenmaß walten lassen. Intern wird das viel diskutiert. Was kann der Ferienkommunismus dafür, dass es keine PCR-Tests gegen sexuelle Gewalttätigkeit gibt?

Bilke Schnibbe

war bis Oktober 2023 Redakteur*in bei ak.