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|ak 684 | Geschichte

Ein Stück verlorene Utopie

Die Ausstellung »Doors of Learning« zeigt eine einzigartige afrikanische Freiheitsgeschichte

Interview: Paul Dziedzic

Bild einer Frau im weißen Mantel und Kopftuch, die gerade geometrische Zeichnungen auf einem Blatt Papier macht. Sie ist umgeben von Skizzen, die an die Wände hängen.
In den 1980er Jahren betrieb die Südafrikanische Freheitsbewegung ANC zwei Camps in Tansania. Dakawa umd Somafco waren mehr als Bildungsstätten, sie waren Freiheitscamps. Foto aus der Textil-Werkstatt in Dakawa, anfang der 1980er Jahre. Foto: Eli Weinberg Photolab / Anti-Apartheid and Southern Africa collection, International Institute of Social History Amsterdam

Der Soweto-Aufstand 1976 war ein Wendepunkt für die südafrikanische Freiheitsbewegung African National Congress (ANC) gegen die Apartheid. Viele gingen ins Exil. Besonders im sozialistischen Tansania waren die ANC-Kämpfer*innen willkommen. Sie bekamen Land und logistische Unterstützung und eröffneten 1978 das Solomon Mahlangu Freedom College (Somafco) und das Dakawa Development Centre 1982. Die Ausstellung »Doors of Learning: Microcosms of a Future South Africa« an der Stiftung Bauhaus Dessau widmet sich dieser verloren gegangenen Geschichte.

Wie kam es zum Projekt?

Philipp Sack: Das Bauhaus Lab ist ein Programm, das die Stiftung seit 2013 jährlich durchführt. Jede Ausgabe hat einen anderen Schwerpunkt, der von bestimmten Objekten aus beginnt. Die Stiftung Bauhaus geht aus einer Vorläuferorganisation hervor, die in der DDR gegründet worden war. Bei der Aufarbeitung dieser DDR-Geschichte stießen wir auf eine Konferenz aus dem Jahr 1989, die sich mit der Siedlung Dakawa für exilierte ANC-Kämpfer*innen befasste, an der die DDR beteiligt war. Die Gebäude waren in Fertigteilbauweise errichtet worden, was zum Ausgangspunkt der Ausstellung wurde.

Die interviewten Kurator*innen

Joyce Lam kommt aus Hongkong und lebt in Japan. Sie ist Künstlerin und arbeitet hauptsächlich mit Film. Esther Mbibo ist eine unabhängige Architektin und Fotografin aus Tansania. Ihr Schwerpunkt ist humanitäre Architektur. Nokubekezela (Beke) Mchunu ist eine Architektin und unabhängige Forscherin aus Südafrika. Michalina Musielak ist eine polnische Künstlerin. Sie arbeitet zu Architektur und Erinnerung. Philipp Sack ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Bauhaus in Dessau.

Was werden Besucher*innen sehen, wenn sie in die Ausstellung kommen?

Nokubekezela (Beke) Mchunu: Sie werden eine Menge Archivmaterial sehen. Wir haben viel Zeit in den südafrikanischen Archiven verbracht, wir zeigen tolles Videomaterial aus Interviews und Aufnahmen von den historischen Stätten. Außerdem benutzen wir verschiedene Medien, was unsere persönlichen Interessen und Disziplinen, aus denen wir kommen, widerspiegelt.

Was ist die Geschichte von Dakawa, wie entstand der Ort?

Esther Mbibo: In Südafrika gab es eine Anti-Apartheid-Bewegung, die nach dem Soweto-Aufstand Zulauf bekam. Menschen aus Südafrika waren gezwungen, wegen der Ereignisse im Land ins Exil zu gehen. Sie gingen an verschiedene Orte, meist innerhalb Afrikas, einige auch außerhalb. In Tansania gründeten sie Somafco, das als Bildungsstätte, als College, gebaut wurde. Die Exilierten wohnten dort und ließen sich ausbilden, um künftige Anführer*innen in Südafrika zu werden. Nach der Ausbildung wurden sie in westliche Länder geschickt, um dort zu studieren und schließlich zu den Camps zurückzukehren und andere zu unterrichten. Als die Zahl der Menschen immer größer wurde, gründeten sie mit Dakawa auch ein Berufsbildungszentrum, wo die Bewohner*innen ein Handwerk erlernen konnten.

Wie kommt es, dass die Camps die Aufmerksamkeit internationaler Akteure wie der DDR auf sich zogen?

