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Feindliche Feminismen

Sophie Lewis’ neues Buch ist eine Intervention gegen rassistisch-imperiale und cis-ideologische Kontinuitäten

Von Kyra und Sarah

Schwarz-weiß-Foto von zwei Frauen, eine von ihnen sitzt links im Bild auf Kissen auf dem Boden, direkt daneben liegt die zweite Frau auf dem Bauch mit einer Waffe in der Hand, beide schauen in Zielrichtung der Waffe
Von Cop-Feminist*innen, Cis-Fetischist*innen und imperialen Girlbossen: Mit »Enemy Feminisms« hat Sophie Lewis eine feministische, antifaschistische (Selbst-)Kritik geschrieben. Foto: Public Domain

Sophie Lewis ist vieles – freie Autorin, »recovering academic«, Familienabolitionistin – jedoch vor allem kritische Utopistin. Quer durch die Texte der Marxistin zieht sich die Forderung nach dem Wiedererlangen utopischen Begehrens in einer post-68-gebeutelten Linken. In ihrem nun dritten Buch »Enemy Feminisms« finden sich zunächst kaum good news. Die Leser*innen werden auf ca. 320 Seiten mit feindlichen Feminismen konfrontiert, welche sich durch 200 Jahre feministischen Kanon mit Fokus auf den englischsprachigen Raum ziehen. Die These: Westlicher Feminismus ist keine reine Erfolgsgeschichte. Say what?!

Dieses Buch wird für Personen, die mit der Kritik an SWERF-, TERF- und Cop-Feminismen in der Tradition dekolonialer, trans und queerer wie marxistischer Feminismen vertraut sind, keine große Überraschung sein. Für andere kommt es einer unbequemen Geschichtslektion gleich. Lewis taucht in zwölf Kapiteln in die Biographien einflussreicher feministischer US- oder UK-Persönlichkeiten ein, die es nicht selten in die Hörsäle deutschsprachiger Hochschulen und Lesezirkel geschafft haben. Hier müssen sie als Exempel für einen Archetyp feindlicher Feminismen herhalten. Sie untersucht jeden der »no-nonsense anti-utopianisms« – Mixturen aus verkürzter Klassenanalyse, Vorstellungen weißer Vorherrschaft und cissexistischen Geschlechterbildern – analytisch und zeigt ihre ideengeschichtlichen Kontinuitäten auf.

Von imperialen Girlbossen zu Cis-Fetischistinnen

Die ersten Kapitel widmen sich imperialen Kolonialfantasien, essentialisierenden Rassismen, faschistischer Eugenik und Antisemitismen, welche dem westlichen, bürgerlichen Cis-Feminismus entsprungen sind. Eindrückliche Beispiele ziehen sich über die Instrumentalisierung, rassistische Relativierung und halbgare Solidarität weißer Feministinnen mit der Schwarzen Anti-Sklaverei-Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts zur »Kolonialqueen« May F. Sheldon, die der Welt beweisen will, dass eine Frau »gewaltloser« kolonisieren könnte (und das blutige Gegenteil demonstriert). Die Vorstellung der Wiederherstellung der Gleichstellung der Geschlechter, welche der ethnisch höherwertigen weißen Kultur inhärent wäre und nur von einem rassifizierten/jüdischen Anderen infiltriert würde, findet sich bei der Lynchpraktiken befürwortenden protestantischen Fundamentalistin Alma White und bei den sich dem europäischen Faschismus anschließenden Ex-Suffragetten im 20. Jahrhundert. In der femonationalistischen Hetze von Ayaan Hirsi Ali bis Alice Schwarzer wird heutzutage der Islam grundsätzlich für das Patriarchat verantwortlich gemacht.

Im 20. Jahrhundert wird von weißen UK-Feministinnen ein »neues« abolitionistisches Projekt geboren. Ziel: die »Versklavung« weißer Frauen als Sexarbeiterinnen beenden (ja, leider ernst gemeint). Dabei stützen sich die Feministinnen auf staatliche Kriminalisierung und den Gefängnisapparat (ungeachtet dessen Ursprungs in der tatsächlichen historischen Versklavung Schwarzer Menschen). Ab den 1970er Jahren erklären dann die PorNO-Campaignerinnen Pornografie zum »Genozid« an Frauen.

Nicht-existente Kapitalismuskritik veranschaulicht Lewis an der Darstellung von Frauen als die besseren Führungspersonen, die Ausbeutung und Kriegstreiberei einen #girlboss-Twist verleihen. Wir erfahren, wie Anti-Abtreibungsgruppen im 21. Jahrhundert die Tötung von Föten nicht als Verweigerung reproduktiver Arbeit, sondern als eine Priorisierung neoliberal-patriarchaler Wegwerfkultur umdeuten. Ähnlich zu antisemitischen Dämonisierungslogiken sehnen transexklusive Feministinnen eine biologische Vorstellung von Weiblichkeit herbei, die das unumstößliche Naturgesetz der sexuellen Differenz befolgt: Hütet euch vor der trans Frau, die in und unter uns wandelt und es wagt, Geschlecht als sozial konstruierte Performanz zu entlarven.

Lewis geht es um kollektive Verantwortungsübernahme und einen selbstkritischen Blick auf unser kanonisiertes feministisches Erbe.

