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Bücher von Esther

Das Hamburger Jugend- und Stadtteilhaus Tesch macht den Bücher- und Schallplattennachlass von Esther Bejarano nun für alle zugänglich

Von Carina Book

Bild von drei jungen Leuten vor einem Regal voller Bücher.
Lea, Paul und Jonathan haben gemeinsam mit anderen jungen Antifaschist*innen die Esther-Bejarano-Gedenkbibliothek aufgebaut. Foto: Carina Book

Angefangen hat alles mit einer eher unspezifischen Anfrage: »Wir wurden gefragt, ob wir Interesse an rund 900 Büchern hätten. Zuerst waren wir unsicher, ob wir dieses Angebot annehmen sollten. Wir haben uns dann dazu entschieden, die Bücher anzunehmen, auch weil wir durch Corona-Einschränkungen auf der Suche nach einem neuen Projekt waren.  Zu diesem Zeitpunkt war uns noch nicht klar, dass es sich um die Büchersammlung von Esther Bejarano handelte«, erzählt Lea, die kürzlich mit ihrer Gruppe aus sechs weiteren jungen Antifaschist*innen die Eröffnung der Gedenkbibliothek im Hamburger Jugend- und Stadtteilhaus Tesch feiern konnte. Die Bibliothek ist eine liebevolle Hommage an eine herausragende Antifaschistin und ihren Kampf gegen das Vergessen und beherbergt nun neben den rund 900 Büchern auch 200 Schallplatten aus ihrem Nachlass.

Ziel ist es, die Büchersammlung und damit einen kleinen Teil des Vermächtnisses von Esther Bejarano der jungen Generation zugänglich zu machen und einen Raum für das aktive Gedenken an die Opfer und die Verfolgten der Naziverbrechen und den Widerstand dagegen zu schaffen.

 »Wir hatten das Glück, Esther in Workshops kennenzulernen, ihre Geschichte von ihr selbst zu hören und ihre Musik in Konzerten zu erleben. Jetzt, wo sie nicht mehr da ist, liegt es auch an uns, ihre Botschaften weiterzutragen. Das versuchen wir mit Schulkooperationen, Lesungen aus Esthers Büchern und Plattenabenden. Wir müssen das Gedenken jetzt selbst in die Hand nehmen«, sagt Jonathan, der die Bibliothek mit aufgebaut hat.

Esther-Bejarano-Gedenkbibliothek

Die Gedenkbibliothek ist work in progress. »Sie lebt von uns allen, und es liegt an uns, sie mit Leben zu füllen«, sagen die Aktivist*innen. Das Jugendzentrum Tesch ist auch darüber hinaus einen Besuch wert. Benannt nach dem Antifaschisten Bruno Tesch, der als einer der »Altonaer Vier« eines der ersten Opfer der NS-Justiz wurde, ist das Tesch heute ein Ort zum Austausch und gemeinsamen Lernen.

»Die Jugend müssen wir gewinnen«

Esther Bejarano wurde 1924 in Saarlouis geboren. Sie wuchs in einer jüdischen Familie auf und erlebte die Schrecken des Holocaust. Sie überlebte die Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück. Im April 1945 gelang Esther mit sieben anderen Mädchen auf dem Todesmarsch die Flucht. Nach der Befreiung emigrierte sie in das damalige Palästina, 1960 kehrte sie in die Bundesrepublik zurück. Sie war Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BDA), Präsidiumsmitglied des Internationalen Auschwitz Komitees und Gründerin und Vorsitzende des Auschwitz Komitees in der Bundesrepublik Deutschland. Mit jeder Faser ihres Lebens kämpfte sie gegen das Wiedererstarken des Faschismus, trat vor Schulklassen auf und vermittelte ihre Botschaft bis zuletzt auch als Sängerin in der Rap-Gruppe Microphone Mafia. Durch ihr unermüdliches antifaschistisches Engagement wurde sie zu einer Symbolfigur des Widerstands gegen das Vergessen. Esther Bejarano verstarb am 10. Juli 2021. Bis zum Schluss hatte sie immer wieder betont: »Die Jugend müssen wir gewinnen.« Ihr hätte wahrscheinlich gefallen, was sich nun in dem Jugendzentrum in Altona abspielt.

Wir denken derzeit auch darüber nach, eine Art Rekonstruktion ihres Lebens anhand unserer Funde in den Büchern zu erarbeiten.

Lea

»In vielen Büchern haben wir persönliche Widmungen und auch Briefe gefunden«, berichtet Lea. »Die Bibliothek bildet Esther auch als Person ab. Wir denken derzeit auch darüber nach, eine Art Rekonstruktion ihres Lebens anhand unserer Funde in den Büchern zu erarbeiten.«

Im Tesch wurden die Bücher von Esther Bejarano nicht nur gesammelt, sondern auch eine Umgebung geschaffen, in der Jugendliche und Interessierte mehr über die Verbrechen der Shoah, den Kampf gegen das Vergessen und den Antifaschismus lernen können. »Wir wollen aus Esthers Büchern Wissen und Kraft schöpfen, um für eine bessere Zukunft ohne Faschismus und Krieg zu kämpfen«, sagt Lea.

Hinter den Antifaschist*innen liegt ein Haufen mühsamer Handarbeit. »Über ein Jahr haben wir sortiert und katalogisiert. Schließlich konnten wir mithilfe eines befreundeten Schreiners ein Regal anfertigen lassen, in dem Esthers Nachlass jetzt für alle zugänglich ist«, erzählt Paul, der beim Bau des Regals selbst Hand angelegt hat. Schwierig sei es gewesen, finanzielle Unterstützung von der örtlichen Bezirksverwaltung zu bekommen. »Über mehrere Monate hinweg mussten wir immer wieder vorstellig werden. Es war ein ständiges Hin und Her, bis wir endlich einen Zuschuss bekommen haben«, sagt Paul. Verwundert sind die drei Antifaschist*innen darüber nicht.

»Nicht auf den Staat verlassen!«

»Gerne wird sich der Name Esther Bejarano von unterschiedlichsten Institutionen angeeignet und sich mit dem ritualisierten Gedenken an die Opfer der Shoah geschmückt. Mit gelebter Erinnerungskultur hat das aber wenig zu tun. Wer gegen Nazis kämpft, kann sich nicht auf den Staat verlassen, hat Esther einmal gesagt. Das gilt auch für das Gedenken. Auch soll Gedenken unserer Meinung nach nicht nur an bestimmten Tagen im Jahr stattfinden, unsere Bibliothek ist deshalb 365 Tage im Jahr da, und wir hoffen, dass es uns gelingt, für die Jugendlichen ein Ort zu sein, an dem sich Alltag und Gedenken verbinden«, sagt Jonathan. Beim Durchblättern eines Gästebuchs fallen getrocknete vierblättrige Kleeblätter heraus. »Die waren auch in Esthers Büchern, und ich habe schon wieder vergessen, die Kleber für die Herbarien von der Uni mitzubringen«, ärgert sich Jonathan. Vielleicht bringen sie der Esther-Bejarano-Gedenkbibliothek auch ungeklebt Glück.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.