Joyce Lam: Ich denke, dass es für die DDR ein politischer Schachzug war, um internationale Anerkennung und Unterstützung zu generieren. Zu diesem Zeitpunkt unterstützten viele Länder die Anti-Apartheid-Bewegung.

Philipp: Einer der beteiligten DDR-Ingenieure nannte eine weitere Motivation des Staates, sich an dem Projekt zu beteiligen: die Erzielung von Devisen.

Michalina Musielak: Es hat auch viel damit zu tun, wie der ANC arbeitete. Er war sehr gut in der Vernetzung und baute Vertretungen in Ost- und Westdeutschland und vielen anderen Ländern auf. Er verteilte Flugblätter, die über das Projekt informierte, ein Bildungssystem in Tansania aufzubauen. Tansania unterstütze die Bewegung als erstes, indem sie dem ANC das Land überließ. Das erste Land, das sich dem Projekt anschloss, war Norwegen. Die Länder waren bereit, verschiedene Aspekte des Kampfes zu unterstützen. Während die DDR auch den militärischen Kampf unterstützte, konzentrierten sich die skandinavischen Länder auf die Ausbildungscamps.

Broschüre in Hellblau, mit Schwarzer Schrift, auf Englisch. Titel ist eine Projektbeschreibung für Wohnungsbau in Dakawa, vom März 1989. Mittem auf dem Bild eine Zeichnung von unbekannten Figuren in Arbeitskleidung und Bauwerkzeug
Der ANC verteilte diese Broschüren, um Unterstützung zu sammeln. Foto: Privatarchiv Specer Hodgson

Ihr wart in Südafrika und Tansania, wie war das für euch?

Beke: Wir haben Archive besucht, aber auch mit Menschen gesprochen, die damals involviert waren, entweder als Architekt*innen und Gestalter*innen, oder als Bewohner*innen und Student*innen. Tansania ist wunderschön. Bis zum Besuch hatten wir nur die Bilder aus den 1970er und 1980er Jahren gesehen, weshalb der Ort für uns bis dahin eine Fantasie war. Es war also schon etwas Besonderes, diese Orte in echt zu sehen. Sie werden übrigens immer noch genutzt. Die Leiter*innen der beiden Einrichtungen sind wirklich stolz darauf, dieses Erbe fortzuführen. Somafco ist jetzt eine Universität und steht unter Denkmalschutz, Dakawa ist eine Berufsschule.

Gibt es zwischen Südafrika und Tansania wegen dieser gemeinsamen Geschichte immer noch einen Austausch?

Philipp: Es gibt einen Held*innenfriedhof, der Anlass für jährliche Besuche südafrikanischer Delegationen ist. Die Stätten spielen eine wichtige Rolle in der gemeinsamen Erinnerung und sind eine der Grundlagen der Kulturdiplomatie zwischen den beiden Ländern. Außerdem sind sie Teil einer gemeinsamen afrikanischen Befreiungsgeschichte.

Wir haben über andere Länder gesprochen, aber was war die Motivation in Tansania, am Projekt teilzunehmen? Immerhin gaben sie den Südafrikaner*innen Land…

Esther: Ich sehe es als einen Akt der afrikanischer Solidarität. Wer sonst hätte ihnen geholfen? Der erste Präsident von Tansania, Julius Nyerere, war eine der Schlüsselfiguren bei der Gründung des ANC in London. Er war selbst ein Freiheitskämpfer, der sozialistische Ideen vertrat und an den Kämpfen in vielen afrikanischen Ländern beteiligt war. Die Anti-Apartheid-Bewegung war eine der letzten Freiheitskämpfe auf dem Kontinent, und Tansania war historisch gesehen ein sicherer Ort für Bewegungen dieser Art. Außerdem schufen die Lager Möglichkeiten für Tansanier*innen – so waren die meisten Facharbeiter*innen, die in den Lagern arbeiteten, aus Tansania. Sie bauten unter anderem eine Krankenstation, die auch allen Bewohner*innen der Gegend diente. Es gibt eine mündliche Überlieferung über diese Zeit, in der die Gemeindevorsteherin in Morogoro gefragt wurde, warum sie den Südafrikaner*innen so viel gebe. Und sie sagte: »Nun, eines Tages werden sie nach Hause zurückkehren und all das wird uns überlassen«. Und 1992 geschah genau das, die Camps wurden aufgelöst und der tansanischen Regierung zurückgegeben.

Für einige sind die Camps bis heute ihre zweite Heimat geblieben.

Esther Mbibo

Welche Auswirkungen hatten die Camps auf die Biografien der Beteiligten?