No girlbosses, no heroines, no masters

Aber warum ausgerechnet auf Feminist*innen schießen? Warum sich nicht mit dem Antifeminismus der Neuen Rechten sowie der radikalisierten Konservativen beschäftigen? Weil Feminist*innen nicht automatisch auf der »richtigen« Seite der Geschichte sind. Es braucht einen antifaschistischen Kampf gegen die auch (und manchmal vor allem) von Feminist*innen vorangetriebene rassistisch-imperiale und bürgerliche Cis-Ideologie. Lewis geht es um kollektive Verantwortungsübernahme und einen selbstkritischen Blick auf unser kanonisiertes feministisches Erbe, in dessen Namen migrantische Sexarbeiter*innen eingesperrt, Mussolini-Fandoms und Kolonialverbrechen befürwortet und trans Frauen von Konferenzen gejagt wurden. So wie die Dämonisierung von Feminist*innen als antifeministisches Steckenpferd verunmöglicht auch die Mystifizierung der eigenen Geschichte Solidarität mit den Betroffenen feindlicher Feminismen.

Warum halbwegs herrschaftskritische Personen irgendwann anfangen, Abtreibungskliniken hochzusprengen, bleibt unbeantwortet. Lewis beleuchtet jedoch kritisch, wie bestehende Kräfteverhältnisse in linker Szene und Kulturindustrie diese Entwicklungen beeinflussen: Personenkult macht auch vor Feminist*innen nicht halt (siehe J.K. Rowling & Co.). Mediale Heroisierung blendet die immer bestehenden inhaltlichen Ambiguitäten und Positionen marginalisierter Stimmen innerhalb von feministischen Strömungen aus, schließt Diskursräume und immunisiert gegen (Selbst-)Kritik. Lewis regt an, darüber nachzudenken, wie eine verantwortliche Geschichtserzählung sowie Gegenwart aussähe, welche auf »girlbosses, heroines and masters« verzichtet.

Die Seite »der Frauen« hat es nie gegeben

Lewis’ personifizierte Herangehensweise an die jeweiligen Archetypen feindlicher Feminismen könnte als Deplatforming-Aufruf verstanden werden, der »den Feind« nur in »den Anderen« verortet, anstatt sich auf eigene internalisierte anti-utopische Positionen zu überprüfen. Gerade Lewis’ bewusst argumentierte Wortwahl feindlicher Feminismus – statt feministischer Irrweg (feminism of fools) – könnte dazu verleiten. Jedoch plädiert Lewis für ein bewusstes Sich-Miteinander-Auseinandersetzen, für nicht-widerspruchsfreie Räume, für solidarische Kritik unter Genoss*innen. 

Lewis’ Vorschlag eines genoss*innenschaftlichen Feminismus – als Lehre aus und Antidote zu feindlichen Feminismen – beinhaltet somit eine undogmatische Haltung, welche sich einer »impurity of politics« verpflichtet und trotzdem kollektiv Grenzen zieht. Jene stetig neu zu ziehenden anti-anti-utopischen Grenzen verlaufen entlang reduktionistischen Schwarz-Weiß-Moralismen; eugenischen Reinheitsvorstellungen; dem (Alb-)Traumpaar whiteness/cisness. Hierbei sollten nicht identitäre Kategorien die antifaschistische Praxis leiten, sondern »lines of affinity«, so Lewis mit Gloria Anzaldúa. Die Seite »der Frauen« hat es schlichtweg nie gegeben.

Um unsere comrade feminist beim Wort zu nehmen: Wir teilen Lewis’ Kritik an Kriegsverherrlichung, die im Namen des Feminismus getätigt wird. Jedoch reiht sich ihre polemische – und sehr knappe – Abhandlung zu Israels genozidalem Gazakrieg in eine binär-polarisierte Debatte ein, anstatt widersprüchliche Verantwortlichkeiten zu beleuchten. Wir sehen unsere lines of affinity eher um den Antifaschismus palästinesisch-jüdischer grassroots wie Standing Together.

Love Letter To Feminism

»Enemy Feminisms« ist ein Buch für feministische Nerds, die einigermaßen mit dem Kanon anglophon geprägter westlicher Feminismen vertraut sind. Aber auch wenn ihr Mary Wollstonecraft und Andrea Dworkin nicht gelesen habt, machen Lewis’ wortwitziger (wenn auch akademischer) Schreibstil und die popkulturellen Referenzen die anspruchsvolle Auseinandersetzung unterhaltsam, ohne an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Um historische Kontinuitäten nachzuvollziehen, raten wir, dem Buchaufbau zu folgen. Allerdings vermissen wir eine Begründung der Auswahlkriterien der jeweiligen Archetypen: Warum gibt es z.B. kein eigenes Kapitel zu Strafrechtsfeminismus? 

Trotz des Fokus auf Anti-Utopist*innen ist dieses Buch ein »Liebesbrief an den Feminismus«. Wir empfehlen es allen kritischen Utopist*innen, denen – wie Lewis – nicht egal ist, was Feminismus als emanzipatorisches Projekt inhaltlich wie praktisch bedeutet; die noch nicht die Neugier gegenüber den dialektischen Irrungen und Wirrungen revolutionärer Politik verloren haben; die wissen, dass die (Selbst-)Verteidigung gegen faschistoide Dogmen nicht natürlicherweise Teil einer feministischer Praxis ist, sondern erkämpft werden muss.

Kyra

beschäftigt sich an der Schnittstelle von Aktivismus und Wissenschaft (am liebsten kollektiv) mit feministischen Kämpfen gegen patriarchale Gewalt und Femi(ni)zide und den Möglichkeiten einer besseren Welt.

Sarah

wohnt als überzeugte Bewegungslinke in Wien. Sie interessiert sich besonders für Feminismen und Klimapolitik.

Sophie Lewis: Enemy Feminisms. TERFs, Policewomen, and Girlbosses Against Liberation. Haymarket Books, Chicago 2025. 332 Seiten, 23 EUR.