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|ak 676 | Alltag

Don’t you know that you’re toxic?

Über ein Wort, das plötzlich überall ist, alles vernebelt und verschleiert – weg damit!

Von Paula Irmschler

Foto von Britney Spears in einem aufwändigen Kleid mit riesigen Engelsflügeln
»Weißt du nicht, dass du toxisch bist?«, fragte Trendsetterin Britney Spears, hier bei einem Konzert 2014 in Texas, schon 2003 in ihrem Song »Toxic«. Foto: Rhys Adams/Flickr, CC BY_Sa 2.0

Malte und Johanna sitzen in der Küche von Johannas WG. In letzter Zeit war es schwierig zwischen ihnen. Johanna findet, er hat offensichtlich »was«. Er will nicht darüber sprechen, was er aber nicht kommuniziert, er sagt immer, es sei »alles okay« und jetzt, dass sie lieber bei sich selber »mal gucken« müsse, es sei auch fragwürdig, dass sie so fixiert auf ihn sei. Die ganzen Streitereien, sein Gesaufe, sein Schweigen, das sei schon auch ihrer Zudringlichkeit zuzuschreiben. Er wisse aber natürlich, dass er auf eine bestimmte Weise sozialisiert ist, klar, er ist links, er weiß, dass er toxisch-männliche »Anteile« hat. Vielleicht ist er als Mensch nicht gut für sie, dann passt es wohl nicht, es ist vorprogrammiert, es ist eine toxische Beziehung, man tut sich nicht gut, man muss ausbrechen und deswegen macht er jetzt Schluss – für sie.

Texte über toxische Beziehungen brauchen eine erfundene, vage Szene am Anfang, in der man sich irgendwie wiederfindet. Weil toxisch kann jede*r sein, und toxische Beziehungen kann jede*r haben, und wir müssen aufpassen.

Doch was macht jemanden überhaupt toxisch? Wenn man sich anschaut, wer und welche Verhaltensweisen in den letzten Jahren als toxisch bezeichnet wurden, kann das von Übellaunigkeit über Vergewaltigung bis zum Mord alles sein. Toxisch, das ist das Schlechte, das Gegenübergestellte. Hier gesund, drüben toxisch. Männlichkeit zum Beispiel kann toxisch sein, und wenn sie es nicht ist, dann ist sie gut oder okay. Hier die guten Männer (ich), da die schlechten (die anderen). Dabei ist physische und psychische Gewalt der sozialen Männlichkeitskonstruktion inhärent, sie braucht kein extra Gift, sie IST das Gift.

Auch in schieflaufenden Beziehungen gilt es heutzutage zu fragen: Wer ist die toxische Person bei euch? Wenn man jemanden als toxisch ausgemacht hat, muss man nicht mehr reden oder an sich arbeiten, es kann direkt Schluss gemacht werden. »Toxische Beziehung« tritt teilweise an die Stelle, wo man früher von »falschem Deckel für den Topf«, von unterschiedlichen Planeten (Venus und Mars) und Ähnlichem schwadroniert hat, nur hat es jetzt einen politischen, gar feministischen Anstrich.

Das wäre nicht so schlimm. Dann haben (Hetero-)Paare jetzt halt wieder einen neuen Begriff, um sich zu sagen, dass sie eigentlich grundsätzlich nicht zusammenpassen. Mit dem Wort »toxisch« verharmlost man aber mittlerweile gern mal häusliche Gewalt. Als Jérôme Boateng wegen Körperverletzung gegenüber seiner ehemaligen Partnerin verurteilt wurde, sprach die Staatsanwältin davon, dass beide »Opfer einer toxischen Beziehung« geworden seien. Am nächsten Tag sprachen viele im Radio und in Podcasts, von einer »toxischen Beziehung«, kaum jemand sprach noch von der Körperverletzung. Und auch Luke Mockridge wusste den Modebegriff für sich zu nutzen: Auf die gegen ihn erbrachten Vorwürfe von Manipulation, Übergriffigkeit und Fast-Vergewaltigung reagierte er mit der Erklärung, seine Exfreundin und er hätten eben eine toxische Beziehung geführt. Ist »toxische Beziehung« das neue »Sie nehmen sich beide nix«? Das neue »Sie schlugen und vertrugen sich«? Ja, gar die neue »Leidenschaft«? Man darf gespannt bleiben. Mit »toxische Beziehungen« wird die Gewaltfrage in Beziehungen ins Private geschwurbelt.

Es sind aber nicht nur Männlichkeiten toxisch oder Beziehungen. Ganze Menschen sind toxisch. Wie der erfundene Malte von oben. Er könnte mit Johanna reden, sich öffnen, an der Beziehung arbeiten, aber Verantwortung übernehmen kann man nicht, wenn man toxisch ist. Sternzeichen toxisch, schade! Von toxischen Menschen müssen wir uns reinigen. Selfcare heißt der Weg. Wir müssen uns alles weghalten, was uns schadet, was uns nichts bringt. Individuell erfolgreich, selbsterfüllt. Für toxische Menschen ist keine Zeit, wir sollen uns schön machen, fit werden, optimieren, arbeiten, erfinden. Toxische Menschen suchen keine Outfits mit uns aus, beglückwünschen uns nicht für unser Make-up, supporten nicht unsere Start-ups. Toxische Menschen, sie sind eine Last, weg damit! Bei Scientology heißt das »suppressive persons«, unterdrückerische Personen.

Ich verstehe natürlich das Ringen um Wörter, die anderen die Scheiße, die uns widerfährt, klarer macht. Ich verstehe die Hilflosigkeit, die Sprachlosigkeit. Aber es gibt die Wörter schon. Nur weil uns die Begriffe rund um Gewalt immer wieder verhagelt werden, das Dahinter relativiert und unsere Sprache vererbsenzählert wird, dürfen wir nicht aufhören, sie zu verwenden. Wenn wir wollen, dass diese Sachen beackert werden können, müssen wir Vergewaltigung, Manipulation, Lügen, Ignoranz, Missbrauch und Co. genau so nennen.

Dabei trifft toxisch natürlich manchmal auch einen Punkt: Es gibt Beziehungsdynamiken, die sich einschleichen wie langsam wirkendes Gift, sich mit der Zeit auf den kompletten Organismus auswirken, lähmen und irgendwann töten. Aber vielleicht sollte das Wort nur in einer solchen Metapher benutzt werden, in der Lyrik meinetwegen oder eben im Song von Britney Spears. Aber nur da.

Paula Irmschler

ist Autorin und Redakteurin und wohnt in Köln.