Esther: Die Bewertungen sind recht unterschiedlich. Michalina und ich haben die Menschen interviewt, die in diesen Camps gelebt haben und jetzt wieder in Südafrika sind. Für einige ist es bis heute ihre zweite Heimat geblieben. Für andere war das Programm nicht gut genug strukturiert und hat nicht das geboten, was versprochen worden war, beispielsweise die Ausbildung künftiger Führungskräfte. Außerdem gab es Beziehungen zwischen Exilierten Tansanier*innen, die eher schmerzhaft endeten, zum Beispiel mit Kindern, die zurückgelassen wurden. Einige Tansanier*innen zogen nach Südafrika, kehrten aber zurück, weil das Leben dort so anders war. Und dann gibt es einige der heutigen Führungskräfte, die in den ANC-Camps in Tansania ausgebildet wurden. Allerdings ist der ANC heute eine politische Partei, keine Bewegung mehr.

Michalina: Es gab auch einige beeindruckende Geschichten, die in diesen beiden kleinen Orten in Tansania ihren Anfang nahmen. German Mphalele zum Beispiel, der Leiter einer Berufsschule in Dakawa war, wurde später Berater in der Baubranche für die neue Regierung Südafrikas und andere afrikanische Länder. Wir sprachen auch mit John Pampallis, einem der ersten Mitglieder des ANC in Winnipeg, Kanada, der Geschichtslehrer in Somafco war und nach der Wende für den Aufbau der Bildungspolitik in Südafrika verantwortlich war.

Panorama Bild des Somafco College. In der Mitte des Bildes ein längliches, einstöckiges Gebäude, gebaut im Fertig-Bauhaus-stil. Davor arrangierte Hecken und im Hintergrund Zwei Berge
Beide Stätten werden noch heute von der tansanischen Regierung betrieben. Hier das ehemalige Somafco Collge, heute Campus der Sokoine Universität. Foto: Nokubekezela Mchunu / Stiftung Bauhaus Dessau

Was ist euch von den persönlichen Begegnungen besonders in Erinnerung geblieben?

Beke: Mir ist aufgefallen, in was für einer besonderen Situation sich die Menschen befanden. Die Camps waren selbstverwaltete Refugee-Orte, die zu Ausbildungsorten wurden und schließlich zu regelrechten Gemeinschaften. Einige Menschen haben – mit Unterbrechung – bis zu 10 Jahren dort gelebt und waren in dieser ganzen Zeit mit Südafrika verbunden, sie versuchten, die Erinnerung wachzuhalten, und das spiegelte sich im Lehrplan wider. Das heißt, sie lernten die Geschichte Südafrikas und des ANC, sangen die Nationalhymne und kannten die ANC-Farben; all diese Erfahrungen konzentrieren sich an einem Ort. Es ist ein Ort, den man sonst nirgendwo findet, der so viele afrikanische Befreiungserfahrungen auf einmal repräsentiert. Interessant war für mich auch die Idee des ANC als Befreiungspartei und wie sie ihre Ideen verräumlicht und miteinander verwoben hat. Ich habe mich für dieses Programm beworben, weil ich diese Utopie fernab von Südafrikas Apartheid-Regime mit dem vergleichen wollte, was nach 1994 geschah. Das ist wohl ein unfairer Vergleich. (lacht)

Denkst du, dass Südafrika 1994 einen Pfad verlassen hat, der anders hätte sein können?

Beke: In der Architektur gibt es etwas, das man »Green Sites« (grüne Wiese, Red.) nennt. Das sind Orte, an denen noch nie gebaut wurde und die keine Geschichte haben – sie sind einfach leer. Das waren diese Grundstücke in Tansania für die Südafrikaner*innen. Dann gibt es noch die »Brown Sites« (Brachflächen, Red.), auf denen bereits gebaut wurde, die Spuren und Trümmer aufweisen, um die man herum planen muss. Ich glaube nicht, dass es in Südafrika viele Green Sites gab. Das macht einen Vergleich also schwierig, aber es gibt viele verpasste Chancen. So hätte der soziale Wohnungsbau sich der Spuren der Apartheid-Architektur entledigen können. Vieles hätte man besser machen können.

Wir wollten die afrikanische Erzählung so weit wie möglich in den Mittelpunkt stellen.

Nokubekezela (Beke) Mchunu

Auf welche Herausforderungen seid ihr während eurer Forschung gestoßen?

