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|ak 664 | Kultur

Kämpfen für Liebe und Gerechtigkeit*

»Futur Drei« ist ein Film über Freund*innenschaft, queere Liebe und (post-)migrantische Lebensrealitäten

Von Kornelia Kugler

Ein Gesich mit Sailor-Moon-Perücke; die Person unter der Perücke saugt an einem Strohhalm und schaut aufs Smartphone
»Futur Drei« zeigt mehrdeutige, mehrheimatliche Lebensentwürfe. Benjamin Radjaipour als Parvis, verkleidet als Sailor Moon. Foto: Edition Salzgeber

Die erste Szene von »Futur Drei« zeigt VHS-Aufnahmen eines etwa vierjährigen Kindes, das vor der Kamera in einem Sailor-Moon-Kostüm fröhlich tanzt und singt. Im Verlauf des Films wird die Hauptfigur Parvis, ein verwöhnter Millenial aus Hildesheim, der sich die Zeit mit Grindr und Partys vertreibt, noch einmal ein Sailor-Moon-Kostüm tragen, und wir werden weitere VHS-Familienbilder zu sehen bekommen. Die Homevideos im Film sind nur der offensichtlichste Hinweis auf den autobiografischen Hintergrund des fiktionalen Parvis (gespielt von Benjamin Radjaipour): Das Kind, das wir sehen, ist Faraz Shariat, 1994 in Deutschland als Kind iranischer Migrant*innen geboren und Regisseur von »Futur Drei«. Die Videoaufnahmen hat sein Vater gemacht, seine Eltern Nasser und Mashid spielen auch die Eltern von Parvis im Film.

Diese Wirklichkeitsebene nennt das Produktionskollektiv von »Futur Drei« autofiktional: aus sich selbst geschöpft, aber trotzdem Insta-taugliches »Popcorn-Kino«, authentisch und zugleich überhöht. Es geht um das Leben von jungen queeren PoC in Deutschland; der sonst medial oft misrepräsentierte, vielschichtige Status quo einer »Gesellschaft der Vielen« kann hier erzählt werden. Ein Geschenk für das deutsche Kino: Nicht nur, weil Figuren of Color die Hauptrolle spielen, das mehrsprachige Schauspiel großartig ist und der Rassismus der deutschen Gesellschaft gnadenlos, aber unaufgeregt gezeigt wird. Sondern einfach auch, weil hier eine sehr berührende Coming-of-Age-Geschichte erzählt wird.

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Nach einem Ladendiebstahl muss Parvis Sozialstunden als Farsi-Übersetzer in einer Unterkunft für Geflüchtete ableisten. Dort trifft er auf die aus dem Iran geflohenen Geschwister Banafshe (Banafshe Hourmazdi) und Amon (Eidin Jalali). Zwischen ihnen entwickelt sich eine Freund*innenschaft, die Parvis mit seinen Privilegien und Fragen von Zugehörigkeit konfrontiert. »Dazwischensein« ist die Erfahrung, die die drei verbindet. Parvis und Amon verlieben sich, zwischen Unterkunft, Einfamilienhaus und Party gönnt uns »Futur Drei« wunderschöne Sexszenen voll aufregender neuer Liebe. Neben dem Auf und Ab, das diese Verbindung mit sich bringt, gerät Banafshe richtig in Schwierigkeiten: Ihr droht die Abschiebung aus Deutschland.

Der zum Film erschienene Katalog »I See You – Gedanken zum Film Futur Drei« bietet eine weitere Auseinandersetzung mit der Darstellung von queeren und postmigrantischen Lebensentwürfen und der Tradition des postmigrantischen Erzählens in Theater und Film. Im Katalog wird auch thematisiert, wie das Credo »Nothing about us without us«, »Nichts über uns ohne uns«, auch in der Produktion von »Futur Drei« an seine Grenzen stößt. Arpana Aischa Berndt und Hoa Nguyen fragen, wie damit umzugehen ist, dass Perspektiven gefluchteter und queerer geflüchteter Personen zwar das Filmnarrativ pragen, aber weder im Schreibprozess noch im Kernteam vertreten waren.

Wir sind die Zukunft, sagt Banafshe am Ende des Films.

Das ist auch beim Schauen des Films spürbar: Die Erzählung über die neu nach Deutschland gekommenen Geschwister bleibt flacher als die über Parvis und seine Familie. Über die Problematik des eingeschränkten Zugangs zu Kulturproduktionen für Menschen mit Fluchterfahrung und die Frage, wer die Geschichten von geflüchteten Menschen erzählt und davon profitiert, schreibt die Aktivistin Selin im Katalog.

»Futur Drei« bedeutet Empowerment für all jene, die sich mit den Figuren identifizieren können und ihre Geschichten darin wiederfinden. »Wir sind die Zukunft«, sagt Banafshe am Schluss des Films. Mit dem Migrationsforscher Erol Yildiz könnte man sagen, dass »Futur Drei« damit eine Transtopie zeigt: eine realisierte Utopie, in der Personen diverser Identitäten unterschiedliche, aber auch geteilte Geschichten, Erfahrungen, Ideen situativ aufnehmen, aufeinander beziehen und daraus neue Alltagserfahrungen erschaffen. Eine Voraussetzung, damit neue mehrdeutige, »mehrheimatliche« Lebensentwurfe entwickelt werden können.

Kornelia Kugler

ist Filmemacherin und Teil des queerfeministischen Filmkollektivs Systrar Productions.

* Der Slogan von Bunny Tsukino aka Sailor Moon, wenn sie sich ihren Widersacher*innen entgegenstellt.

Futur Drei. Deutschland 2020. 92 Minuten. Regie: Faraz Shariat. Seit September im Kino.

Raquel Kishori Molt und Arpana Aischa Berndt (Hg): I See You – Gedanken zum Film Futur Drei. edition assemblage, Münster 2020. 123 Seiten, 15 EUR.