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Ein Trauerspiel

Der Skandal am Schauspielhaus Düsseldorf zeigt, dass der alte Rassismus auch am Theater noch herrscht

Von Johannes Tesfai

Die Gefahr lauert in deutschen Theatern hinter der Bühne. Foto: FHKE / Flickr , CC BY-SA 2.0

Rassismus ist Alltag, auch im deutschen Kulturbetrieb. Der Schauspieler Ron Iyamu hatte im März dieses Jahres öffentlich gemacht, dass er bei Proben am Schauspielhaus Düsseldorf von einem Regisseur und einem Kollegen rassistisch beleidigt wurde. Nachdem das übliche Institutionengerausche begann und das Theater eine Stellungnahme mitsamt Entschuldigung veröffentlichte, schien der Konflikt nach einem vielfach bekannten Schema zu laufen: Beteuerungen der Besserung, aber keine wirklichen Konsequenzen.

Auf Nachfrage von ak erörterte das Schauspielhaus Düsseldorf das mittlerweile gängige Prozedere: Diversity-Beauftragte werden installiert und ein Code of Conduct erstellt, teilte das Schauspielhaus mit. Diese Form der institutionalisierten Bearbeitung, die vor allem auf dem Papier stattfindet, hat Tradition an deutschen Theatern. 2019 beleidigte der Schauspieldirektor des Parkaue-Theaters in Berlin eine Schauspielerin rassistisch. Das Theater gab zu, viel zu spät auf die Vorwürfe reagiert zu haben, letztlich musste der Schauspieldirektor und stellvertretende Intendant Volker Metzler seinen Hut nehmen. Die Theater in Bochum und Hannover nahmen kurz darauf eine Antirassismus-Klausel in ihre Verträge auf, in der Hoffnung, dass diese bald überflüssig sein würde.

Doch diese administrative Form der Aufarbeitung von rassistischen Vorfällen verhinderten weitere Skandale an deutschen Theatern nicht. Wie auch? Schließlich sind rassistische Stereotype tief in die Strukturen des Kulturbetriebs eingeschrieben. Das wollen aber die wenigsten im weißen, männlich dominierten Intendanten-Stadl eingestehen. Kunst und Kultur werden lieber als ur-demokratisch und im Allgemeinen unschuldig rein verstanden. Angriffe auf die Kunstfreiheit kommen in dieser Lesart immer von außen. Zum einen erkennt man die Feinde der Kunst in Rechten, die seit einigen Jahren mit Störaktionen, Kleinen Anfragen oder Drohungen den Kulturbetrieb in Aufruhr versetzen. Zum anderen ergießt sich so mancher Hochkultur-Lautsprecher über Cancel Culture und Identitätspolitik. Und warum sollte man schon bei sich selbst anfangen?

Unpolitische Kultur

Dies hätte auch die Überschrift für den Beitrag von Bernd Stegemann sein können, der sich berufen fühlte, sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu dem Fall Ron Iyamu zu äußern. Stegemann ist Professor an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, die immerhin nach einem kommunistischen Theatermacher benannt ist. In seinem Beitrag geht der Professor zum Gegenangriff auf Iyamu über und behauptet, Iyamus Sensibilität gegenüber Rassismus hänge mit seiner fehlenden Professionalität als Schauspieler zusammen. Denn Theater finde in einem abgeschotteten Bereich statt, in dem andere Regeln gelten würden, so der Professor in seinem Beitrag. Er bemüht damit zum einen das Bild der unpolitischen Kunst und politisiert mit dieser schrägen These ungewollt die Auseinandersetzung weiter. Zum anderen sind Stegemanns Ausführungen ein rassistisches Nachtreten, das jeder Reflektion entbehrt und letztlich eine Täter-Opfer-Umkehr bedient. Selten wurde deutlicher unter Beweis gestellt, wie wenig der künstlerische Mainstream von Rassismus und seiner Alltäglichkeit verstanden hat.

Doch diese administrative Form der Aufarbeitung von rassistischen Vorfällen verhinderten weitere Skandale an deutschen Theatern nicht.

Dabei traten viele Häuser 2018 mit der Erklärung der Vielen an die Öffentlichkeit. Dort heißt es: »Rassismus ist Alltag. Rechtsextremismus ist ein Symptom davon. Dieses Bündnis will nicht nur Symptome bekämpfen, sondern in die Tiefe wirken.« Diese Erklärung hat auch der aktuelle Intendant des Schauspielhauses Düsseldorf, Wilfried Schulz, unterschrieben. Weiter heißt es in der Erklärung: »Wir setzen uns deswegen mit den eigenen Strukturen auseinander und stellen diese zur Verhandlung.« Das gerade genau dies nicht oder viel zu spät passiert ist, zeigt der Fall aus Düsseldorf eindrücklich. Die rechten Positionen werden dort als Angriff von außen verstanden und nicht als Problem innerhalb der Theater. Auffällig ist zudem die Diskrepanz, eine solche Erklärung zu unterzeichnen, aber im eigenen Haus nicht dafür zu sorgen, dass solche Vorfälle aufgearbeitet oder gar verhindert werden.

Die Causa Düsseldorf könnte dennoch ein Wendepunkt in der Debatte darstellen: Eine Vielzahl von Kulturschaffenden will die unhaltbaren Zustände so nicht mehr hinnehmen. Stegemann wurde von 1.400 Kulturschaffenden in einem Leserbrief angegriffen.

Schließlich erschien ein Offener Brief Schwarzer Theatermacher*innen, die jüngst am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenieren wollten. Im Angesicht des Konflikts und der Solidarität mit Iyamu wollen sie nun nicht weiter für eine Inszenierung an diesem Haus proben. Eine der Initiatorinnen, Natasha A. Kelly, sagte im Gespräch mit ak: »Gerne wird die Kunstfreiheit vorgeschoben, um in Kunst- und Kulturbetrieben Diskriminierungen zu rechtfertigen.« Diese Einschätzung passt gut zu den schiefen Diskussionen, die sonst aus der rechten Ecke über Meinungsfreiheit in die Öffentlichkeit getragen werden. Die Verschiebung des Sagbaren ist hier vor allem die Wiederkehr eines alten und relativ plumpen Rassismus, der totgeglaubte Wörter und alte Vorurteile wieder auf die Tagesordnung setzt.

Selbstorganisierung als Selbstschutz

Für Schwarze Kulturschaffende bedeutet dies, sich selbst davor schützen zu müssen. Die Autor*innen des Offenen Briefes um Kelly stellen deshalb fest: »Wir sind nicht bereit, auch nur ansatzweise den Verdacht von Rassismus und Sexismus hinzunehmen, noch abzuwarten, bis die internen Prozesse abgeschlossen sind und wir an einem Punkt angelangen, wo unsere kreative Arbeit ohne Einschränkungen beginnen kann.« Sie fordern deshalb eine eigene Freie Bühne, um sich »dem institutionellen Rassismus zu entziehen«. Kelly betont auf Nachfrage: »Die Häufigkeit der Diskriminierungsvorwürfe der letzten Jahre zeigt uns, dass wir es nicht mit Einzelfällen zu tun haben, sondern mit einem strukturellen Problem.« Sie sagt daran anschließend, »strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen. Daher hilft nur eine grundlegende Strukturveränderung von und in Theaterhäusern.« Die Autor*innen des Offenen Briefs fordern also nicht weniger als einen Freiraum, frei von rassistischen Übergriffen und einer Kultur des Schweigens.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.