Beke: Es gibt viel Material über das internationale Engagement, aber wir wollten die afrikanische Erzählung so weit wie möglich in den Mittelpunkt stellen. Wir wollten nicht, dass diese Erfahrungen von der Darstellung der anderen Akteure überschattet wird – von Lieferant*innen von Hilfsgütern, die manchmal nicht nur als Verbündete, sondern auch als »Retter*innen« dargestellt werden.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Besucher*innen mitnehmen sollten?

Joyce: Ein Motto, auf das wir unsere Ausstellung ausrichten möchten, ist »Bildung als Widerstand«. Da es sich bei den Siedlungen um Bildungseinrichtungen handelte, besteht auch eine Verbindung zum Bauhaus, das ebenfalls eine Bildungseinrichtung war. Ich komme aus Hongkong, wo es 2019-2020 Proteste gab, die sich auch gegen die Staatsmacht richteten. Es gibt Menschen, die Hongkong verlassen haben oder versuchen, es zu verlassen, und es ist interessant zu sehen, was wir von der südafrikanischen Geschichte lernen können. Auch wenn die Gründe andere sind und es keine direkte Verbindung gibt, so stellt sich doch die Frage, wie wir Bildung nutzen können, um uns der Macht eines Staates oder größerer Mächte zu widersetzen, über die wir keine Kontrolle haben. Die Bildungsperspektive ist für mich auch deshalb interessant, weil jüngere Menschen aus Hongkong versuchen, mehr über unsere Geschichte zu erfahren, um unsere Identität zu verstehen. Außerdem ist mir bei dieser Recherche und dem Besuch in Tansania klar geworden, dass wir in Hongkong oder in Japan, wo ich lebe, nicht wirklich etwas über Afrika und die afrikanische Geschichte lernen.

Bild eines an einer Wandmauer angebrachten Poster des "Dakawa Development center". Sarauf zu sehen ist in der Mitte das Logo der Bildungstätte. Links ein gezeichnetes Porträt von Julius Nyerere, rechts eins von Nelson Mandela
Am Eingang zur Dakawa-Bildungsstätte erinnert dieses Schild an die Geschichte der Schule. Links der erste Präsident Tansanias, Julius Nyerere, links Nelson Mandela. In der Mitte steht »Ein Monument für Solidarität und Freundschaft«. Foto: Joyce Lam / Stiftung Bauhaus Dessau

Beke: Für mich ist es am wichtigsten, dass diese Geschichte dargestellt wird. Denn in der internationalen Vorstellung ist sie in der Versenkung verschwunden. Selbst als Südafrikanerin wusste ich nur sehr wenig darüber. Es ist wichtig, diese Demonstration der internationalen Zusammenarbeit im Geiste von Ubuntu (pan-afrikanischer Humanismus, Red.) zu zeigen, um Strukturen zu schaffen, die es Geflüchteten ermöglichen, sich selbst zu verwalten.

Michalina: Ich denke, es ist wichtig, dieses Stück nicht-westliche Globalisierung in eine schrumpfende, kleinere ostdeutsche Stadt zu bringen. Diese internationale Geschichte der Anti-Apartheid-Bewegung in eine Gemeinschaft zu bringen, die sich nach rechts radikalisiert.

Philipp: Ich fand es erstaunlich und auch deprimierend, dass es eine internationale Solidaritätsbewegung gegen die Apartheid gab, wo es kein großes Thema war, dass Norwegen und die DDR zusammen arbeiten. Alle beteiligten Staaten und Organisationen hatten einen Sinn für die Zukunft, sie wussten, dass sie Teil eines Kampfes für eine bessere Zukunft waren, es war also kein humanitäres, sondern ein politisches Projekt. Heute hingegen geht es darum, die am wenigsten katastrophale Zukunft zu erreichen. Wir haben ein völlig anderes Verhältnis zur Zukunft, nicht die der Befreiung, sondern die der Apokalypse.

Wird die Ausstellung auch in Südafrika, Tansania und möglicherweise noch anderen Ländern zu sehen sein?

Philipp: Sie wird wahrscheinlich in Johannesburg gezeigt werden.

Joyce: Im Moment gibt es keine Organisation, die bereit ist, uns aufzunehmen, aber wir wollen auf jeden Fall, dass die Ausstellung in diese beiden Länder reist.

Michalina: Dieses Projekt ist hoffentlich nur die erste Phase und wird nicht einfach in andere Länder verpflanzt, sondern entwickelt sich hoffentlich im lokalen Kontext weiter. Das ist unser Ansatz.

Übersetzung: ak

Anmerkung:

Die Ausstellung ist noch bis zum 13. Januar 2023 im Bauhausgebäude in Dessau zu sehen.